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Anforderungen an Massen­entlassungs­anzeigen – Rechtsprechungs­update

25.05.2022

Im Februar hatten wir bereits über die jüngsten Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Massenentlassungsanzeige berichtet (Neue Spielregeln für Massenentlassungen?). Zwischenzeitlich sind weitere Entscheidungen ergangen, die für die Praxis von erheblicher Bedeutung sind. Diese sollen nachfolgend kurz dargestellt werden.

1. Zum Hintergrund: Der gesetzliche Rahmen

In § 17 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ist die Verpflichtung des Arbeitgebers enthalten, gegenüber der Agentur für Arbeit eine sog. Massenentlassungsanzeige zu erstatten, bevor innerhalb von 30 Kalendertagen eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (nachfolgend zur sprachlichen Vereinfachung „Mitarbeiter“) entlassen wird.

Für die gegenüber der Agentur für Arbeit zu erstattende Massenentlassungsanzeige sieht die gesetzliche Regelung in § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG vor, dass der Arbeitgeber bestimmte Angaben zu machen hat (sog. „Muss-Angaben“). Dabei handelt es sich um Angaben zum Namen des Arbeitgebers sowie zur Art und Sitz des Betriebs, zu den Gründen für die geplanten Entlassungen, zur Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter, zum Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, sowie zu den Kriterien, die für die Auswahl der zu entlassenden Mitarbeiter vorgesehen sind.

Daneben bestimmt § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG, dass die Massenentlassungsanzeige im Einvernehmen mit dem Betriebsrat Angaben über das Geschlecht, das Alter, den Beruf und die Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Mitarbeiter enthalten soll (sog. „Soll-Angaben“).

Grundlage der deutschen Regelungen zur Massenentlassungsanzeige ist die europäische Richtlinie 98/59/EG vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (sog. Massenentlassungsrichtlinie, auch „MERL“).

2. Keine Unwirksamkeitsfolge bei fehlenden „Soll-Angaben“ – Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Mai 2022

Am 19. Mai 2022 (2 AZR 467/21) hat das Bundesarbeitsgericht hierzu ein für die Praxis erfreuliches Urteil gefällt, das für etwas mehr Rechtssicherheit sorgt.

Der Sachverhalt

Im Februar hatten wir bereits zu den Entscheidungen der Vorinstanzen berichtet. Gegenstand des Rechtsstreits war eine betriebsbedingte Beendigungskündigung, die im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochen wurde. Die Arbeitgeberin hatte im Vorfeld eine Massenentlassungsanzeige erstattet, dabei allerdings nicht die Soll-Angaben hinsichtlich des Geschlechts, des Alters, des Berufs und der Staatsangehörigkeit der betroffenen Mitarbeiter gemacht. Aus dem Fehlen dieser Soll-Angaben leiteten sowohl das Arbeitsgericht Frankfurt als auch das Hessische Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ab. Im Wesentlichen wurde damit argumentiert, die MERL verlange, dass in der Massenentlassungsanzeige alle zweckdienlichen Angaben enthalten sein müssten, ohne dass dabei zwischen „Muss“ und „Soll“-Angaben differenziert werde. Angaben zu Alter, Geschlecht, Beruf und Staatsangehörigkeit seien in diesem Sinne jedenfalls zweckdienlich.

Die Entscheidung des Bundearbeitsgerichts

Gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts richtete sich die – erfolgreiche – Revision der Arbeitgeberin. Bislang ist lediglich die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts veröffentlicht (Massenentlassungsanzeige - Fehlen der sog. Soll-Angaben - Das Bundesarbeitsgericht). Dieser lässt sich aber bereits entnehmen, dass das Bundesarbeitsgericht bei der Beurteilung, ob eine Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erfolgte, klar zwischen Muss-Angaben und Soll-Angaben trennt. Im Rahmen der Massenentlassungsanzeige fehlende Soll-Angaben führen – so das Bundesarbeitsgericht – ausdrücklich nicht dazu, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung unwirksam wäre. Nur dies entspreche dem Willen des Gesetzgebers, der in § 17 KSchG ausdrücklich zwischen Muss- und Soll-Angaben differenziere. Über diese gesetzgeberische Entscheidung dürften sich nach Auffassung des Bundesarbeitsgericht die nationalen Gerichte auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung hinwegsetzen. Überdies sei eine solche auch nicht geboten. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei bereits geklärt, dass die in § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG vorgesehenen Soll-Angaben auch nicht nach der Massenentlassungsrichtlinie gefordert sind.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verdient Zustimmung. Der Wortlaut des § 17 KSchG ist eindeutig. Die Anforderungen an ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeigen sind bereits jetzt hoch und sollten nicht noch zusätzlich durch weitere, zu fordernde Details überspannt werden. Häufig liegen Arbeitgebern die Soll-Angaben zudem überhaupt nicht (oder zumindest nicht vollständig) vor. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgericht für die Praxis erfreulich.

3. Keine Unwirksamkeitsfolge bei fehlerhafter Angabe der Betriebsnummer

Eine weitere Entscheidung zur Massenentlassungsanzeige ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, die die Anforderungen bzw. Fehlerfolgen weiter präzisiert. Konkret hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 7. Dezember 2021, 7 Sa 1273/21) einen Fall zu entscheiden, in der die Massenentlassungsanzeige soweit ordnungsgemäß erstattet wurde, allerdings eine unzutreffende Betriebsnummer enthielt. Anders noch als das Arbeitsgericht Berlin, ist das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg der Auffassung, dass die fehlerhafte Angabe der Betriebsnummer nicht die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige zur Folge hat.

Der Sachverhalt

Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin als Kommissionierer tätig. Die Arbeitgeberin entschloss sich, das Lager, in dem der Kläger eingesetzt war, zu schließen und kündigte – im Zusammenhang mit einer Massenentlassung – auch das Arbeitsverhältnis des Klägers. Im Rahmen der gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit zu erstattenden Massenentlassungsanzeige gab die beklagte Arbeitgeberin den Betrieb, in dem der Kläger beschäftigt war, an. Unterzeichnet wurde die Massenentlassungsanzeige von den beiden Prokuristen der Beklagten unter Verwendung eines Firmenstempels, aus dem die Firma der Beklagten hervorging. Der Beklagten war allerdings ein formaler Fehler unterlaufen: die Betriebsnummer, die jeder Arbeitgeber zur Teilnahme am Meldeverfahren zur Sozialversicherung bei der Bundesagentur für Arbeit zu beantragen hat (§ 18i SGB IV) und deren Angabe in dem von der Agentur für Arbeit zur Erstattung von Massenentlassungsanzeigen zur Verfügung gestellten Formular vorgesehen ist, war nicht der Beklagten zugeordnet, sondern deren Rechtsvorgängerin. Entsprechend stellte die Agentur für Arbeit die auf die Massenentlassungsanzeige bezogene Eingangsbestätigung auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten und nicht auf die Beklagte aus.

Der Kläger argumentierte nun, dass seine Kündigung – neben weiteren, geltend gemachten Unwirksamkeitsgründen – jedenfalls auf Grund der fehlerhaften Massenentlassungsanzeige unwirksam sei.

Die Entscheidungen

In der ersten Instanz hatte der Kläger mit seiner Argumentation noch Erfolg. Das Arbeitsgericht Berlin war der Auffassung, dass die Massenentlassungsanzeige durch Angabe der Betriebsnummer einer anderen juristischen Person nicht im Namen der Arbeitgeberin, sondern im Namen dieser mit der Betriebsnummer bezeichneten juristischen Person abgegeben worden sei. Damit habe bei Ausspruch der Kündigung keine Massenentlassungsanzeige vorgelegen und die Kündigung sei dementsprechend unwirksam.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Arbeitgeberin hatte Erfolg:

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Massenentlassungsanzeige der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zugänglich. Der Inhalt einer Erklärung bestimme sich deshalb danach, wie sie die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe führe eine Auslegung trotz falscher Angabe der Betriebsnummer dazu, dass die Beklagte die Massenentlassungsanzeige erstattet habe, so das Landesarbeitsgericht. Denn die Beklagte sei in der Unternehmensbezeichnung bezeichnet, sie habe ausdrücklich die Entlassungsanzeige unterschrieben und sie habe sie für den betroffenen Betrieb erstattet.

Dem stehe die Angabe der noch der Rechtsvorgängerin zugeordneten Betriebsnummer ausdrücklich nicht entgegen: Über den betroffenen Betrieb könne die Betriebsnummer nicht zu Unklarheiten führen, denn die Betriebsnummer bezeichne den Beschäftigungsbetrieb richtig. Dass sie auf die Rechtsvorgängerin hinweise, bedeute nicht, dass die Agentur für Arbeit davon befreit wäre, bei Differenzen in den schriftlichen Angaben und der Betriebsnummer selbst auszulegen, wer eine Anzeige oder Meldung erstattet habe. Enthalte die Meldung Angaben zum richtigen Arbeitgeber, sowie zum betroffenen Betrieb und wird sie zudem von dem richtigen Arbeitgeber unterzeichnet, sei sie diesem zuzurechnen, ungeachtet einer etwaig falschen Betriebsnummer.

Der Umstand, dass die Bundesagentur für Arbeit aufgrund der Betriebsnummer zunächst die Rechtsvorgängerin angeschrieben hat, sei daher unschädlich. Denn das Schreiben werde mit der eingegebenen Betriebsnummer automatisch generiert, ohne dass dies Rückschlüsse auf den Erklärungsgehalt für den Empfänger der Massenentlassungsanzeige zuließe.

Auch diese Entscheidung verdient Zustimmung. Die Massenentlassungsanzeige verfolgt vorrangig arbeitsmarktpolitische Zwecke. Die Arbeitsagenturen sollen durch die Anzeigepflicht die Möglichkeit erhalten, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die Vermittlungschancen der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erhöhen und Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Ist der Arbeitgeber auf Grund der Angaben in der Massenentlassungsanzeige identifizierbar, wäre es daher eine bloße Förmelei wegen falscher Angabe der Betriebsnummer das Vorliegen einer – im Übrigen ordnungsgemäßen – Massenentlassungsanzeige zu negieren. Ungeachtet dessen handelt es sich bei der Betriebsnummer auch nicht um eine gem. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingende Muss-Angabe.

4. Fazit und Praxishinweis

Erneut wird durch die dargestellten Entscheidungen deutlich, dass die Rechtsfragen im Zusammenhang mit (vermeintlichen) Fehlern, die Arbeitgebern im Rahmen der Anzeige und Durchführung massenentlassungsanzeigepflichtiger Entlassungen unterlaufen können, mannigfaltig sind. Die beiden Entscheidungen sorgen für weitere Rechtsklarheit und sind auch vor diesem Hintergrund zu begrüßen.

 

 

Arbeitsrecht

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