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Asklepios vor dem EuGH – Ende der dynamischen Bezug­nahme­klauseln nach Betriebs­übergang?

27.01.2017

Mit Betriebsübergängen verbundene Umstrukturierungen erfolgen häufig mit dem Ziel eines Tarifwechsels, d.h. der Ablösung eines normativ geltenden Tarifvertrages durch einen – aus Unternehmenssicht – günstigeren Tarifvertrag. Hintergrund hierfür ist zumeist eine (drohende) wirtschaftlich nachteilige Tarifentwicklung. Häufig geht es aber auch schlicht darum, im Nachgang zu Erwerbsvorgängen branchenkonforme, möglichst einheitliche Arbeitsbedingungen zu bewirken (sog. „Post-Merger-Integration“). Entgegen stehen können dem jedoch die in den Arbeitsverträgen der übergegangenen Arbeitnehmer enthaltenen sog. „dynamischen“ Bezugnahmeklauseln, die den bisherigen – aus Erwerbersicht nicht gewünschten – Tarifvertrag in seiner „jeweils geltenden Fassung“ weiterhin arbeitsvertraglich auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung bringen.

Zulässigkeit einer „Fremdbestimmtheit“ nach der bisherigen Praxis der deutschen Arbeitsgerichte

Misslich ist dabei: Nach der derzeitigen Praxis der deutschen Arbeitsgerichte gilt die dynamische Bezugnahme auch nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses fort. Der in Bezug genommene Tarifvertrag ist auch von dem Betriebserwerber in seiner „jeweils geltenden Fassung“ anzuwenden. Die übernommenen Arbeitnehmer nehmen also weiterhin an Tariferhöhungen teil, obwohl der Tarifvertrag als solcher für ihren neuen Arbeitgeber gar nicht gilt. Dies ist nach derzeitiger Rechtsprechung des BAG sogar dann der Fall, wenn der neue Arbeitgeber auf die Tarifentwicklung beim bisherigen Arbeitgeber keinen Einfluss nehmen kann. Dass der neue Arbeitgeber infolge der von ihm nicht abgeschlossenen Arbeitsverträge fremdbestimmt bleibt, soll keine Rolle spielen. Eine Beendigung der dynamischen Inbezugnahme könne der Erwerber schließlich „einseitig“ durch den Ausspruch einer Änderungskündigung durchsetzen. An eine solche Änderungskündigung stellt das BAG aber insbesondere, wenn es um Entgeltabsenkungen geht, sehr hohe Anforderungen. In der Praxis scheidet diese Möglichkeit daher häufig aus.

Schützenhilfe des EuGH für deutsche Betriebserwerber?

Diese Rechtsprechung soll sich nach dem Willen des Generalanwaltes des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), Yves Bot, allerdings künftig ändern. Der Generalanwalt hat am 19.01.2017 seine Schlussanträge in der vielbeachteten Rechtssache Asklepios zum Recht des Betriebsüberganges vorgelegt (C-680/15 und C-681-15). Nach Ansicht des Generalanwaltes können betroffene Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang, jedenfalls wenn das erwerbende Unternehmen nicht selbst Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist und es mit den übernommenen Arbeitnehmern keine gesonderten Regelungen hierzu trifft, keine Tariflohnerhöhungen auf Basis des in Bezug genommenen Tarifvertrages geltend machen. Dieser komme nur noch statisch mit dem Stand zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges zur Anwendung.

Hintergrund: Vorlage an den EuGH

Hintergrund der Schlussanträge des Generalanwaltes sind die Klagen zweier Mitarbeiter eines ursprünglich kommunal geführten Krankenhauses, das einen Betriebsteil, dem die Mitarbeiter zugeordnet waren, im Jahr 1997 zunächst auf eine private GmbH übertragen hatte. Diese GmbH hatte mit den beiden Mitarbeitern jeweils einzelvertraglich die dynamische Fortgeltung der vormals bei dem kommunalen Träger geltenden kommunalen Verbandstarifvertrages vereinbart. Im Jahr 2008 wurde der Betriebsteil von der GmbH an einen Klinikverbund veräußert, bei dem der in Bezug genommene Tarifvertrag mangels Mitgliedschaft im kommunalen Arbeitgeberband nicht als solcher anwendbar war. Als wenig später Lohnerhöhungen nach dem arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Verbandstarifvertrag anstanden, gab der Klinikverbund diese nicht weiter. Die beiden Mitarbeiter klagten und erhielten in den ersten beiden Instanzen Recht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) legte die Klagen aber dem EuGH vor. Dieser hatte – wie wir berichteten (Beitrag vom 03.07.2015) – bereits im Jahr 2013 in der (englischen) Rechtssache Alemo-Herron (C-426/11) entschieden, dass eine Klausel, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Betriebsüberganges verhandelte und abgeschlossene Tarifverträge verweise, gegenüber einem Betriebserwerber jedenfalls dann, wenn der Erwerber keine Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese Tarifverträge teilzunehmen, lediglich statisch wirkt. Das heißt, sie bezieht die Tarifverträge nur in dem Zustand ein, den sie im Zeitpunkt des Betriebsüberganges hatten. Spätere Änderungen müssen nicht weitergegeben werden.

Generalanwalt: Fortgeltung der Dynamik nicht mit Unionsrecht vereinbar

Vor dem Hintergrund der Alemo-Herron-Entscheidung des EuGH verwundert es nicht, dass sich der Generalanwalt auch in der nun vom BAG vorgelegten Rechtssache gegen eine dynamische Fortgeltung eines Tarifvertrages aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln ausspricht. Eine Fortgeltung der Dynamik sei – so der Generalanwalt – mit der europäischen Betriebsübergangsrichtlinie (Richtlinie 2001/23/EG) und der europäischen Grundrechtecharta nicht vereinbar. Sie greife einerseits in das Grundrecht des Betriebserwerbers auf negative Vereinigungsfreiheit, also das Recht, einem Arbeitgeberverband nicht beizutreten, ein. Zum anderen widerspreche sie dem Sinn und Zweck der Richtlinie, nach der vormals normativ geltende Kollektivvereinbarungen (also Tarifverträge) so fortgelten, wie sie zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges verhandelt und abgeschlossen waren. Es könne dabei keinen Unterschied machen, ob der Tarifvertrag bei dem Betriebsveräußerer aufgrund dessen Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband normativ oder aufgrund einer einzelvertraglich mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Bezugnahmeklausel gelte.

Fazit und Praxishinweis

Da der EuGH regelmäßig den Empfehlungen des Generalanwaltes folgt, erscheint es wahrscheinlich, dass auch der EuGH der Fortgeltung der dynamischen Bezugnahmeklausel in der vorliegenden Konstellation eine Absage erteilt. Dies gilt umso mehr, als zwei der nun beteiligten Richter bereits mit der Rechtssache Alemo-Herron befasst waren. Die Entscheidung des EuGH wird voraussichtlich jedenfalls stärkere Rechtsklarheit in Bezug auf die Fortgeltung dynamischer Bezugnahmeklauseln nach Betriebsübergängen schaffen. Anschließend bliebe abzuwarten, wie das BAG und ggf. auch der Gesetzgeber eine solche Entscheidung umsetzen würden. Im Grunde könnte das BAG z.B. zu seiner früheren Rechtsprechung zurückkehren. Lösungsmöglichkeiten für die Praxis hatten wir bereits aufgezeigt (Beitrag vom 03.07.2015). Bis zu einer rechtskräftigen Klärung sollten Unternehmen bei dem Erwerb eines Betriebs(teils) jedoch vorerst weiterhin mit einer dynamischen Wirkung einer entsprechend formulierten Bezugnahmeklausel rechnen.

Weiterer Artikel: Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergang

 

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