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BAG bestätigt die Ablösung von Gesamt­zusagen durch Betriebs­vereinbarung mit Wirkung für aktive Mitarbeiter und Betriebs­rentner

16.10.2019

In zwei Urteilen vom 30.01.2019 (5 AZR 450/17 und 5 AZR 442/17) hatte das BAG darüber zu entscheiden, ob durch eine Gesamtzusage begründete Ansprüche auf Sachleistungen auch ohne einen ausdrücklichen Änderungsvorbehalt durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung abgelöst werden können. Das BAG bejahte dies sowohl für aktive Arbeitnehmer als auch für Betriebsrentner. Es sichert Unternehmen damit einen flexiblen Gestaltungsspielraum, der gemeinsam mit dem Betriebsrat zur Anpassung von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen genutzt werden kann.

Sachverhalt

In dem der Leitentscheidung (BAG, Urteil vom 30.01.2019, Az. 5 AZR 450/17) zugrunde liegenden Sachverhalt ging es im Wesentlichen darum, ob der Arbeitgeber der Ehefrau seines Arbeitnehmers kostenlos Fahrausweise zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verfügung stellen muss. In der Vergangenheit gewährte der Arbeitgeber auf Grundlage einer (mehrfach geänderten) Gesamtzusage aus dem Jahr 1958 sowohl seinen Arbeitnehmern als auch deren Ehegatten kostenlose Fahrausweise für den öffentlichen Personennahverkehr. Im Jahr 1991 schloss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über diese Sachleistungen ab; die Betriebsvereinbarung wurde zuletzt im Jahre 2015 geändert. In dieser letzten Fassung entfiel der Anspruch auf kostenlose Fahrausweise für Ehegatten eines Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber fortan nicht mehr gewährte.

In dem Parallelverfahren (BAG, Urteil vom 30.01.2019, Az. 5 AZR 442/17) begehrte der dortige Kläger neben einer fortdauernden Gewährung von Fahrkarten für seine Ehefrau darüber hinaus auch eine fortdauernde Gewährung von Fahrkarten zu seinen Gunsten, solange er Mitarbeiter oder Pensionär sei.

Entscheidung

Das BAG ging davon aus, dass der Arbeitgeber ursprünglich aus einer Gesamtzusage zur Gewährung der kostenlosen Fahrausweise für Arbeitnehmer und deren Ehegatten verpflichtet gewesen sei. Bei der Gesamtzusage handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB), aus deren Auslegung sich für den Arbeitnehmer allerdings ergebe, dass die Zusage kostenloser Fahrausweise nicht dauerhaft unverändert bleiben solle, sondern die Fahrausweise nur nach den beim Arbeitgeber jeweils geltenden Bestimmungen zu gewähren seien. Für den Arbeitnehmer und dessen Ehegatten sei daher jetzt die Betriebsvereinbarung in der Fassung von 2015 maßgeblich. Da diese keine kostenlosen Fahrausweise für Ehegatten mehr vorsehe, bestehe ein Anspruch darauf auch nicht mehr.

Ausgangspunkt des 5. Senats des BAG ist dabei, dass die Gesamtzusage betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet ist. Er begründet dies wie folgt:

  • Regelfall: Von einer solchen „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ sei regelmäßig dann auszugehen, wenn (i) der Vertragsgegenstand in AGB enthalten sei und – wie stets bei Gesamtzusagen – (ii) einen kollektiven Bezug habe. Eines ausdrücklichen Änderungsvorbehaltes bedürfe es dann nicht. Denn sowohl AGB als auch Betriebsvereinbarungen seien auf eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen gerichtet. Aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers sei daher zweifelsfrei, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handele, die einer – möglicherweise auch verschlechternden – Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich seien.
  • Ausnahme: Etwas anderes gelte nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbaren würden, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollten.

Für diese Ausnahme gab es im entschiedenen Fall allerdings keine Anhaltspunkte. Die nachfolgenden Betriebsvereinbarungen konnten daher die ursprüngliche Gesamtzusage des Arbeitgebers mit Wirkung für die aktiven Arbeitnehmer und deren begünstigte Ehegatten wirksam ablösen.

Bei dieser auf aktive Arbeitsverhältnisse bezogenen Bewertung bleibt das BAG aber nicht stehen, sondern wendet diese Grundsätze im Parallelverfahren (BAG, Urteil vom 30.01.2019, Az. 5 AZR 442/17) auch an, wenn durch die Gesamtzusage Ansprüche geändert werden, (i) die der Arbeitgeber den Betriebsrentnern neben der betrieblichen Altersversorgung zugesagt hat und (ii) die er generell auch aktiven Arbeitnehmern gewährt. Solche Zusagen können nach Auffassung des BAG so ausgestaltet werden, dass der Versorgungsempfänger nur diejenigen Leistungen beanspruchen könne, die bei Eintritt des Versorgungsfalles auch einem aktiven Arbeitnehmer zugestanden hätten („endbezugsbezogen“).

Auswirkungen für die Praxis

Erfreulicherweise setzt der 5. Senat des BAG in den beiden Entscheidungen die Rechtsprechung des 1. und 3. Senats zur Ablösung von als AGB ausgestalteten Arbeitsbedingungen mit kollektivem Bezug durch nachfolgende Betriebsvereinbarungen fort. Er setzt sich dabei inhaltlich sehr detailliert mit der hiergegen in Teilen der Literatur und vom 4. Senat geäußerten Kritik auseinander. Die Mehrheit der Senate des BAG ermöglicht es damit, Ansprüche auf Sachleistungen aus Gesamtzusagen durch eine nachträglich ablösende Betriebsvereinbarung zu ändern – und zwar auch dann, wenn dies mit Nachteilen für den einzelnen Arbeitnehmer verbunden ist. Dies gibt Arbeitgebern – nachdem die notwendigen Spielräume infolge der Erstreckung der AGB-Kontrolle auf das Arbeitsrecht zunehmend verkleinert wurden – wieder mehr Flexibilität bei der Änderung und Vereinheitlichung von betrieblichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, auch wenn dazu in der Praxis die Mitwirkung des Betriebsrats erforderlich ist.

Positiv ist überdies, dass Gesamtzusagen über Sachleistungen „endbezugsbezogen“ ausgestaltet und damit ein Gleichlauf mit den aktiven Arbeitnehmern geschaffen werden kann. Es kann also zulässigerweise vorgesehen werden, dass Betriebsrentner nur diejenigen (Sach-) Leistungen beanspruchen können, die ihnen bei Eintritt des Versorgungsfalles als aktiver Arbeitnehmer zugestanden hätten.

Arbeitsrecht

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