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BGH-Leit­satz­entscheidung zur Höhe der Nutzungs­ent­schädigung nach § 546a Abs. 2 BGB

21.02.2017

Mit seiner Entscheidung vom 18. Januar 2017 (VIII ZR 17/16) konkretisiert der BGH die gesetzlichen Konturen des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung gemäß § 546a Abs. 1 Alt. 2 BGB. Hiernach hat der Vermieter gegen seinen (ehemaligen) Mieter, der das Mietobjekt trotz ordnungsgemäßer Kündigung über einen längeren Zeitraum nicht räumt, einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung in Höhe der Miete, die für vergleichbare Mietobjekte maßgeblich ist. Nunmehr hat der BGH klargestellt, wonach sich die Höhe dieses Anspruchs bemisst und dabei eine im Wohnraummietrecht bisher umstrittene Frage geklärt. Zugleich stärkt er damit, wenn auch nur mittelbar, die Rechtsposition von Gewerberaumvermietern.

I. Eckpunkte zum Fall

Der Mieter eines Münchner Einfamilienhauses weigerte sich knapp eineinhalb Jahre lang, das Mietobjekt zu räumen, nachdem der Vermieter das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs ordnungsgemäß gekündigt hatte. Die vertraglich geschuldete Miete nebst Heizkostenvorauszahlung zahlte der Mieter bis zum Auszug weiter. Der Vermieter klagte daraufhin – in den beiden Vorinstanzen mit Erfolg – auf die Differenz zwischen der vertraglich vereinbarten und der aktuellen ortsüblich erzielbaren Miete, welche er bei Neuabschluss eines Mietvertrages für das Mietobjekt hätte verlangen können. Die Revision des Mieters wies der BGH zurück und bestätigte den Anspruch des Vermieters auf Zahlung des Differenzbetrags bis zur ortsüblich erzielbaren Neuvertragsmiete.

II. Rechtliche Bewertung

Für den Bereich des Wohnraummietrechts wird die Bedeutung der in § 546a Abs. 1 BGB enthaltenen 2. Alt., nämlich die "Miete […] die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist", unterschiedlich ausgelegt, so dass bislang unklar blieb, ob die hiernach vom säumigen ehemaligen Mieter zu leistende Nutzungsentschädigung nach der ortsüblichen Vergleichsmiete im Sinne des § 558 Abs. 2 BGB oder anhand der ortsüblichen Neuvertragsmiete zu bestimmen ist.

  1. Am Markt erzielbare Neuvertragsmiete statt ortsübliche Vergleichsmiete als Maßstab

    Der BGH entschied nun, dass sich dies nach der bei Neuabschluss eines Mietvertrages markt-/ortsüblichen Miete (sog. Marktmiete) bestimme. Die Be-chränkungen des § 558 Abs. 2 BGB, nach dem eine Mieterhöhung (nur) bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete bei bestehendem Mietverhältnis erfolgen kann, finden dagegen auf den Anspruch auf Nutzungsentschädigung bei ver-päteter Rückgabe der Mietsache nach § 546 Abs. 1 Alt. 2 BGB keine Anwendung. Daran ändere auch die Begründung der Kündigung mit dem Eigenbedarf des Vermieters und auch eine mangelnde tatsächliche Vermietbarkeit der Mietsache während der Zeit einer sich an den Auszug des Mieters anschließenden Renovierung nichts.

  2. Keine Rechtfertigung einer Übertragung des § 558 BGB

    Der BGH erteilt der Übertragung der sich aus § 558 BGB ergebenden Schranken auf § 546a Abs. 1 Alt. 2 BGB eine klare Absage und begründet dies überzeugend mit den Unterschieden beider Regelungen:
  • Bereits nach dem Wortlaut des § 546 Abs. 1 Alt. 2 BGB sei weder erforderlich, dass der Vermieter gewillt sein müsse, die Mietsache nach Rückgabe erneut zu vermieten, noch sei – im Gegensatz zu § 558 BGB – eine Beschränkung auf die ortsübliche Vergleichsmiete im Wortlaut der Norm selbst angelegt.

  • Auch spreche die Systematik des Gesetzes für die Marktmiete als Maßstab; § 546 Abs. 1 Alt. 2 BGB sei eine Bestimmung des allgemeinen Mietrechts, die keinen Verweis auf den im besonderen Mietrecht geregelten § 558 BGB, der auf (laufende) Mietverhältnisses über Wohnraum Anwendung finde, enthalte. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich schließlich nichts Gegenteiliges. Insbesondere sei kein Verweis auf die Bestimmungen des § 558 BGB in den Materialien zur Mietrechtsreform 2001 ersichtlich.

  • Zentral für die Entscheidung des BGH sind jedoch die Erwägungen zum Sinn und Zweck des § 546a Abs. 1 Alt. 2 BGB, der eine Übertragung der speziell wohnraummietrechtlichen Erwägungen auf die Bemessung der nach der allgemeinen Norm gewährten Nutzungsentschädigung verbiete. Während nämlich § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB eine gewisse Schutzwirkung des (Wohnraum-)Mieters während des Mietverhältnisses bezwecke, bestehe hierfür bei der Abwicklung der Herausgabe der Mieträume nach § 546a BGB gerade keine Veranlassung mehr. Hingegen liege der Sinn und Zweck des § 546a BGB darin, dass der Vermieter von günstigen Preisentwicklungen auf dem Markt profitieren könne. Der BGH betont in diesem Zusammenhang in erfreulich klaren Worten die entsprechende Schutzfunktion des § 546 Abs. 1 Alt. 2 BGB: die Entkoppelung der Nutzungsentschädigung von den Bemessungsregelungen für Mieterhöhungen dient nach der Auslegung des BGH dem schutzwürdigen Vermieterinteresse, indem hierdurch dem Vermieter ein zulässiges Mittel an die Hand gegeben wird, auf den Mieter Druck hinsichtlich dessen Verpflichtung zum Auszug auszuüben.
 

III. Bedeutung der Entscheidung für Gewerberaumvermieter

Die Leitsatzentscheidung des BGH ist auch für Gewerberaumvermieter von Interesse. Zwar findet § 558 BGB nur auf Wohnraummietverhältnisse Anwendung, so dass sich die Diskussion um die dort angelegten Grenzen auf den Anspruch aus § 546a Abs. 1 Alt. 2 BGB für die Gewerberaummiete schon vor der Entscheidung des BGH im Grundsatz nicht ernsthaft gestellt hat.

Gleichwohl besteht eine wesentliche Kernaussage der Entscheidung auch darin, dass es bereits in der gesetzlichen Konzeption der Norm angelegt ist, dem Vermieter ein effektives Mittel zur Ausübung von Druck auf den Mieter zur Durchsetzung der Rückgabe der Mietsache an die Hand zu geben; dies findet gleichermaßen auf die Gewerberaummiete Anwendung. Hierin liegt auch der Mehrwert der Entscheidung für den Bereich der Gewerberaummiete – nämlich in der häufig vermissten klaren Betonung der Vermieterinteressen durch den BGH. Dies ist speziell in der entschiedenen Situation mehr als sachgerecht, denn der Mieter ist hier nicht mehr schutzwürdig, während der Vermieter bei Vorenthaltung der Mietsache (regelmäßig) als Eigentümer in seinen Rechten aus Art. 14 GG erheblich und in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt ist. Dies unterstreicht der Gerichtshof nun mit allgemeingültigen Worten, indem er klarstellt, dass nach ordnungsgemäßer Beendigung des Mietverhältnisses ein berechtigtes Interesse des Vermieters auf zeitnahe Räumung durch den Mieter besteht und dieses effektiv durchzusetzen ist.

IV. Hinweise für die Praxis

  1.  Vertragliche Miete ist "Mindestmiete", auch bei niedrigerer Neuvertragsmiete

    Aus der Leitsatzentscheidung lässt sich bei Geltendmachung der ortsüblichen Miete für vergleichbare Mietobjekte nicht im Umkehrschluss schlussfolgern, dass bei aktueller niedriger Neuvertragsmiete nur diese anstelle der vertraglich geschuldeten Miete geschuldet ist. Die in Alt. 1 des § 546 Abs. 1 BGB vorgesehene vertragliche Miete stellt gewissermaßen eine "Mindestmiete" für die Bestimmung der Höhe der Entschädigung bei Vorenthaltung der Mietsache dar, so dass entsprechende Erklärungen immer dahingehend auszulegen sein werden, dass der Vermieter jedenfalls nicht unter die bisherige Miethöhe zurückfallen will.

  2. Bestimmung der Höhe der Neuvertragsmiete

    Die Darlegung der Neuvertragsmiete ist unproblematisch, wenn der Vermieter bereits einen neuen Mieter für das Mietobjekt vertraglich gebunden hat. Die Bedeutung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung gemäß § 546 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist in solchen Fällen jedoch gering, da der Vermieter in solchen Fällen den durch den Räumungsverzug verursachten Mietausfallschaden regelmäßig als Schadensersatz vom säumigen Mieter verlangen kann. Fehlt hingegen ein konkreter Nachfolgemieter, etwa im Falle von Eigenbedarf des Vermieters, muss der Vermieter an die Darlegung der von ihm geltend gemachten Höhe der Nutzungsentschädigung erhöhte Sorgfalt anlegen. Bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung in Höhe der Neuvertragsmiete kann es sich daher empfehlen, notfalls ein Sachverständigengutachten zum Nachweis der Neuvertragsmiete einzuholen, da die von den Gemeinden zur Verfügung gestellten Mietspiegel regelmäßig nicht die notwendige Marktpreisaktualität aufweisen werden. Ein solches Gutachten sollte die üblichen preisbildenden Faktoren wie Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage der Mietsache angemessen berücksichtigen.

  3. Entstehung des Anspruchs im Zeitpunkt der Vorenthaltung der Mietsache

    Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung zur Marktmiete besteht nach dem Gesetzeswortlaut ("für die Dauer der Vorenthaltung") bereits von Anfang der Vorenthaltung der Mieträume an. Der Wortlaut der Norm ist dabei mitunter etwas missverständlich formuliert, denn unter "Vorenthaltung" ist nicht nur die Nichtrückgabe der Mietsache zu verstehen. Vielmehr kann eine solche nach ständiger Rechtsprechung auch dann vorliegen, wenn z. B. der Mieter die Mietsache entgegen seiner mietvertraglichen Rückgabeverpflichtungen nicht im ordnungsgemäß geräumten Zustand zurückgibt und der Vermieter daher die Rücknahme der Mietsache in diesem Zustand zu Recht verweigern kann. 

  4.  Ordnungsgemäße Beendigung des Mietverhältnisses

    Die Geltendmachung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung setzt eine ordnungsgemäße Beendigung des Mietverhältnisses, etwa durch ordentliche Kündigung voraus. Es ist somit immer vorab sorgfältig zu prüfen, ob die Kündigung ihrerseits wirksam ist. Zu beachten sind vor allem vertragliche Regelungen zu Form und Zugang und gegebenenfalls sind diese ebenso auf deren Wirksamkeit hin zu überprüfen. Beispielsweise stellt die oftmals in Gewerberaummietraumverträgen verankerte Klausel, nach der eine Kündigung mit "eingeschriebenem Brief" erfolgen müsse, nach ständiger Rechtsprechung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Zugang der Erklärung dar, sofern diese Rechtsfolge nicht ausdrücklich als solche im Vertrag benannt ist; dies dient in der Regel vielmehr nur der Beweissicherung. Auch ist eine in Gewerberaummietverträgen durch AGB vorgesehene Schriftformklausel seit 01.10.2016 nach § 309 Nr. 13 lit. b) BGB unwirksam, so dass insofern die Textform (z.B. E-Mail) ausreicht (dies gilt hingegen nicht für Wohnraummietverträge, da dort die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist, § 568 Abs. 1 BGB).

  5. Beschleunigte Durchsetzung des Zahlungsanspruchs im Wege des Mahnverfahrens auch bei der Wohnraummiete

    Schließlich ist die Entscheidung vor dem Hintergrund des taktischen Kalküls vieler Wohnraummieter, nämlich dass Vermieter im Hinblick auf Kosten und Zeitaufwand häufig von einer Räumungsklage Abstand nehmen und eine einvernehmliche Lösung wünschen, insgesamt zu begrüßen. Da nunmehr die Debatte um die Bedeutung der 2. Alt. in § 546a Abs. 1 BGB auch im Wohnraummietrecht beendet ist, steht keine Rechtsfrage mehr im Raum, so dass sich nunmehr die Nutzungsentschädigung als Zahlungsanspruch relativ einfach im Wege eines Mahnverfahrens durchsetzen lässt. Für eine effektive Durchsetzung des Anspruchs ist jedoch eine einzelfallorientierte, anwaltliche Beratung empfehlenswert, was insbesondere die sorgfältige Überprüfung der Wirksamkeit der Vertragsbeendigung umfasst.
     

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