BGH: Leistungserbringung im Austauschverhältnis als Beweisanzeichen gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz
10/4/2019
Der Bundesgerichtshof (BGH) führt in seiner Entscheidung vom 18.07.2019 (IX ZR 258/18) seine Rechtsprechung zu den bei der Prüfung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes relevanten Beweisanzeichen fort. Danach kann es ein gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sprechendes Beweisanzeichen sein, wenn der Schuldner die angefochtene Leistung erbracht hat, um seinerseits eine Gegenleistung vom Anfechtungsgegner zu erhalten, selbst wenn die Voraussetzungen einer „bargeschäftsähnlichen Lage“ nicht vorliegen. Die Entscheidung ist zu § 133 Abs. 1 InsO in der bis zum 04.04.2017 gültigen Fassung (InsO a.F.) ergangen.
A. Sachverhalt
Die Insolvenzschuldnerin war aufgrund eines Tarifvertrages verpflichtet, monatliche Beiträge an die Beklagte (eine Urlaubskasse) zu zahlen. Diese Zahlungen führen, bei ausgeglichenem Beitragskonto, zu einem Anspruch der Insolvenzschuldnerin gegen die Beklagte auf Erstattung des von der Insolvenzschuldnerin an ihre Arbeitnehmer gezahlten Urlaubsgeldes. Ab 2010 geriet die Insolvenzschuldnerin mehrfach in monatelange Zahlungsrückstände. Die fälligen Forderungen konnten von der Beklagten wiederholt nur durch Pfändungen des Geschäftskontos durchgesetzt werden. Insgesamt erlangte die Beklagte in den Jahren 2010 bis 2013 EUR 28.366,85. Im Gegenzug erstatte die Beklagte der Insolvenzschuldnerin in den Jahren 2011 bis 2013 Urlaubsvergütungen i. H. v. EUR 19.457,30.
B. Die Entscheidung
Der BGH hob das klagestattgebende Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das Berufungsgericht.
Denn die Bejahung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes durch das Berufungsgericht war nach Ansicht des BGH nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht habe maßgebliche Umstände des Einzelfalles außer Acht gelassen. Zunächst noch richtig habe das Berufungsgericht erkannt dass ein starkes Beweisanzeichen für einen Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin aufgrund der vielfachen Rückstände und der mehrfach durchgesetzten Titulierungen gegeben sei.
Der BGH führt aus, dass der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht unter dem Aspekt des bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausches ausgeschlossen ist, da bereits keine zur Fortführung des Betriebs notwendige Leistung vorliege. Das Berufungsgericht habe aber außer Acht gelassen, dass die Beweisanzeichen nur indizielle Wirkung haben und der Benachteiligungsvorsatz aus anderen Gründen fehlen kann. Im konkreten Fall könnte der Insolvenzschuldnerin die Gläubigerbenachteiligung verborgen geblieben sein, wenn sie der berechtigten Annahme unterlegen war, dass durch die Leistung eine Gegenleistung in ihr Vermögen veranlasst wird. Die Insolvenzschuldnerin zahlte möglicherweise in dem Bewusstsein an die Beklagte „dadurch eine zwingende rechtliche Voraussetzung für die Durchsetzung von Erstattungsansprüchen gegen die Beklagte zu schaffen.“ Daher kann es am Bewusstsein der Insolvenzschuldnerin, die Gläubiger zu benachteiligen, in dem Umfang der erwarteten Vermögensrückflüsse gefehlt haben, wenn sie davon ausgegangen ist, mit den Zahlungen das Beitragskonto vollständig auszugleichen. Ebenso hätte es bei der Beklagten in gleicher Weise an einem Bewusstsein für eine Gläubigerbenachteiligung fehlen können und damit an der Kenntnis eines – sofern vorhanden – Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin.
C. Fazit
Die Entscheidung stellt eine Fortführung der Rechtsprechung des BGH zu den bei § 133 Abs. 1 InsO a.F. zu prüfenden „gegenläufigen Beweisanzeichen“, insbesondere der bargeschäftsähnlichen Lage“ dar. Damit erweitert der BGH die Fallgruppen, in denen trotz Vorliegens eines typischen Beweisanzeichen für die Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit kein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vorliegen kann.
Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob die Rechtsprechung diese Entscheidung auch auf andere Fälle des Leistungsaustausches anwenden wird. Zu denken ist hier beispielsweise an das sogenannte „Werthaltigmachen“ von sicherungsabgetretenen Forderungen durch den Schuldner. Auch in diesen Fällen dürfte zu prüfen sein, ob der Schuldner seine Leistung primär deshalb erbracht hat, um die Bezahlung seiner Forderung durch den Leistungsempfänger zu erlangen. Dies könnte dazu führen, dass es ebenfalls an einem Bewusstsein des Schuldners fehlt, seine Gläubiger zu benachteiligen. Die Entscheidung reiht sich in die ständige Rechtsprechungspraxis des BGH ein, wonach eine Einzelfallprüfung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes gefordert wird, so dass sich schematische Betrachtungen verbieten.
Haben Sie Fragen? Kontaktieren Sie gerne: Kathrin Strübing, LL.M oder Ben Kempe
Praxisgruppe: Restrukturierung & Insolvenz