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Brexit – Auswirkungen und Folgen für die Versicherungs­wirtschaft

28.06.2016

Am 23. Juni 2016 hat die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs dafür gestimmt, dass das UK aus der Europäischen Union austreten soll. Während weite Teile von England und Wales für einen Austritt votierten, haben sich Schotten, Nordiren und insbesondere der Großraum London dafür ausgesprochen, Mitglied in der EU zu bleiben. Neben den politischen Auswirkungen für die europäische Idee und den gegenwärtigen Diskussionen über den weiteren inneren Zusammenhalt in der britischen Gesellschaft werden derzeit die Folgen für die britische Wirtschaft, aber auch für den europäischen Wirtschaftsraum und dessen Beziehungen zum UK diskutiert. Zweifelsohne lässt sich heute schon feststellen, dass vom Brexit in besonderem Maße der Finanzmarkt London betroffen sein wird. Für Banken und Versicherer ist London der weltweit wichtigste Marktplatz, die City bietet global agierenden Unternehmen und deren Europazentralen über den EU-Pass uneingeschränkten Zugang zu den Volkswirtschaften der EU – und dies für die besonders intensiv regulierten Branchen der Versicherungen und Finanzdienstleistungen.

Mit dem folgenden Beitrag informieren wir über die möglichen rechtlichen Auswirkungen, die der Brexit für die Versicherungswirtschaft haben könnte, und zwar sowohl für deutsche Erst- und Rückversicherer sowie Versicherungsvermittler mit Geschäftstätigkeit in der City als auch für die dort ansässigen Unternehmen und deren Aktivitäten in Deutschland.

1. Mögliche Varianten des Vollzugs eines Austritts aus der EU

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU könnte auf verschiedenen Wegen vollzogen werden. Grundsätzlich ist die Möglichkeit eines Austritts eines Mitgliedstaats in Art. 50 EUV ausdrücklich geregelt. Allerdings bleibt die Norm bezüglich des genauen Vorgehens eher vage. Zudem gibt es bisher keine Erfahrungen mit ihrer Anwendung in der Praxis. Daneben sind verschiedene Austrittsmechanismen denkbar und schließlich ist unklar, in welcher Art und in welchem Umfang die EU und das UK neue Handelsabkommen nach dem Austritt schließen werden. Eines steht aber heute schon fest: Die Neuregelung der staatlichen Beziehungen zwischen dem UK und der EU sowie Drittstaaten wird einige Zeit brauchen und so zu einer Rechtsunsicherheit für die beteiligten Unternehmen führen. So wundert es nicht, dass bereits im Vorfeld des Referendums sich einige namhafte Versicherungsgruppen dahingehend geäußert haben, ihre Europazentrale aufs europäische Festland zu verlegen.

Theoretisch sind einige Austrittsszenarien möglich, von denen drei in die engere Betrachtung gezogen werden können. Erstens: Das UK könnte den Vorgaben aus Art. 50 Abs. 2 EUV folgen und dem Europäischen Rat seine Absichten mitteilen und danach in Verhandlungen über ein Austrittsabkommen eintreten. Es wäre jedoch auch möglich, bereits vor dem offiziellen Verfahren in Verhandlungen mit dem Europäischen Rat zu treten und erst nach Abschluss der Verhandlungen die offizielle Absichtsmitteilung abzugeben. Dieses Vorgehen könnte dazu führen, dass ein erneutes Referendum über den Austritt gemäß der ausgehandelten Bedingungen erwägt werden könnte. Zudem bestünde theoretisch die Möglichkeit, dass das UK die Mitgliedschaft einseitig beendet und den Vorrang des EU-Rechts aus den eigenen Gesetzen streicht. Aufgrund der politischen Konsequenzen und den völkerrechtlichen Nachwirkungen, welche durch ein solches Vorgehen ausgelöst würden, ist diese Alternative jedoch nicht realistisch.

Entscheidend wird sein, ob und wie das UK mit der EU ein Austrittsabkommen schließen wird, in dem die zukünftige wirtschaftliche Kooperation und Zusammenarbeit zwischen der EU und der Insel geregelt wird. Denkbar und schon heute diskutiert wird die Frage, ob das UK ähnlich Norwegen oder der Schweiz eine Mitgliedschaft im EWR oder EFT anstreben wird. Die Mitgliedschaft im EWR bedeutet freien Zugang zum Binnenmarkt, bei Fortwirken der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes und Geltung eines Großteils der Binnenmarktvorschriften der EU auch für die EWR Mitgliedstaaten. Nachteilig und politisch wohl weder vom UK noch von der EU gewollt ist der Umstand zu sehen, dass UK dann kein Mitbestimmungsrecht wie zuvor in der EU besitzen würde, trotzdem aber substantielle Zahlungen zu erbringen hätte. Naheliegender wäre daher eine Gestaltung der staatlichen Beziehungen zur EU ähnlich der Schweiz. Das EFT ist als Freihandelszone zu sehen, d.h. die EU Grundfreiheiten gelten nicht weiter, EU Rechtsvorschriften ebenfalls nicht und es sind stattdessen viele sektorale Abkommen zur Regelung der Wirtschaftsbeziehungen in den einzelnen Wirtschaftszweigen notwendig. So besteht beispielweise zwischen der EU und der Schweiz entsprechende Abkommen für die Versicherungswirtschaft, zuletzt hat die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA die Solvenzstandards der Schweiz, den „SST“ als Solvency II gleichwertig anerkannt und so die Geschäftstätigkeit in beide Richtungen erleichtert.

2. Vermögensanlagen der Versicherungsunternehmen

Auswirkungen hat der Brexit für Versicherungsunternehmen zuerst in rein finanzieller Hinsicht dadurch, dass Vermögensanlagen gehalten werden, die entweder direkt in UK belegen sind oder mittelbar von der Wirtschaftslage auf der Insel im Hinblick auf ihre Wertentwicklung abhängen. Diese nachteiligen Auswirkungen haben sich leider schon in den vergangenen Tagen in den Aktienkursen einiger bedeutender Versicherungsunternehmen widergespiegelt. 

3. Regulatorische Auswirkungen

Durch den Brexit wird das UK zunächst aller Voraussicht nach den direkten Zugang zum EU Binnenmarkt verlieren. Die europäischen Grundfreiheiten würden ihre Geltung verlieren, was den britischen Unternehmen den Zugang zum Binnenmarkt mit über 500 Millionen Menschen deutlich erschweren würde. Britische Versicherer, d.h. sowohl originär britische Versicherer als auch die Europazentralen von Drittstaaten-Versicherern mit Sitz in UK, könnten nicht mehr ohne weiteres in EU-Mitgliedsstaaten Niederlassungen eröffnen. Auch grenzüberschreitende Dienstleistungen würden deutlich erschwert oder gar unmöglich. Erforderlich und naheliegend wäre es daher, dass UK-Versicherer oder Drittstaaten-Versicherer in den verbliebenen EU-Staaten lizensierte Versicherungsunternehmen gründen, von denen aus dann über den EU-Pass die Grundfreiheiten der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in der EU eröffnet wäre. In versicherungsaufsichtsrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Hinsicht würde dies größere Umstrukturierungen für viele Unternehmen bedeuten, die mit entsprechend hohen Kosten verbunden wären. Zudem würden gegenseitige Investitionen zwischen dem UK und der EU durch den Wegfall der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs behindert. Auch die Rückübermittlung von Gewinnen würde erschwert.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass das UK gänzlich von dem europäischen Regulierungssystem Solvency II abrücken wird. Zum einen haben die britischen Versicherer die einschlägigen europäischen Maßgaben bereits umgesetzt, d.h. die damit einhergehenden Kosten sind bereits verursacht. Zum anderen hat die britische Aufsicht bereits klargestellt, dass sie im Vergleich zu Solvency II noch striktere Regulierungsvorschriften befürworten würde. Entscheidend dürfte aber sein, dass die britische Versicherungswirtschaft nur dann eine wirkliche Chance auf eine weiterhin bedeutende Rolle in der Versicherungswelt hat, wenn sie sich den bisherigen Regulierungsstandards verpflichtet und damit ähnlich der Schweiz als gleichwertiger Partner im Sinne bilateraler Abkommen akzeptiert wird.

Im Ergebnis ist als Folge des Ausstiegs des UK aus der EU davon auszugehen, dass tatsächlich, wie schon im Vorfeld von einigen global agierenden Versicherungsgruppen angekündigt, es zu einer Verlagerung der Europa-Zentralen weg von London und hin zum europäischen Festland kommen wird. War bislang das Eintrittsticket für diese Marktteilnehmer der EU Pass, ausgestellt zugunsten des Versicherungsunternehmens in London und für die Niederlassung in den einzelnen Mitgliedstaaten, wird diese Grundfreiheit und damit diese Erleichterung künftig wegfallen. Stattdessen ist davon auszugehen, dass in näherer Zukunft einige Versicherungsunternehmen in Kontinentaleuropa eine Lizenz beantragen werden. Sehr zu wünschen ist heute schon, dass dann die lokalen Aufseher und insbesondere auch die BaFin schneller als bisher solche existentiellen Schritte ermöglichen werden. Dies nicht zuletzt auch im Interesse des Wirtschafts- und Versicherungsstandorts Deutschland. 

4. Vertragsanpassungen

Der Brexit wird sich auch auf die Vertragsgestaltung in Zusammenhang mit Versicherungsverträgen auswirken. Änderungen können sich zunächst mit Blick auf das anwendbare Recht ergeben. Schließt beispielsweise ein Versicherer einen Versicherungsvertrag mit einem Versicherungsnehmer, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seinen Sitz in einem EU Mitgliedstaat hat und deckt der Versicherungsvertrag keine Großrisiken, so findet mangels Rechtswahl nach Art. 7 Rom I VO (Verordnung (EG) Nr. 593/2008) das Recht des Staates Anwendung, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt/Sitz hat. Eine Rechtswahl ist nur in den Grenzen von Art. 7 Abs. 3 Rom I VO zulässig. Hat der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt/Sitz dagegen in einem Drittstaat, können die Parteien das anwendbare Recht frei wählen. Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, findet das Recht des Staates Anwendung, in dem der Versicherer seinen Sitz bzw. seine Niederlassung hat. Schließt nach Austritt des UK also ein deutscher Versicherer einen Versicherungsvertrag mit einem Kunden im UK können die Parteien das anwendbare Recht frei wählen. Erfolgt keine Rechtswahl, so findet anders als bisher deutsches Recht Anwendung.
 

Das Versicherungsvertragsgesetz („VVG“) bezieht sich an verschiedener Stelle auf unionsrechtliche Regelungen. Für das UK ist Unionsrecht hingegen grundsätzlich nicht mehr maßgeblich, sobald es aus der EU ausgetreten ist. Im UK findet dann ausschließlich nationales Recht Anwendung. Dies kann sich beispielsweise auf die Qualifizierung eines Risikos als Großrisiko auswirken. Ob ein Großrisiko vorliegt, kann unter anderem von der Unternehmensgröße des Versicherungsnehmers abhängen. Zur Feststellung der Unternehmensgröße sind die Zahlen des Konzernabschlusses maßgeblich, wenn das Unternehmen nach § 290 Handelsgesetzbuchs („HGB“), nach § 11 Publizitätsgesetzes (PublG) oder entsprechend den Anforderungen nach der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 einen Konzernabschluss aufzustellen hat. Auf UK Unternehmen wird diese Regelung infolge des Brexit grundsätzlich keine Anwendung mehr finden.

Die Auswirkungen eines Austritts zeigen sich auch in Zusammenhang mit den Regelungen zur Krankenversicherung. Nach § 207 Abs. 3 VVG setzt sich das Versicherungsverhältnis in der Krankenversicherung fort, wenn eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR verlegt. Dies wird zukünftig wohl nicht mehr gelten, wenn ein Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das UK verlegt. 

5. Datenschutzrecht u.a.

Über das Versicherungsrecht hinaus wird der Brexit auch in anderen Bereichen Konsequenzen nach sich ziehen. Dies gilt insbesondere für das Datenschutzrecht. So findet das Bundesdatenschutzgesetz („BDSG“) keine Anwendung, wenn eine verantwortliche Stelle eines anderen EU/EWR Mitgliedstaats personenbezogene Daten im Inland erhebt, verarbeitet oder nutzt, ohne dass die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung durch eine Niederlassung erfolgt. Erfolgt die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung in Deutschland hingegen durch eine Stelle, die nicht in einem EU/EWR Mitgliedstaat belegen ist, findet das BDSG Anwendung (§ 1 Abs. 5 BDSG).
 

Auch das Sozialrecht ist betroffen. Die Regeln des EU-Sozialrechts gelten grundsätzlich nur für EU-Bürger, nicht für Drittstaatsangehörige. Für Drittstaatsangehörige und deren Familienangehörige ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nach der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 aber anwendbar, wenn der Drittstaatsangehörige seinen Wohnsitz in einem EU Staat hat und eine grenzüberschreitende Komponente mit einem anderen EU Staat vorliegt. Da das UK der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 nicht zugestimmt hatte, galt die Verordnung im UK ohnehin nicht. Änderungen ergeben sich aber dadurch, dass das UK durch den Brexit den Status eines Drittstaats einnehmen wird. Inwieweit in dem UK zurückgelegte Beschäftigungszeiten dann beispielsweise für die deutsche Rente zu berücksichtigen sein werden, wird von den Abkommen abhängen, welche die EU und das UK infolge des Brexit schließen werden.

Die vorstehenden Folgen seien nur beispielhaft genannt. Der Brexit wird sich unter anderem auch im Steuerrecht oder Arbeitsrecht bemerkbar machen. 

6. Fazit

Die tatsächlichen Auswirkungen des Brexit zeigen sich bereits jetzt. Vermögensanlagen, deren Wertentwicklung von der auf absehbare Zeit unsicheren Wirtschaftslage im UK abhängig sind, sind nachhaltig betroffen.
 

Die rechtlichen Auswirkungen eines Austritts des UK aus der EU sind von den Neuregelungen der staatlichen Beziehungen zwischen der EU und dem UK abhängig und bleiben abzuwarten. Die bis dahin bestehende Rechtsunsicherheit wird allerdings sehr wahrscheinlich viele global agierende Versicherungsgruppen bereits heute veranlassen, ihre Europa-Zentralen weg von London und hin zum europäischen Festland zu verlagern. Dies allein dürfte gegenwärtig der einzige sichere Weg sein, den uneingeschränkten Zugang zum EU-Binnenmarkt auch in aufsichtsrechtlicher Hinsicht sicherzustellen.

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