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Das Haager Gerichts­stands­überein­kommen ist in Kraft

02.12.2015

Am 01.10.2015 ist das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.06.2005 (HGÜ) in der Europäischen Union in Kraft getreten. Mit dem Übereinkommen soll für international tätige Unternehmen, die in grenzübergreifende Rechtsstreitigkeiten verwickelt sind, eine gerichtliche Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit geschaffen werden, für die mit dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 ein vereinheitlichtes Regelwerk bereits lange und erfolgreich etabliert ist. Im Gegensatz zum New Yorker Übereinkommen gilt das HGÜ in räumlicher Hinsicht bislang allerdings sehr eingeschränkt. Neben den EU-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Dänemarks hat nur Mexiko das Übereinkommen bereits ratifiziert. Die USA und Singapur sind zwar Unterzeichner des HGÜ, haben das Übereinkommen bislang aber nicht ratifiziert.

Wesentliche Regelungen

  • Anwendungsbereich

Das Übereinkommen gilt für internationale Sachverhalte, in denen ein ausschließlicher Gerichtsstand in Zivil- und Handelssachen vereinbart ist und an denen kein Verbraucher beteiligt ist. Ausgeschlossen ist die Anwendbarkeit des HGÜ u.a. in arbeitsrechtlichen und kartellrechtlichen Angelegenheiten sowie im Hinblick auf außervertragliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung wegen Sachschäden.

  • Ausschließliche Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts

Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen legt im Wesentlichen die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts eines Vertragsstaats fest, dessen Zuständigkeit Gegenstand einer nach dem Übereinkommen wirksam zustande gekommenen Gerichtsstandsvereinbarung ist. Diese ausschließliche Zuständigkeit ist von den übrigen Gerichten der Vertragsstaaten zu respektieren.

  • Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung

Art. 3 lit. c des HGÜ sieht vor, dass eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Übereinkommens schriftlich oder in einer anderen Form der Dokumentation abgefasst sein muss. Vorausgesetzt ist, dass später auf die Information über die Vereinbarung eines Gerichtsstands zurückgegriffen werden kann. Sofern die Gerichtsstandsvereinbarung als Klausel Teil eines Gesamtvertrags ist, ist die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung losgelöst von der Gültigkeit des restlichen Vertrags zu bestimmen. Sie ist als unabhängige Vereinbarung zu behandeln und wird nicht von der Unwirksamkeit des Vertrags berührt.

  • Anerkennung und Vollstreckung

Eine Entscheidung des in einer Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließlich zuständig benannten Gerichts ist schließlich nach Art. 8 Abs. 1 des HGÜ in den anderen Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Die Anerkennung und Vollstreckung darf dabei – entsprechend dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 – nur aus Gründen versagt werden, welche im Haager Gerichtsstandsübereinkommen aufgeführt sind. Art. 9 des HGÜ nennt nur gewichtige Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung, wie etwa die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, die fehlende Möglichkeit zur Mitwirkung für die beklagte Partei, die Erlangung der Entscheidung durch Prozessbetrug oder ein durch die Anerkennung und Vollstreckung zu befürchtender Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des Vertragsstaats, in welchem vollstreckt werden soll. Die Liste der Versagungsgründe ist abschließend. Insbesondere ist eine weitergehende Überprüfung der Gerichtsentscheidung in der Sache nicht zulässig (Verbot der révision au fond).

Im Hinblick auf eine mögliche Ratifizierung des Übereinkommens durch die USA ist aus Sicht deutscher Parteien zudem bemerkenswert, dass die Anerkennung und Vollstreckung nach Art. 11 des HGÜ ferner versagt werden kann, wenn die Entscheidung einen Schadensersatz zuspricht, welcher keine Kompensation eines tatsächlich erlittenen Schadens darstellt. Hierzu zählt der in den USA zulässige und relevante Strafschadensersatz (punitive damages) mit häufig recht hohen Summen, der nach dem Verständnis des deutschen Rechts gegen den (deutschen) ordre public verstößt. Insofern stellt die ausdrückliche Erwähnung des Strafschadensersatzes in Art. 11 jedoch lediglich eine Klarstellung dar. Deutsche Gerichte hätten auch ohne diese Vorschrift eine Anerkennung und Vollstreckung entsprechender U.S.-Urteile nach Art. 9 des HGÜ wegen Verstoßes gegen den ordre public versagen können. Eine Auswirkung auf die (noch nicht erfolgte) Ratifikation des HGÜ durch die USA dürfte daher eher nicht zu befürchten sein, insbesondere weil die USA das Übereinkommen einschließlich Art. 11 unterzeichnet haben und das HGÜ als solches auf eine Initiative der USA zurückgeht.

Entstehungsgeschichte

 

Das erst jetzt in der EU in Kraft getretene Haager Übereinkommen ist bereits im Jahr 2005 aus dem so genannten „Judgements Project“, einer Initiative der USA aus dem Jahr 1992, hervorgegangen. Ziel dieser Initiative war es, ein weltweites Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung zivilrechtlicher Gerichtsentscheidungen zu schaffen. Nachdem erkennbar war, dass ein solch weitreichendes Übereinkommen (noch) nicht zu realisieren war, entschied sich die Haager Konferenz, die Verhandlungen auf die Ausarbeitung von Regeln für die internationale Zuständigkeit aufgrund von Gerichtsstandsvereinbarungen im Geschäftsverkehr zu beschränken. Im Sinne eines „kleinsten gemeinsamen Nenners“ führten die Arbeiten letztlich zur Verabschiedung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen im Jahr 2005. Die Justizminister der EU-Mitgliedsstaaten haben den Beitritt zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen schließlich am 10.10.2014 beschlossen.

Verhältnis zur EuGVVO (Brüssel-I-Verordnung)

Die neugefasste Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) vom 10.01.2015 (zur Besprechung der neuen Fassung der EuGVVO s. hier) betrifft jedenfalls in Teilen einen ähnlichen sachlichen Anwendungsbereich. Die EuGVVO enthält ebenfalls Vorschriften zur Beachtlichkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25) sowie zur Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen (Art. 36 ff.).

Das Verhältnis der Bestimmungen des HGÜ zu anderen EU-Vorschriften – und damit auch zur EuGVVO – regelt Art. 26 Abs. 6 des Übereinkommens. Danach hat die EuGVVO Vorrang vor dem HGÜ, wenn beide Parteien ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat in der EU haben. Der momentane Anwendungsbereich des Haager Gerichtsstandsübereinkommens beschränkt sich damit auf Gerichtsstandsvereinbarungen im Verhältnis eines EU-Mitgliedsstaats (mit Ausnahme Dänemarks) zu Mexiko.

Ausblick

Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen schafft eine gewisse Vereinheitlichung der Vorschriften über die Zuständigkeit der Gerichte und die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen. Auf der Grundlage des HGÜ ist die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen grundsätzlich erleichtert, da zum einen das Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit nach § 328 ZPO entfällt. Zum anderen greift ein nur eingeschränkter Kanon an Gründen für eine Versagung der Anerkennung und Vollstreckung. Zudem besteht ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit über die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Kontext. Damit holt das HGÜ etwas nach, das in der Schiedsgerichtsbarkeit mit dem New Yorker Übereinkommen bereits seit 1958 vorhanden ist.

Diese Vorteile wirken sich allerdings erst dann spürbar aus, wenn neben Mexiko und der EU weitere Staaten das HGÜ ratifiziert haben sollten. Bislang ist die praktische Bedeutung des Übereinkommens angesichts des Ratifikationsstands dagegen überschaubar. Insofern dürfte das Haager Gerichtsstandsübereinkommen bisher keinen ernsthaften Wettbewerb für das New Yorker Übereinkommen, das in fast 150 Staaten gilt, und die Schiedsgerichtsbarkeit generell darstellen.

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