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Der Richt­linien­vorschlag zu trans­parenten und verlässlichen Arbeits­bedingungen in der Europäischen Union – Vorläufige Einigung über neue Regeln für neue Beschäf­tigungs­formen

21.02.2019

Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat haben am 07. Februar 2019 eine vorläufige Einigung über den Gesetzgebungsvorschlag der Europäischen Kommission von Dezember 2017 zu transparenten und verlässlicheren Arbeitsbedingungen erzielt. Ziel ist die Neuordnung von Rahmenbedingungen für neue Beschäftigungsformen.

Hintergrund der vorläufigen Einigung ist die Einschätzung der Europäischen Union, die Richtlinie 91/533/EWG aus dem Jahr 1991 (sog. Richtlinie über schriftliche Erklärungen, von Deutschland durch das Nachweisgesetz umgesetzt) werde aufgrund der voranschreitenden gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen der heutigen Arbeitsmarktrealität nicht mehr gerecht. Sie müsse modernisiert werden.

Seit Erlass der RL 91/533/EWG haben sich, unter anderem aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und der erhöhten Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, das Spektrum der Erwerbstätigen erweitert und die Formen bestehender Beschäftigungsverhältnisse vervielfältigt. So arbeiten heute Millionen von Arbeitnehmern in der Europäischen Union in sog. atypischen Arbeitsverhältnissen. Darunter fallen beispielsweise

  • Arbeit auf Abruf,

  • befristete Arbeitsverträge (auch „Zeitverträge“ genannt) und

  • sog. Gelegenheitsjobs.

Auf der einen Seite schaffen diese Entwicklungen durch neuartige Einsatzmöglichkeiten mehr Arbeitsplätze. Andererseits bergen sie aber - so die Einschätzung der Europäischen Union -  aufgrund der unterschiedlichen innerstaatlichen Handhabung durch die einzelnen Mitgliedstaaten auch Gefahren für die Rechte der Arbeitnehmer sowie für die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitgeber. Durch die Schaffung europaweiter Standards für weitaus mehr Beschäftigte (nach der Schätzung der Kommission im Vergleich zur RL 91/533/EWG ca. 2 bis 3 Millionen mehr Beschäftigte) soll diesen Risiken entgegengewirkt werden. Der Vorschlag zielt z.B. auf Beschäftigte von Fast-Food-Ketten, in Logistikzentren und Supermärkten, aber auch auf Plattform-Mitarbeiter, wie z.B. On-Demand-Fahrer oder Kuriere.

Geplant ist in diesem Zusammenhang zunächst ein einheitlicher, an die Rechtsprechung des EuGH angepasster Arbeitnehmerbegriff.

  • Damit soll verhindert werden, dass die Europäischen Mitgliedstaaten in ihrer Umsetzung bestimmte Arbeitnehmerkategorien und Beschäftigungsformen ausklammern und damit je nach Mitgliedstaat unterschiedliche Anforderungen an das Schutzniveau gestellt werden.

  • Hilfreich wäre, wenn die EU dies zum Anlass nähme, Unklarheiten und Unschärfen des bisherigen Arbeitnehmerbegriffs (Bsp.: der Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer i.S.d. Massenentlassungsrichtlinie) auszuräumen. Ob dies geschieht, bleibt abzuwarten.

Zudem sieht die vorläufige Einigung eine Reihe - jedenfalls auf europäischer Ebene - neuer Mindestrechte für Arbeitnehmer vor. Durch umfassendere arbeitsvertragliche Regelungen und verlässlichere Arbeitszeiten soll mehr Planungssicherheit und Klarheit über die Arbeitsbedingungen verschafft werden:

  • So sollen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer künftig schon bei Beschäftigungsbeginn umfassender über ihre Rechte und Pflichten informieren. Dies gilt unabhängig von der Länge der Vertragslaufzeit und der Anzahl der Arbeitsstunden. Leiharbeitnehmer sollen z.B. vorab über die Unternehmen informiert werden, an die sie entliehen werden.
  • Arbeitnehmer sollen das Recht erhalten, mit ihrem Arbeitgeber zu vereinbaren, für welchen Zeitraum sie auf Abruf bereitstehen müssen und wie viel Zeit im Voraus der Arbeitgeber ihnen über ihren Einsatz Bescheid zu geben hat. So soll der Arbeitgeber, beauftragt er seinen Arbeitnehmer zu kurzfristig, diesen wegen Nichterscheinens auch nicht entlassen dürfen.
  • Arbeitnehmern in sog. Nullstundenverträgen soll durch ein Verbot von Ausschließlichkeitsklauseln und durch Einschränkungen für Unvereinbarkeitsklauseln die Möglichkeit der Mehrfachbeschäftigung erlaubt sein.
  • Die Höchstdauer der Probezeit soll auf sechs Monate begrenzt werden. Nach Ablauf dieser sechs Monate der Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber sollen die Arbeitnehmer den Übergang in eine Beschäftigung mit vorhersehbareren und sichereren Arbeitsbedingungen ersuchen dürfen.
  • Den Arbeitnehmern sollen kostenlose Fortbildungen angeboten werden, wenn solche nach den jeweiligen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder der Mitgliedstaaten verpflichtend sind.
  • Schließlich soll durch die Stärkung der Durchsetzungsmöglichkeiten der aufgeführten Rechte sichergestellt werden, dass die Arbeitnehmer auch tatsächlich von ihnen Gebrauch machen und profitieren.

Denkbar ist, dass die Richtlinie teilweise zur Änderung deutscher Gesetze zwingt. Betroffen sein können insbesondere das Nachweisgesetz und das Teilzeitbefristungsgesetz (§ 12 Abrufarbeit und §§ 14 ff. Befristungen), aber auch die erst vor kurzem vorgenommene Definition des Arbeitnehmerbegriffs in § 611a BGB sein.

Abzuwarten bleibt die genaue Umsetzung dieses Vorschlags nach dessen förmlicher Annahme durch das Europäische Parlament und den Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Unternehmen - insbesondere Fokusunternehmen der Plattformindustrie, Fast-Food-Ketten, Logistikunternehmen und Supermärkte - sollten sich aber strategisch bereits jetzt auf entsprechende Spielregeln einstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn neue flexible Beschäftigungsformen genutzt werden sollen. Denkbar ist aber z.B. auch, dass sich die Vorgaben für „Arbeit auf Abruf“, Teilzeit und „Gelegenheitsjobs“ auf die Nutzung von Crowd-Workern auswirken. Das Qualifizierungschancengesetz (wir berichteten) sieht zwar noch keine verpflichtenden kostenlosen Fortbildungen infolge der Digitalisierung vor, ist aber bereits ein erster Schritt in diese Richtung, sodass auch diese Entwicklung von Personalabteilungen im Blick behalten werden sollte.

Arbeitsrecht

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