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Die Auswirkungen des Brexits auf Arznei­mittel­zulassungen

07.01.2019

Anschließend an unseren Beitrag „Brexit mit oder ohne Deal: Folgen für Pharmaunternehmen“, der einen allgemeinen Überblick über die Herausforderungen für Pharmaunternehmen gab, befasst sich dieser Beitrag speziell mit den Auswirkungen des Brexits auf Arzneimittelzulassungen. Ob es einen Brexit mit oder ohne Deal geben wird, ist dabei im Hinblick auf Arzneimittelzulassungen eher zweitrangig – diese Frage bestimmt vornehmlich die Frist, innerhalb derer sich Pharmaunternehmen mit der neuen Rechtslage konfrontiert sehen (siehe dazu den Ausblick unten in Ziff. 3.). Lediglich ein sehr unwahrscheinlicher „Exit vom Brexit“, also die Rückgängigmachung des Austritts, könnte die nachstehend skizzierten Folgen noch abwenden. Darauf sollte aber nach aktuellem Stand kein Unternehmen auch nur spekulieren.

Dies vorausgeschickt, unterscheiden sich die Auswirkungen des Brexits auf Arzneimittelzulassungen danach, um welche Art von Zulassung es sich handelt. Rein nationale Zulassungen gelten sowohl vor als auch nach dem Brexit weiterhin für ihr jeweiliges Geltungsland. Hingegen werden zentrale Zulassungen sowie solche nationale Zulassungen, die nach europäischen Verfahren für mehrere Mitgliedstaaten erteilt worden sind (MRP/DCP-Zulassungen), vom Brexit betroffen sein.

Zentrale Zulassungen 

Zentrale Zulassungen sind solche Zulassungen, die aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 für das Gebiet aller Mitgliedsstaaten des europäischen Wirtschaftsraums (EU-Mitglieder, Island, Liechtenstein und Norwegen) erteilt worden sind.

Ausstellende Behörde ist die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die ihren Sitz aufgrund des Brexits bereits von London nach Amsterdam verlegt hat (Verordnung (EU) Nr. 2018/1718). Die der Zulassungsentscheidung zugrunde liegenden Bewertungsberichte werden dabei aber nicht durch die EMA selbst abgegeben, sondern durch die zuständigen Behörden zweier Mitgliedstaaten, die als Rapporteur bzw. Co-Rapporteur die Federführung für den betroffenen Zulassungsantrag übernommen haben.

Sobald das Vereinigte Königreich aus dem Geltungsbereich der Zentralen Zulassungen ausgetreten ist, kann es für Zentrale Zulassungen nicht mehr die (Co-)Rapporteur-Funktion übernehmen. Für bestehende Zulassungen und laufende Zulassungsverfahren wurde daher bereits anhand eines in der Preparedness Working Group bei der Europäischen Arzneimittelagentur entworfenen Verfahrens die Umverteilung des UK-Portfolios auf die nationalen Zulassungsbehörden der EU-27 vorgenommen. Einen Großteil der vom Vereinigten Königreich betreuten (Co-)Rapporteurschaften im Humanarzneimittelbereich hat dabei Deutschland, und hier konkret das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), erhalten (vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten der FDP-Fraktion, BT-Drucks 19/5161). Die Verteilung der britischen (Co-)Rapporteurschaften erfolgt dabei zentral über die Europäische Arzneimittelagentur. Eine gesonderte Veranlassung der betroffenen Zulassungsinhaber ist nicht erforderlich.

Allerdings werden Inhaber von Zentralen Zulassungen für den Vertrieb ihrer Arzneimittel im Vereinigten Königreich die Erteilung von nationalen britischen Zulassungen neu beantragen müssen. Denn da sich Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr im Gebiet des europäischen Wirtschaftsraums befinden wird, werden Zentrale Zulassungen in Großbritannien ihre Gültigkeit verlieren. Es empfiehlt sich daher, jetzt schon in Vorbereitung auf den Brexit eine solche nationale Zulassung zu beantragen. Der Antrag auf eine rein nationale Zulassung ist zwar neben einer Zentralen Zulassung grundsätzlichen unzulässig. Die britische Zulassung kann jedoch für den Zeitpunkt beantragt werden, zu dem die Zentrale Zulassung für das Vereinigte Königreich ihre Gültigkeit verliert. Auf dem britischen Territorium würde die rein nationale Zulassung daher nicht kumulativ zur Zentralen Zulassung bestehen.

Wollen Pharmaunternehmen mit Sitz in Großbritannien unter einer Zentralen Zulassung Arzneimittel weiterhin innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums vertreiben, ist es erforderlich, dass sie ihren Sitz in den Europäischen Wirtschaftsraum verlegen oder sich einen Europäischen Repräsentanten suchen, der für sie den Vertrieb des Arzneimittels im EWR übernimmt. Auch die mit dem Vertrieb einhergehenden Pflichten wie Pharmakovigilanz und Freigabeerklärungen können innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums nur von einem Verantwortungsträger mit Sitz in der EU übernommen werden.

Dies hat zur Folge, dass für den Vertrieb von Arzneimitteln sowohl im Europäischen Wirtschaftsraum als auch im Vereinigten Königreich der Aufbau dualer Vertriebsstrukturen erforderlich wird.

Für weitere Informationen empfehlen wir die von der Europäischen Arzneimittelagentur veröffentlichten Dokumente zur „Guidance on centrally authorised products“.

MRP/DCP-Zulassungen 

MRP/DCP-Zulassungen sind jeweils nationale Zulassungen, die innerhalb der Europäischen Union für mehrere – aber nicht zwingend alle – EU-Mitgliedstaaten erworben werden können.

Sie unterscheiden sich wie folgt: Beim Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (Mutual Recognition Procedure, MRP) wird eine durch einen Mitgliedstaat erteilte Zulassung von den jeweils anderen beteiligten Mitgliedstaaten anerkannt. Beim dezentralisierten Verfahren (Decentralised Procedure, DCP) wird der Antrag für die nationalen Zulassungen jeweils gleichzeitig in einem einheitlichen Verfahren gestellt. Beiden Verfahren gemein ist, dass jeweils ein Mitgliedstaat als verfahrensführendes Land (sog. Reference Member State, RMS) einen Bewertungsbericht erstellt, der die Grundlage für die Entscheidung zur Zulassungserteilung in den beteiligten Mitgliedsstaaten (sog. Concerned Member State, CMS) darstellt.

Sobald das Vereinigte Königreich aus dem Geltungsbereich der MRP/DCP-Zulassungen ausgetreten ist, kann es für diese MRP/DCP-Zulassungen nicht mehr die Funktion als Reference Member State übernehmen. Für bereits laufende Zulassungsverfahren, bei denen Großbritannien die Funktion als Reference Member State innehat, ist es daher erforderlich, den Wechsel dieser Funktion zu veranlassen. Der Wechsel setzt die Antragsstellung des Zulassungsinhabers voraus; ein automatischer Wechsel findet nicht statt. Die Koordinierungsgruppe für Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und Dezentralen Verfahren (Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures, CMDh) hat in die Vorlage für den Wechsel-Antrag den Austritt eines Mitgliedsstaat aus der Europäischen Union nach Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union als mögliche Antragsbegründung mit aufgenommen und hierdurch ausdrücklich als legitimen Wechsel-Grund anerkannt.

Auf den Bestand der MRP/DCP-Zulassungen hat der Brexit keine unmittelbare Auswirkung, da diese Zulassungen trotz des gemeinschaftlichen Antragsverfahrens im Ergebnis ausschließlich nationale Zulassungen sind. Sie bleiben somit im jeweiligen Geltungsland gültig. Sollten hingegen nach den Brexit Änderungen bei den Zulassungen erforderlich und Großbritannien weiterhin noch als Reference Member State für die Zulassung verantwortlich sein, wäre für eine Variation der Wechsel des Reference Member State wie vorgehend beschrieben erforderlich. Es empfiehlt sich daher auch für bereits bestehende Zulassungen, jetzt schon den Wechsel von Großbritannien als Reference Member State zu veranlassen.

Für weitere Informationen empfehlen wir das von der Koordinierungsgruppe für Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und Dezentralen Verfahren veröffentlichte Dokument „Practical guidance for procedures related to Brexit for medicinal products for human use approved via MRP/DCP“.

Ausblick 

Im Januar 2019 wird das britische Parlament über den von Theresa May mit der Europäischen Union ausgehandelten „Exit-Deal“ abstimmen. Diese Austrittsvereinbarung würde zum einen sicherstellen, dass der Austritt Großbritanniens erst ab 1. Januar 2021 voll wirksam wird. Pharmaunternehmen hätten für die genannten Maßnahmen somit noch bis Ende 2020 Zeit. Zum anderem sieht die Austrittsvereinbarung für laufende Zulassungsverfahren in Artikel 44 eine Regelung vor, wonach britische Behörden alle relevanten Dokumente denjenigen Behörden zur Verfügung stellen, die nach dem Brexit für das jeweilige Zulassungsverfahren die Verantwortung übernommen haben. Das würde es den Unternehmen in bereits laufenden Verfahren zumindest ersparen, bereits eingereichte Zulassungsunterlagen nochmals bei der nunmehr zuständigen Behörde der EU-27 einreichen zu müssen.

Schließlich besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass Großbritannien seine Rücktrittserklärung widerruft. Die Zulässigkeit eines solchen einseitigen „Rücktritts vom Rücktritt“ hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2018 (EuGH, 10.12.2018 - C-621/18, Wightman u.a.) inzwischen bestätigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die britische Regierung den Brexit noch rückgängig machen wird, dürfte jedoch nach wie vor äußerst gering sein. Den betroffenen Pharmaunternehmen ist daher zu empfehlen, frühzeitig die oben beschriebenen Maßnahmen vorsorglich in die Wege zu leiten.

Weiterführende Links:

Draft agreement on the withdrawal of the UK from the EU

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