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Die Akteneinsichtspflicht der Kommunen nach § 47 Abs. 3 EnWG und die Folgen der Nichteinhaltung im Zivilprozess

09.01.2020

Das EnWG verlangt seit Einführung des § 47 von dem Bewerber um den Abschluss des Konzessionsvertrages, dessen Angebot nicht angenommen werden soll, innerhalb von 30 Kalendertagen ab Mitteilung über die Auswahlentscheidung erkennbare Rechtsverletzungen betreffend die Auswahlentscheidung zu rügen. Im Falle der Nichtabhilfe muss er die gerügten Rechtsverletzungen innerhalb von 15 Kalendertagen gerichtlich geltend machen, um nicht präkludiert zu sein. Da die Auswahlentscheidung im »Geheimen« erfolgt, sind Rechtsverletzungen meist erst durch Einsicht in die Verfahrensakte erkennbar. Dementsprechend sieht § 47 Abs. 3 EnWG ein Akteneinsichtsrecht vor. Es ist aber zu versagen, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geboten ist. Der Beitrag stellt die aktuelle Rechtsprechung zum Akteneinsichtsrecht und dessen Grenzen dar.

Einleitung

Seit Beginn der Liberalisierung der Energiemärkte in 1998 hat der Wettbewerb um die Vergabe von Wegerechten für die Verlegung und den Betrieb von Strom- und Gasnetzen der allgemeinen Versorgung stetig zugenommen. Nicht zuletzt infolge der (Re-)Kommunalisierungsbestrebungen bei zahlreichen Kommunen bewerben sich in der Regel mindestens zwei Unternehmen um den jeweiligen Abschluss des neuen Konzessionsvertrages mit der Kommune. Das EnWG regelte zunächst das Konzessionsverfahren nur in zwei Vorschriften. Angesichts einer Vielzahl an offenen Rechtsfragen, auslegungsbedürftigen Formulierungen und unterschiedlicher Interessen der Beteiligten kam es in der Folgezeit zu einer Fülle von Rechtsstreitigkeiten.

Verschiedene Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und mehrere Anpassungen in den §§ 46 und 48 EnWG durch den Gesetzgeber führten zu keiner Befriedung. Der Gesetzgeber wurde daher in der Folgezeit erneut aktiv.

Einführung des Rügeregimes

Mit dem zum 03.02.2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zur leitungsgebundenen Energieversorgung führte der Gesetzgeber u.a. ein mehrstufiges Rüge- und Präklusionsregime ein. Danach obliegt es den Bewerbern um die jeweilige Konzession, die für sie erkennbaren Rechtsverletzungen bereits in drei verschiedenen Verfahrensstadien gegenüber der Kommune innerhalb der im EnWG festgelegten Fristen zu rügen. Dies betrifft zum einen Rechtsverletzungen, die aus einer Bekanntmachung nach § 46 Abs. 3 EnWG oder die aus einer Mitteilung nach § 46 Abs. 4 S. 4 EnWG erkennbar sind. Darüber hinaus sind Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung, die aus einer Information nach § 46 Abs. 5 S. 1 EnWG erkennbar sind, innerhalb von 30 Kalendertagen ab deren Zugang zu rügen.

Hilft die Kommune der jeweiligen Rüge nicht ab, muss der Bewerber innerhalb der im Gesetz festgelegten Frist von 15 Kalendertagen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei dem jeweils zuständigen Landgericht stellen. Hält der Bieter dieses Procedere nicht ein, ist er mit den Einwänden gegen erkennbare Rechtsverletzungen ausgeschlossen.

Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 EnWG und seine Grenzen

Die Möglichkeit des unterlegenen Bewerbers, Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung der Kommune erkennen zu können, ist in der Regel sehr begrenzt. So findet die Auswertung der Angebote und die Entscheidung der Kommune über den zukünftigen Konzessionsvertragspartner im Geheimen statt. Die Kommunen sind sodann allerdings nach § 46 Abs. 5 S. 1 EnWG verpflichtet, die Unternehmen, deren Angebote nicht angenommen werden sollen, über die Gründe der vorgesehenen Ablehnung ihres Angebots zu informieren. Ausweislich der Gesetzesbegründung dienen diese Informationspflichten der sachgerechten Ausgestaltung der Rügepflicht in Bezug auf die konkrete Unternehmensauswahl. Es müsse für einen unterlegenen Bewerber klar erkennbar sein, warum ein anderer Bewerber den Vorzug erhalten soll. Der unterlegene Bewerber müsse den bestmöglichen Einblick in die Erwägungen der Gemeinde für deren diskriminierungsfreie Sachentscheidung haben.

In der Praxis lassen Informationsschreiben der Kommunen indes regelmäßig etwaige Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung nicht erkennen. Häufig enthalten diese Schreiben nur eine kurze Zusammenfassung einzelner Gründe für die Auswahlentscheidung. Dies war offensichtlich auch dem Gesetzgeber bewusst mit der Folge, dass er zusätzlich ein Akteneinsichtsrecht in § 47 Abs. 3 EnWG in das Gesetz aufgenommen hat. Danach hat die Gemeinde zur Vorbereitung der Rüge gegen die Auswahlentscheidung jedem beteiligten Unternehmen auf Antrag Einsicht in die Akten zu gewähren und auf dessen Kosten Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften zu erteilen. Damit soll ausweislich der Gesetzesbegründung ebenfalls der Rügeobliegenheit Rechnung getragen werden. Diese setze voraus, dass dem unterlegenen Bewerber zügig Informationen über sämtliche Tatsachen zugänglich gemacht werden, die eine Verletzung in seinen Rechten begründen könnten. Überdies wird hervorgehoben, dass der unterlegene Bewerber die Qualität der Bewerbungen miteinander vergleichen können muss.

Allerdings sieht § 47 Abs. 3 S. 3 EnWG eine Begrenzung der Pflicht zur Akteneinsicht dahingehend vor, dass die Kommune die Einsicht in die Unterlagen zu versagen hat, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geboten ist. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass durch die Regelung dem Rechtsgedanken aus § 111 GWB a.F. folgend die Beachtung des Rechts der Beteiligten auf Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sichergestellt werden soll. Dem Vorschlag des Bundesrates, eine Verweigerung der Akteneinsicht auch aus Gründen des »Geheimwettbewerbs« zu ermöglichen, um eine Einsichtnahme in die Angebote der Mitbewerber zu vermeiden, ist die Bundesregierung nicht gefolgt.

In der Praxis gestatten viele Kommunen lediglich eine begrenzte Einsicht in die Unterlagen der Verfahrensakte. In der Regel ist das Angebot des obsiegenden Bewerbers von vornherein gar nicht in der Akte enthalten bzw. es ist weitgehend oder ganz geschwärzt. Auch der Vermerk über die Auswertung der Angebote wird in Bezug auf das Angebot des obsiegenden Bewerbers häufig in weiten Teilen geschwärzt vorgelegt. Obwohl nach § 47 Abs. 3 EnWG die Verweigerung zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen »geboten« sein muss, wird in der Regel lediglich pauschal das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen behauptet. Vielfach wird argumentiert, das Angebot als solches stelle ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis dar, ohne dies im Einzelnen zu begründen.

Die Nichtzugänglichmachung der Informationen über sämtliche Tatsachen, die für die Entscheidung der Kommune über den zukünftigen Konzessionär maßgeblich sind, macht die Auswahlentscheidung für den betroffenen Bewerber intransparent. Die Kommunen sind indes gemäß § 19 Abs. 2 GWB dazu verpflichtet, im Auswahlverfahren nach §§ 46 ff. EnWG keinen Bewerber um die Konzession unbillig zu behindern oder zu diskriminieren.12 Aus dem Diskriminierungsverbot leitet sich das Transparenzgebot ab. Dieses gilt auch für die Auswahlentscheidung. Bewertung und Auswahlentscheidung durch den unterlegenen Bewerber müssen zur Vermeidung auch nur des Anscheins einer willkürlichen und voreingenommenen oder sonst nach sachfremden Erwägungen getroffenen Auswahlentscheidung nachvollziehbar sein.

Für die Frage, ob das Transparenzgebot auch dann verletzt wird, wenn die Gemeinde die Einsichtnahme in das Angebot des obsiegenden Bewerbers bzw. in den vollständig ungeschwärzten Auswertungsvermerk mit dem pauschalen Hinweis verweigert, das Angebot des vermeintlich obsiegenden Bewerbers enthalte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, kommt es auf den Umfang des Akteneinsichtsrechts nach § 47 Abs. 3 EnWG sowie auf dessen Verhältnis zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an.

Rechtsprechung zum Anspruch des unterlegenen Bewerbers auf Akteneinsicht

1. Rechtsprechung vor Inkrafttreten von § 47 Abs. 3 EnWG

Bislang gab es lediglich Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Frage nach der Offenlegungspflicht von Auswertungsgutachten der Kommune nach dem bis zum 03.02.2017 geltenden Recht befassten. Eine Offenlegung auch des Angebots des obsiegenden Bewerbers wurde eher zurückhaltend beurteilt. Seit der Entscheidung des OLG Dresden vom 18.09.2019 haben sich zahlreiche Gerichte zur Frage des Umfangs des Akteneinsichtsrechts nach § 47 Abs. 3 EnWG geäußert. Die Rechtsfragen zum Akteneinsichtsrecht dürften damit weitgehend geklärt sein.

2. OLG Dresden, Urteil vom 18.09.2019

Das OLG Dresden hat in seiner Entscheidung vom 18.09.2019 einen Verstoß gegen das Transparenzgebot bejaht, weil die verklagte Kommune dem vermeintlich unterlegenen Bewerber keine Einsicht in das (ungeschwärzte) Angebot des vermeintlich obsiegenden Bewerbers gewährt hat. Nicht ausreichend sei die Vorlage eines ungeschwärzten Auswahlvermerks, da dieser lediglich eine Zusammenfassung der Angebote enthalte und Fehler in Bezug auf die Richtigkeit und Vollständigkeit bei der Übermittlung nicht ausgeschlossen werden könnten. Dem Akteneinsichtsanspruch könne die Kommune nicht mit dem pauschalen Hinweis auf das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen begegnen. Nach Auffassung des Gerichts beschränken sich die Informationspflichten der Kommune nicht auf das eigentliche Bieterverfahren, sondern setzen sich auch in dem Überprüfungsverfahren nach § 47 EnWG fort. Das folge schon daraus, dass dem Unternehmen nach § 47 Abs. 3 EnWG zur Begründung einer Rüge Akteneinsicht zu gewähren ist. Diese Regelung diene wesentlich der Verwirklichung des Anspruchs auf vollständige Information auch im Rechtsmittelverfahren.

Diesem Informationsanspruch mit der Folge ausreichender Transparenz werde auch nicht durch Übersendung des ungeschwärzten Auswahlvermerks Genüge getan. Der Auswahlvermerk enthalte lediglich eine Zusammenfassung der in die Bewerbung eingeflossenen aus den Bewerbungsunterlagen hervorgehenden Daten. Ob diese Daten aber vollständig und richtig übertragen worden sind, ist aus dem Auswahlvermerk nicht erkennbar.

Das Erfordernis der Einsichtnahme in die vollständigen Bewerbungsunterlagen folgt nach Auffassung des OLG Dresden schon daraus, dass bereits für die nicht nur harten Kriterien, die sich etwa in der Anzahl von Personen, in Kilogramm oder in Metern messen lassen, Übertragungsfehler nicht ausgeschlossen werden können, die nur durch eine Akteneinsicht aufgedeckt werden können. Erst recht gelte das für weiche Kriterien, die bei ihrer Zusammenfassung der Gefahr einer gekürzten Wiedergabe oder eines (wenn auch ungewollten) Bedeutungswandels unterliegen können. Für den unterlegenen Bewerber ist damit die Einsichtnahme in die Bewerbung zur Überprüfung der Richtigkeit der Übertragung zwingend erforderlich. Die Richtigkeit der Übertragung auf den Auswahlvermerk könne der betroffene Bewerber letztlich alleine durch die Gewährung von Einsicht in die dafür maßgeblichen Ausschreibungsunterlagen genügen.

Diesem umfassenden Akteneinsichtsanspruch des betroffenen Bewerbers kann die Kommune nach Auffassung des OLG Dresden nicht mit dem pauschalen Hinweis auf das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen begegnen. Das Gericht verneint das Recht der Gemeinde, sich auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der anderen Bewerber berufen zu können. Die Bewerber hätten ihre jeweilige Bewerbung in dem Bewusstsein abgegeben, dass dies im Falle ihres Erfolges der Überprüfung durch Mitbewerber unterliegen könne. Daher sei es vorhersehbar notwendig, dass die Mitbewerber auch Kenntnis von dem Inhalt der obsiegenden Bewerbung erhalten müssen, um diese zu überprüfen und bei Erfordernis auch rechtliche Schritte unternehmen zu können. Damit sei der Inhalt der jeweils eigenen Bewerbung in dem Umfang der Notwendigkeit seiner Überprüfung durch abgelehnte Bewerber ein lediglich relatives Geschäftsgeheimnis, auf das sich der obsiegende Bewerber und erst recht die Kommune nicht pauschal berufen könne. Vielmehr könne das Geheimhaltungsinteresse des ausgewählten Bewerbers einem Akteneinsichtsrecht der abgelehnten Bewerber nur dann vorgehen, wenn und soweit konkrete Gefahren durch die Verletzung des Geschäftsgeheimnisses für den ausgewählten Bewerber glaubhaft gemacht werden.

3. LG Berlin, Urteil vom 07.11.2019

Das LG Berlin hat in seiner Entscheidung vom 07.11.2019 betreffend die Auseinandersetzung zwischen der Stromnetz Berlin GmbH und dem Land Berlin über die Stromkonzession einen Verstoß gegen das Transparenzgebot bejaht, weil das Land dem unterlegenen Bewerber nach der Auswahlentscheidung keine Einsicht in das Angebot des obsiegenden Bewerbers, einem Eigenbetrieb des Landes Berlin, gewährt hat. Nicht ausreichend ist nach Auffassung des Gerichts eine Einsichtnahme in den Auswertungsvermerk. Gerade die zusammenfassende Darstellung in eigenen Worten berge Fehlerquellen in sich, die der unterlegene Bewerber ohne Kenntnis des Originals nicht aufdecken und zum Gegenstand einer Überprüfung der Auswahlentscheidung machen könne.

Geheimhaltungsinteressen habe die Kommune nicht substantiiert geltend gemacht. Überdies müssten diese von dem Verfasser des fremden Angebots, d.h. dem obsiegenden Bewerber, eingewandt werden, nicht von der Kommune. Das Gericht verkenne zwar nicht, dass die Kenntnis des konkurrierenden Bieterangebots dem Einsichtsberechtigten Vorteile verschaffen könne. Da der Gesetzgeber dem unterlegenen Bewerber nunmehr aber mit § 47 Abs. 3 EnWG ein – bis auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen – unbeschränktes Akteneinsichtsrecht zubillige, bleibe für eine Interessenabwägung im Einzelfall kein Raum mehr.

4. OLG Koblenz, Urteil vom 12.09.2019

Auch das OLG Koblenz hat in seiner Entscheidung vom 12.09.2019 einen Verstoß gegen das Transparenzgebot im Rahmen der Auswahlentscheidung bejaht und die von dem unterlegenen Bewerber beantragte einstweilige Verfügung auf Unterlassung des Abschlusses des Konzessionsvertrages erlassen. Anders als das OLG Dresden hat das OLG Koblenz keine ausdrückliche Aussage zu dem Umfang der von dem Akteneinsichtsanspruch nach § 47 Abs. 3 EnWG erfassten Unterlagen getroffen. Stattdessen hat das Gericht auf die in zivilrechtlichen Gerichtsverfahren zu berücksichtigende sogenannte sekundäre Darlegungslast der Kommune abgestellt. Auch das OLG Koblenz hält ein lediglich pauschales Behaupten des Vorliegens von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht für ausreichend für das Versagen einer Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 EnWG.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren hatte die Kommune im Rahmen des Auskunftsersuchens des klagenden Bewerbers nach § 47 Abs. 3 EnWG einen teilweise geschwärzten Auswertungsvermerk und ein im Wesentlichen geschwärztes Angebot des vermeintlich obsiegenden Bewerbers vorgelegt und sich zur Begründung der Schwärzungen pauschal auf das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berufen.

Nach Auffassung des OLG Koblenz ist dieses Verhalten der Kommune nicht geeignet, einen Akteneinsichtsanspruch nach § 47 Abs. 3 EnWG in Abrede zu stellen. Der Kommune obliege im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens aufgrund der sie treffenden sekundären Darlegungslast, im Einzelnen darzulegen, auf welcher Grundlage sie ihre Auswahlentscheidung getroffen hat. Der klagende Bewerber habe keine Kenntnis vom konkreten Angebot des obsiegenden Bewerbers, da ihr dies nur auszugsweise zugänglich gemacht worden sei. Da die Kommune jedoch Kenntnis vom Inhalt des Angebots des obsiegenden Bewerbers habe, treffe sie eine sekundäre Darlegungslast, die zu einer Verpflichtung der Kommune führe, die Bewertung der Angebote im Vergleich untereinander näher zu erläutern.

Nach Auffassung des OLG Koblenz kann sich die Kommune nicht pauschal auf die Pflicht zur Wahrung des Geheimwettbewerbs sowie den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des obsiegenden Bewerbers berufen. Denn dies würde dem verfassungsrechtlich zu leistenden berechtigten Ausgleich zwischen dem Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz im Rahmen des allgemeinen Justizgewähranspruchs und dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in einem mehrpoligen Rechtsverhältnis nicht gerecht. Insbesondere genüge es nicht, dass sich der vermeintlich obsiegende Bewerber pauschal und umfassend auf die Wahrung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen habe. Vielmehr bedürfe es eines substantiierten Sachvortrags der beklagten Kommune dazu, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse der vermeintlich obsiegende Bewerber welche Nachteile befürchtet; erst dann sei eine Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die auf einen bestmöglichen Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsgütern gerichtet sein muss, möglich. 

Folglich reiche allein das Bestehen eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses nicht aus, um eine Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG zu versagen; die Einsicht in Unterlagen sei lediglich zu verwehren, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist. Dies bedeute, dass eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen auf der einen Seite und dem Interesse des unterlegenden Bewerbers an der Akteneinsicht auf der anderen Seite vorzunehmen sei und zwar durch die beklagte Kommune.

5. Weitere Entscheidungen

Entsprechende Anforderungen an die Kommunen im Rahmen der Akteneinsicht in Bezug auf die Transparenz der Auswahlentscheidung lassen sich auch weiteren Entscheidungen entnehmen. So hat auch das LG Wiesbaden in seiner Entscheidung vom 20.11.2019 einen auf § 47 Abs. 3 EnWG gestützten Anspruch auf Einsicht in das Angebot des obsiegenden Bewerbers bejaht. Das LG Potsdam hat in seinem Urteil vom 16.10.2019 einen Anspruch auf Einsicht in die vollständigen Bewerbungsunterlagen bejaht, um überprüfen zu können, was die Basis der Auswahlentscheidung ist und auch, ob eventuelle Übertragungsfehler vorgekommen sind. Zuvor hatte bereits das LG Hannover in seinem Urteil vom 06.09.2019 die Vorlage lediglich des Auswertungsvermerks für problematisch erachtet, da dessen Inhalt nicht anhand der im Angebot (Konzept) des obsiegenden Bewerbers enthaltenen Daten von dem Gericht überprüft werden könne. Nach Einschätzung des Gerichts liege es nahe, auch insoweit eine Überprüfbarkeit anhand der Konzepte zumindest in den Fällen zu verlangen, in denen es um Angebote von Bietern geht, an denen die betreffende vergebene Kommune selbst direkt oder indirekt beteiligt ist.

Fazit

Die vorgenannten Entscheidungen verdeutlichen, dass dem Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 EnWG eine erhebliche Bedeutung zukommt. Es geht darum, die Auswahlentscheidung der Kommune transparent zu machen. Nur so wird der unterlegene Bewerber in die Lage versetzt, Rechtsverletzungen zu erkennen, um seiner Rügeobliegenheit nachkommen zu können. Dieser Informationsanspruch des betroffenen Bewerbers darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass sich die Kommune pauschal auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des obsiegenden Bewerbers beruft. Der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist zwar Rechnung zu tragen. Dafür bedarf es allerdings zunächst eines substantiierten Sachvortrags dazu, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse die Kommune bzw. der obsiegende Bewerber welche Nachteile befürchtet. Erst dann ist eine Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die auf einen bestmöglichen Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsgütern gerichtet sein muss, möglich. Da der Gesetzgeber eine Verweigerung der Akteneinsicht aus Gründen des »Geheimwettbewerbs« ausdrücklich nicht aufgenommen hat, dürfte das Argument für eine Geheimhaltung, die Bewerber befinden sich auch zukünftig im Wettbewerb um Konzessionen, nicht greifen.

Die von den Gerichten formulierten Anforderungen an die Versagung der Akteneinsicht wegen Vorliegens von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nach § 47 Abs. 3 S. 3 EnWG stellt keine Besonderheit dar, sondern entsprechen den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch in anderen Bereichen gestellten Anforderungen.

Unabhängig von der Frage, ob die Kommunen selbst in der Pflicht sind zu prüfen, ob die von dem Bewerber geschwärzten Tatsachen und Umstände Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen, müssen sie spätestens im gerichtlichen Verfahren wegen der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast präzise darlegen, wie sie die Auswahlentscheidung getroffen haben. Andernfalls ist die Auswahlentscheidung intransparent und dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung schon aus diesem Grunde stattzugeben. Überdies gilt es zu bedenken, dass das Akteneinsichtsrecht dem eigentlichen Rügeverfahren vorgeschaltet ist. Wird es von der Kommune versagt, kann der betroffene Bewerber die nicht bzw. nicht hinreichend gewährte Akteneinsicht schon vor der Geltendmachung der eigentlichen Rügen im Wege der einstweiligen Verfügung geltend machen und so den Vertragsschluss untersagen zu lassen. Allerdings muss er in diesem Fall einen Verfügungsgrund darlegen. Die Kommune läuft damit Gefahr, sich im Falle verweigerter Akteneinsicht mehrfach einstweiligen Verfügungsverfahren ausgesetzt zu sehen.

Der Artikel ist in der Zeitschrift „Versorgungswirtschaft“ Heft 1, 2020 erschienen.

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