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ECN Vorschlag der EU-Kommission

15.05.2017

Am 22. März 2017 hat die Europäische Kommission („Kommission“) einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten („NWB“) im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur  Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des EU–Binnenmarkts veröffentlicht. 

Die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager führte hierzu aus: „Die EU–Kartellvorschriften sorgen dafür, dass die Märkte besser funktionieren. Dabei arbeiten die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und die Kommission Hand in Hand. Deswegen möchten wir gewährleisten, dass alle nationalen Wettbewerbsbehörden in ihren Entscheidungen unabhängig sind und über wirksame Instrumente verfügen, um Zuwiderhandlungen abzustellen und zu ahnden. Denn ein funktionierender Binnenmarkt nützt Verbrauchern und Unternehmen in ganz Europa.

Die Kommission entschied sich für eine Richtlinie und führte dazu aus: „Wenn die NWB durch Bereitstellung der benötigten Mittel und Instrumente gestärkt würden, könnten sie das EU–Wettbewerbsrecht wirksamer durchsetzen, sodass die Wettbewerbskultur in Europa weiter gefördert würde. […] Gemeinsame Mindeststandards für die Untersuchungs- und Sanktionsinstrumente würden zu einer Verringerung der Unterschiede bei der Behandlung von Unternehmen führen und die Anwendung des EU–Wettbewerbsrechts durch die NWB vorhersehbarer machen.“ Nationale Besonderheiten sind dabei zu beachten.

Das Ziel des vorgestellten Vorschlags besteht in der weiteren Stärkung der NWB und ihrer effektiveren Funktion im Zusammenhang mit der Anwendung der EU-Wettbewerbsvorschriften (und der nationalen Wettbewerbsvorschriften, soweit diese parallel zu Art. 101 und 102 AEUV angewendet werden) und das Abzielen auf die Vollendung eines wirklichen Binnenmarktes, in dem die vorrangigen Ziele der wettbewerbsfähigen Märkte, Beschäftigung und Wachstum erreicht werden. So heißt es im Text des Vorschlags: „Eine unterschiedlich strenge Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Union führt zu einer Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt und untergräbt das System der dezentralen Durchsetzung, das durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 eingeführt wurde.“.

Der Vorschlag folgt der Mitteilung Zehn Jahre Kartellrechtsdurchsetzung auf der Grundlage der Verordnung des Rates (EG) Nr. 1/2003 (COM (2014) 453) der Kommission, in der potenzielle Handlungsbereiche benannt wurden, in denen eine weitere Stärkung der NWB erreicht werden soll. Die Kommission hatte außerdem von November 2015 bis Februar 2016 eine öffentliche Konsultation durch, die eine Forderung nach durch die Kommission zu ergreifenden konkreten rechtlichen Maßnahmen zum Ergebnis hatte. Wie im Vorschlag ausgeführt wird: „Es wurden umfassende Versuche unternommen, die Mitgliedstaaten durch nicht legislative Maßnahmen zu freiwilligem Handeln zu bewegen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass einige NWB noch immer nicht über die Garantien und Instrumente verfügen, die sie für eine wirksame Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts benötigen.“

Des Weiteren führten der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments und die Generaldirektion Wettbewerb der Kommission gemeinsam eine Anhörung zu dem Thema durch, wie die NWB im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften gestärkt werden können. Für diese Anhörung war Noerr Brüssel mit der Erarbeitung einer Studie zur Rolle und zu den Befugnissen der NWB aus Sicht des Rechtspraktikers beauftragt worden.

Der neue Vorschlag zielt darauf ab, die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zu ergänzen, wobei sein Schwerpunkt auf den nachstehenden Aspekten liegt:

  • Unabhängigkeit der NWB: NWB sollten bei der Durchsetzung von EU-Wettbewerbsvorschriften unabhängig und in vollständiger Unparteilichkeit handeln, ohne Anweisungen von öffentlichen und/oder privaten Stellen entgegenzunehmen. Die Kommission hat sich in jüngster Zeit über die Amtsenthebung hochrangiger nationaler Beamten in mehreren NWB in den letzten zwei Jahren beunruhigt gezeigt, und wünscht daher, jeglichen politischen Druck und/oder Einflussnahme auf die Mitarbeiter von NWB zu unterbinden.
  • Ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung. Die Kommission hat festgestellt, dass eine Reihe von NWB mit nicht ausreichenden Ressourcen zu kämpfen haben, aufgrund dessen sie nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben effektiv wahrzunehmen und ihre Befugnisse auszuüben.
  • Beweiserhebungsbefugnisse. Die NWB sollten über ausreichende Befugnisse verfügen, um alle relevanten Beweismittel zu erlangen, wie z. B. das Recht zur Durchsuchung von Mobilfunkgeräten, Laptops und Tablets – ein Mangel, der im digitalen Zeitalter einen gravierenden Nachteil darstellt.
  • Abschreckende Sanktionen. Die NWB sollten über angemessene Instrumente zur Verhängung verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen (sowohl Geldbußen als auch wiederkehrende Zahlungen) wegen Verstößen gegen EU-Wettbewerbsvorschriften verfügen. Nach dem Vorschlag soll der Höchstbetrag einer Geldbuße, die eine NWB einem Unternehmen auferlegen kann, mindestens 10 % des weltweiten Gesamtumsatzes des betreffenden Unternehmens in dem der Entscheidung vorausgegangen Geschäftsjahr betragen; somit können die EU-Mitgliedstaaten selbst höhere Geldstrafen verhängen, wenn sie dies wünschen.
  • Angemessene Haftungszuweisung. Spezifische Bezugnahmen auf die Haftung von Muttergesellschaften und auf die Rechtsnachfolge, damit Unternehmen etwaigen Geldbußen nicht durch eine Umstrukturierung des Konzerns entgehen können. So können einige NWB die Muttergesellschaften noch nicht für Zuwiderhandlungen ihrer Tochtergesellschaften zur Rechenschaft ziehen, während andere NWB die rechtlichen und die wirtschaftlichen Nachfolger eines Rechtsverletzers, der eine Geldbuße zu zahlen hat, nicht zur Zahlung heranziehen können, es besteht diesbezüglich folglich ungeachtet der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Unklarheit; und
  • Exterritoriale Vollstreckung von Geldbußen. NWB sollten in der Lage sein, die Zahlung von Geldbußen gegenüber rechtsverletzenden Unternehmen ohne eine rechtliche Präsenz im Hoheitsgebiet des die Geldbuße verhängenden NWB zu vollstrecken. Gegenwärtig können für Wettbewerb zuständige nationale Verwaltungsbehörden nicht beantragen, dass von ihnen verhängte Geldbußen grenzübergreifend vollstreckt werden, wenn der Rechtsverletzer in ihrem Hoheitsgebiet über keine rechtliche Präsenz verfügt. Im digitalen Zeitalter vertreiben viele Unternehmen ihre Produkte bzw. Dienstleistungen über das Internet in zahlreiche Länder, verfügen aber möglicherweise nur in einem Mitgliedstaat über eine rechtliche Präsenz. Solche Unternehmen können gegenwärtig davon ausgehen, keine Geldbuße zahlen zu müssen. Die Kommission möchte diesen ernsten Missstand des mit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 eingeführten dezentralen Systems durch Einführung rechtsverbindlicher Regeln entgegenwirken, um einheitliche Wettbewerbsbedingungen im internen Markt zu schaffen.
  • Aufeinander abgestimmte Kronzeugenregelungen. Von der Kommission wird ein ähnliches Muster von Kronzeugenregelungen mit gemeinsamen Mindestanforderungen vorgeschlagen, um weitgehend inkohärente nationale Kronzeugenregelungen, die die einheitliche Anwendung der EU-Wettbewerbsvorschriften durch die NWB gefährden, zu vermeiden. Gemäß den vorgeschlagenen Bestimmungen werden natürliche Personen von Antragstellern auf Erlass von Geldbußen (keine Bezugnahme auf die Ermäßigung von Geldbußen) vor strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen wegen der Beteiligung an dem Kartell geschützt, unter der Bedingung, dass diese mit der betreffenden NWB aktiv zusammenarbeiten.

Der Vorschlag wird nun dem Europäischen Parlament und dem Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zur Verabschiedung vorgelegt. Nach der Verabschiedung müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Richtlinie in innerstaatliches Recht umsetzen.

 

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