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Einführung einer Muster­feststellungs­klage – Kompati­bilität mit zivil­prozessualen Grund­lagen

18.09.2017

Am 31.7.2017 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz („BMJV“) einen Diskussionsentwurf, der auf einem bisher inoffiziellen Gesetzesentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage in Verbraucherschutzangelegenheiten basiert. Der Beitrag „Einführung einer Musterfeststellungsklage – Kompatibilität mit zivilprozessualen Grundlagen“ im Betriebsberater 2017, S. 2188 ff. stellt den Diskussionsentwurf des BMJV vor und zeigt mit Blick auf die Grundlagen des Zivilprozessrechts die Grenzen einer Musterfeststellungsklage auf. Zudem geht er der Frage nach, ob und inwieweit der Einsatz von „Legal-Tech“-Instrumenten eine Alternative zur Durchführung eines kollektiven Rechtsschutzverfahrens darstellen kann.

  • Der Diskussionsentwurf des BMJV im Überblick: Mit dem Entwurf soll eine Musterfeststellungsklage in Verbraucherangelegenheiten eingeführt werden, die, angelehnt an das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten, die kollektive Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen auch von Verbrauchern ermöglichen soll. Der Entwurf steht im Einklang mit einer (unverbindlichen) Empfehlung der Europäischen Kommission vom 11.6.2013, die gemeinsame Grundsätze für die Einführung eines kollektiven Rechtsschutzsystems aufstellt und den Mitgliedstaaten eine Umsetzung innerhalb von zwei Jahren anträgt. Nach dem Diskussionsentwurf sollen nur „qualifizierte Einrichtungen“, wie etwa Verbraucherverbände oder die Industrie- und Handelskammern, klagebefugt sein. Um an dem Verfahren teilnehmen zu können, muss der betroffene Verbraucher sich zuvor in einem elektronischen Klageregister eintragen lassen. Rechtskräftige Bindungswirkung der angemeldeten Ansprüche wird – unter Umständen auch für ein Folgeverfahren – durch Urteil oder gerichtlich genehmigten Vergleich entfaltet.

  • Vereinbarkeit mit zivilprozessualen Grundsätzen? Es erscheint diskussionsbedürftig, inwieweit sich das Konzept des kollektiven Rechtsschutzes, wie vom Diskussionsentwurf angelegt, in das System der Zivilprozessordnung einfügt. Gerade der gewünschte Effizienzeffekt könnte daran scheitern, dass Tatbestandsmerkmale wie die Kausalität zwischen Pflichtwidrigkeit und Schaden sowie die Schadenshöhe nicht musterverfahrensfähig sind und der Verbraucher zur Klärung dieser offenen Fragen und zur tatsächlichen Durchsetzung seiner Ansprüche regelmäßig noch einen individuellen Folgeprozess in Form von Feststellungs- und Leistungsklage führen muss. Ferner besteht insbesondere die Gefahr der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör. So soll dem Verbraucher die Möglichkeit einer eigenständigen Antragstellung im Musterverfahren verwehrt sein. Dies mag Zweifel aufwerfen, ob er seinen Standpunkt in ausreichender und sachgerechter Weise im Musterprozess darlegen kann. Auch eine sachgerechte Interessensvertretung in sog. Sub Classes nach dem amerikanischem Vorbild der Class Action kommt aufgrund des individualistisch geprägten Rechtschutzgedankens der deutschen Zivilprozessordnung nicht in Betracht.

  • Alternative durch Einsatz von „Legal Tech“? Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Einsatz von „Legal-Tech“-Instrumenten eine Alternative zur Durchführung eines kollektiven Rechtsschutzverfahrens darstellen können. Technische Unterstützungstools für die Rechtsberatung zielen –insoweit vergleichbar mit kollektiven Rechtsschutzinstrumenten – darauf ab, dem Verbraucher die Durchsetzung seiner Ansprüche zu erleichtern. Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von „Legal Tech“ ist der digitale Dienstleister FlightRight, der dem Verbraucher die Durchsetzung von Ansprüchen wegen verspäteter oder ausgefallener Flüge auf der Grundlage eines „Katalogs“ an Rechten in der Fluggastrechte-VO ermöglicht. Erscheint nach einer automatisierten Sachverhaltserfassung mithilfe von Online-Fragebögen die Anspruchsdurchsetzung erfolgsversprechend, tritt der Verbraucher seine Ansprüche an FlightRight ab und die Parteien schließen einen Geschäftsbesorgungsvertrag ab. Im Erfolgsfall fällt eine Vergütung von 26 % zuzüglich Mehrwertsteuer für FlightRight an, während dem Verbraucher im Falle des Unterliegens keine zusätzlichen Kosten entstehen. Allerdings sind auch dem Einsatz von „Legal-Tech“-Instrumenten Grenzen gesetzt, sofern es im Rahmen der Fluggastrechte-VO zu Auslegungsfragen kommt, die eine Software nicht beantworten kann und die eine ausführlichere Rechtsberatung erforderlich machen.

Zwar kommt das BMJV mit seinem Diskussionsentwurf dem Ruf der Europäischen Kommission nach Einführung eines kollektiven Rechtsschutzinstruments für Verbraucher nach. Jedoch scheinen sowohl die gewünschte Effizienzsteigerung, als auch das Zusammenspiel von kollektivem Rechtsschutz und dem System des Individualrechtsschutzes der Zivilprozessordnung noch diskussionsbedürftig. Der Einsatz von „Legal Tech“ findet bei komplex gelagerten Sachverhalten und / oder Rechtsfragen ebenfalls seine Grenzen und bietet dem Verbraucher daher kein „Allheilmittel“ für seine Rechtsdurchsetzung.

Schiedsverfahren

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