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EuGH Unzulässige Kaskaden­verweisung in Wider­rufs­information von Verbraucher­darlehens­verträgen

05.04.2020

***** Update vom 30.04.2020 *****

Das Urteil des EuGH vom 26.03.2020 (C-66/19) zur Vereinbarkeit des sog. Kaskadenverweises in einer Widerrufsinformation mit der Verbraucherkreditrichtlinie (RL 2008/48/EG) wurde medial als Comeback des „Widerrufs-Jokers“ beworben. Zu Unrecht, wie der Bundesgerichtshof (BGH) nur wenige Tage nach dem EuGH-Urteil sowohl für Immobiliardarlehen als auch für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge entschieden hat:

Für Immobiliardarlehen entschied der BGH mit Beschluss vom 31.03.2020 (XI ZR 581/18) in aller Kürze, dass das Urteil des EuGH schon deshalb nicht maßgeblich sei und daraus nichts zu Gunsten der Darlehensnehmer hergeleitet werden könne, weil die Verbraucherkreditrichtlinie nach deren Art. 2 Abs. 2 lit. a und c auf grundpfandrechtlich besicherte Darlehen keine Anwendung findet. Es bleibe daher allein bei den Vorschriften des nationalen Rechts, zumal auch der Gesetzgeber die Vorgaben der Verbraucherkreditrichtlinie für Immobiliardarlehen nicht als maßgeblich erachtet habe. Wie nationale Vorschriften auszulegen sind, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und ob ihre Auslegung richtig ist, fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Insoweit besteht zwischen dem EuGH und dem BGH auch keine Differenz. Für Immobiliardarlehen gilt also weiterhin, dass der Kaskadenverweis in einer Widerrufsinformation klar und verständlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18).

Ähnlich deutlich, aber mit anderer Begründung, hat der BGH ein Comeback des Widerrufs-Jokers für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge im Keim erstickt (BGH, Beschluss vom 31.03.2020 – XI ZR 198/19). Auch für diese Darlehensverträge hält der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung zum Kaskadenverweis fest und erinnert an die Grenzen richtlinienkonformer Auslegung: Der Gesetzgeber hat den Kaskadenverweis ausdrücklich erlaubt und die Musterwiderrufsinformation in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB mit Gesetzeskraft ausgestattet. Wortlaut, Gesetzgebungsgeschichte und Sinn und Zweck der Regelung, beim Anwender Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu erzeugen, seien eindeutig. An diese ausdrücklichen Vorgaben des nationalen Rechts seien die nationalen Gerichte gebunden, so dass es den Gerichten auf Grund des Rechtsstaatsprinzips verboten ist, sich über diese gesetzgeberische Anordnung hinwegzusetzen. Auch aus dem Gebot richtlinienkonformer Auslegung folge nichts anderes, weil die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung auch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem dienen dürfe. Ein unzulässiges Judizieren contra legem sei aber gegeben, wollte man § 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB im Sinne der Verbraucherkreditrichtlinie „auslegen“.

Die Voraussetzungen und Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung sind an sich nicht neu, so dass die Euphorie, mit der das Urteil des EuGH teilweise aufgenommen worden war, durchaus verwunderte. Erfreulich ist, dass der BGH früh Stellung bezogen und für Klarheit gesorgt hat. Es bleibt nun abzuwarten, wie der Gesetzgeber auf das Urteil reagiert.

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Am 26.03.2020 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-66/19 auf ein Vorabentscheidungsgesuch gem. Art. 267 AEUV entschieden, dass die Verbraucherkreditrichtlinie (RL 2008/48/EG) einer Regelung in einer Widerrufsinformation zu einem Verbraucherdarlehensvertrag dann entgegen stehe, wenn die Regelung hinsichtlich der in Art. 10 der Richtlinie genannten Pflichtangaben auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst weitere nationale Rechtsvorschriften in Bezug nimmt (sog. Kaskadenverweis). In diesem Fall, so der EuGH, könne der Verbraucher weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung erkennen noch überprüfen, ob der Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält und ob die Widerrufsfrist für ihn zu laufen begonnen habe. 

Die Entscheidung des EuGH dürfte – entgegen anderslautender Pressemeldungen – allerdings nicht dazu führen, dass alle seit dem Juni 2010 geschlossenen Verbraucherdarlehensverträge, die in der Widerrufsinformation den sog. Kaskadenverweis auf § 492 Abs. 2 BGB enthalten, jetzt noch widerrufen werden können. Primär maßgeblich bleibt das nationale Recht, wie der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 19.03.2019  (XI ZR 44/18) unter Verweis auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut, die Systematik der gesetzlichen Regelungen sowie dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers bereits in der Vergangenheit festgehalten hat: 

„Überdies hat der Gesetzgeber […] den Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB mit Gesetzesrang als eine klare und verständliche Gestaltung der Information über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist vorgesehen. Über dieses gesetzgeberische Gesamtkonzept dürfen sich die Gerichte, die ihrerseits der Gesetzesbindung unterliegen, bei der Auslegung des gleichrangigen übrigen nationalen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG nicht hinwegsetzen […]. In der Entscheidung, der Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB sei unzureichend klar und verständlich, läge eine Missachtung des der gesetzlichen Anordnung, die dazu führte, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlt und verfälscht und einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben würde. Dazu sind Gerichte nicht befugt“. 

Dass der Bundesgerichtshof nicht gewillt sein dürfte, von dieser gefestigten Ansicht aufgrund des EuGH-Urteils abzurücken, zeigt seine Reaktion auf das Romano-Urteil des EuGH (C-143/18), das ebenfalls zu Verbraucherdarlehensverträgen ergangen ist. Obgleich der EuGH das deutsche Recht auch dort als richtlinienwidrig eingestuft hatte, sah sich der Bundesgerichtshof nicht dazu veranlasst, eine richtlinienkonforme Auslegung entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung vorzunehmen (vgl. BGH, Urt. vom 15.10.2019 - XI ZR 759/17). 
 
Die EuGH-Entscheidung berührt also primär die Frage, ob der nationale deutsche Gesetzgeber die europäische Richtlinie richtig umgesetzt hat. Daraus ergeben sich aber auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine unmittelbaren Folgen für die Rechtslage der Verbraucher gegenüber den Banken. Durch die Entscheidung könnte sich aber gesetzgeberischer Handlungsbedarf für die Zukunft ergeben.

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