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Europäischer Gerichtshof erlässt Grund­satz­urteil zur Haftung von Kartell­gehilfen („AC-Treuhand II“)

23.10.2015

In einem lang erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt, dass Gehilfen von Kartellverstößen nach Artikel 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) haftbar gemacht werden können – unabhängig davon, ob sie auf dem Markt tätig sind, auf den sich die Kartellabsprache ausgewirkt hat. Im Unterschied zu einem früheren Fall (Organische Peroxide), in dem eine symbolische Geldbuße gegen das schweizerische Beratungsunternehmen AC Treuhand verhängt wurde (AC-Treuhand I, T-99/04), hat der EuGH mit Urteil vom 22. Oktober 2015 die gegen AC Treuhand in einem anderen Kartellverfahren verhängte Geldbuße in Höhe von zweimal 174.000 Euro – und damit die Haftung von Kartellgehilfen insgesamt – bestätigt.

Aktive Rolle von AC Treuhand

Der EuGH bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung des Europäischen Gerichts (EuG), die von der Europäischen Kommission (Kommission) verhängte Geldbuße gegen AC Treuhand aufrechtzuerhalten. Der Kommission zufolge begünstigte das Beratungsunternehmen ein EU-weites Kartell zwischen einer Reihe von Unternehmen auf zwei unterschiedlichen Märkten für Wärmestabilisatoren auf vielfältige Weise: Es organisierte Treffen, bei denen die Kartellanten Preise vereinbarten sowie Märkte und Kunden aufteilten, und nahm aktiv an diesen Treffen teil, es stellte den Kartellanten die relevanten sensiblen Information zur Verfügung und agierte unter anderem als Streitschlichter.

Wettbewerbsbeschränkendes Verhalten

Der EuGH trifft in seinem Urteil zwei bedeutende Feststellungen. Erstens: Weder der Wortlaut des Artikels 101 (1) AEUV noch die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte geben Anhaltspunkte dafür, dass das Vorliegen einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise voraussetzt, dass die am Kartell beteiligten Unternehmen auf den gleichen, verbundenen (vor- oder nachgelagerten) oder benachbarten Märkten tätig sein müssen. Der ständigen Rechtsprechung zufolge wird die Haftung eines Unternehmens dadurch begründet, dass (i) es zu dem gemeinsamen wettbewerbsbeschränkenden Zweck der Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise einen Beitrag leistet, (ii) es in vernünftiger Weise das Verhalten oder den angestrebten Plan, den gemeinsamen wettbewerbsbeschränkenden Zweck zu erreichen, zumindest voraussehen kann und (iii) es bereit ist, das Aufdeckungsrisiko zu tragen. Der EuGH stellte fest, dass das Haftungsrisiko für AC Treuhand vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hinreichend vorhersehbar war.

Verhängung einer pauschalen Geldbuße

Zweitens: Der EuGH erklärte die Verhängung einer pauschalen Geldbuße gegen AC Treuhand mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit sowie dem Gleichbehandlungs- und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip für vereinbar. Die Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen zielen auf eine effektive Abschreckung ab, indem sie bei der Bußgeldberechnung die wirtschaftliche Bedeutung und die individuelle Beteiligung an dem Kartellverstoß berücksichtigen. Den Leitlinien entsprechend multipliziert die Kommission üblicherweise einen Prozentsatz des Verkaufsvolumens der kartellierten Produkte oder Dienstleistungen mit der Dauer des Kartellverstoßes. Die Kommission ist befugt, in besonderen Fällen, in denen sie es für erforderlich hält, von der Kalkulationsmethode der Leitlinien abzuweichen. In diesem Zusammenhang bestätigte der EuGH, dass die Kommission berechtigt war, eine pauschale Geldbuße gegen AC Treuhand zu verhängen, da die Berechnung der Geldbuße mangels Tätigkeit des Beratungsunternehmens auf den Märkten für Wärmestabilisatoren nicht auf die Umsätze mit den kartellierten Produkten gestützt werden konnte. Der Kommission zufolge spiegelte die Vergütung, die AC Treuhand für die Tätigkeiten im Rahmen des Kartells erhielt, nicht die wirtschaftliche Bedeutung des Kartellverstoßes und die Beteiligung von AC Treuhand am Kartell wider, so dass dieser Umsatz keine geeignete Grundlage für die Berechnung der Geldbuße war.

Folgen der Entscheidung

Das Urteil hat die Feststellungen der Kommission bestätigt, dass AC Treuhand nicht nur nebensächliche Dienste im Rahmen des Kartells erbracht hat, sondern eine wesentliche Rolle spielte und hierfür haftbar gemacht werden muss. Infolgedessen musste sich der EuGH auch nicht mit der Frage auseinandersetzen, ab welchem Grad der Beteiligung Drittunternehmen, insbesondere Beratungsunternehmen, die Marktdaten sammeln und verteilen und dabei (unbewusst) mit Kartellanten interagieren, einer Haftung für Verstöße gegen das Kartellverbot ausgesetzt sind. Mit dieser Frage könnte sich bald das EuG in einem vor ihm anhängigen Verfahren beschäftigen (ICAP v Europäische Kommission, T-180/15). In diesem Zusammenhang sorgt das Urteil des EuGH nicht für abschließende Rechtssicherheit, da es offen lässt, welches Verhalten einen externen Dienstleister bei kartellrechtswidrigem Verhalten seines Kunden zum Kartellgehilfen mit den dazugehörigen Bußgeldrisiken machen kann.

Vor diesem Hintergrund des Haftungsrisikos und der Tatsache, dass Verfahren vor den Europäischen Gerichten üblicherweise mehrere Jahre dauern, ist es empfehlenswert, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter für kartellrechtliche Themen sensibilisieren, um nicht (unbewusst) einen Beitrag zu einem Kartell von Dritten zu leisten. In jedem Fall sollten Unternehmen in Zweifelsfällen Rechtsrat einholen, um Haftungs- und Bußgeldrisiken zu vermeiden.

Das Urteil des EuGH vom 22. Oktober 2015 (C-194/14 P) finden Sie hier.

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