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Europäischer Gerichtshof gestaltet den Urlaubsanspruch um

09.11.2018

Der Europäische Gerichtshof hatte bereits vor vier Jahren (Entscheidung vom 12.07.2014 „Bollacke“ – Az.: C-118/13) entschieden, dass ein Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub (Urlaubsabgeltung) mit dem Tod des Arbeitnehmers nicht untergeht, sondern die Erben diesen Anspruch geltend machen können.

Aufbauend auf dieser Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof mit den Entscheidungen vom 6.11.2018 (Az.: C-569/16 und C-570/16) seine Rechtsprechung dahingehend weiterentwickelt, dass der Anspruch auf Urlaub zwei Aspekte enthält:

  • Zum einen muss der Arbeitnehmer sich von den Aufgaben erholen und über die Freizeit verfügen können,
  • zum anderen stellt der Urlaubsanspruch auch einen vermögensrechtlichen Anspruch dar.

Sowohl aus dem Blickwinkel des Schutzes der Erholungsfunktion wie auch aus Sicht des Charakters eines vermögensrechtlichen Anspruchs verbietet Art. 31 Abs. 2 der Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, dass der Tod des Arbeitnehmers rückwirkend die zuvor erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub und damit seinen Rechtsnachfolgern die finanzielle Vergütung nimmt. Die Erben können die Urlaubsabgeltung einfordern.

Für die Höhe des abzugeltenden Urlaubs sind zwei weitere Entscheidungen vom 6.11.2018 (Az.: C-619/16 und C-684/16) wichtig: Hier hält der Europäische Gerichtshof ausdrücklich fest, dass die tatsächliche Nichtinanspruchnahme des Urlaubs nicht allein ausreichend ist, um den Verfall der Urlaubsansprüche zu begründen. Der Arbeitnehmer kann daher grundsätzlich Urlaubsansprüche über mehrere Jahre anhäufen.

  • Dies bedeutet nicht, dass die Ansprüche völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssen.
  • Es bedeutet auch nicht, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmer in Zwangsurlaub schicken muss, damit er sicherstellt, dass die Arbeitnehmer ihren Jahresurlaub tatsächlich wahrnehmen.
  • Der Arbeitgeber hat jedoch die Obliegenheit, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, einen solchen Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Der Arbeitgeber trägt dafür die Beweislast, so dass er belegen muss, dass er „mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um dem Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit zu geben, den ihm zustehenden Jahresurlaub zu nehmen“. Dafür ist nicht ausreichend, dass der Arbeitnehmer schlicht keinen Urlaubsantrag gestellt hat. Der Arbeitgeber ist jedoch „verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“ (C-684/16, R. 45). Nur dann, wenn der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub – trotz entsprechender Kenntnis – nicht genommen hat, dürfen die Ansprüche verfallen.

Praxishinweise:

 

Die genauen Konturen dieser neuen Rechtsprechung werden durch das Bundesarbeitsgericht in den nächsten Jahren festgelegt werden. Bis dahin sollten Unternehmen besonders darauf achten, Urlaubsansprüche auch im laufenden Jahr an alle Mitarbeiter zu gewähren:

  • Unternehmen sollten die gewährten Urlaubstage überprüfen. Soweit nicht anderweitige Vorschriften und Bindungen bestehen, kann die Anzahl der Urlaubstage bei Neuverträgen oder einvernehmlich reduziert werden. Wenn Urlaubstage in weiten Bereichen des Unternehmens nicht genommen, sondern vorgetragen werden, kann das ein Indiz sein, dass die Zahl der gewährten Urlaubstage zu hoch ist.
  • Mitarbeiter sollten regelmäßig rechtzeitig vor dem Ende des Kalenderjahres schriftlich aufgefordert werden, ihren Urlaub vor dem Jahresende einzubringen. Für das Jahr 2018 sollten die Aufforderungen baldmöglichst erfolgen.
  • Gegebenenfalls sollten Verfallregelungen klar und transparent umgesetzt werden.
    • Auf den Verfall der Urlaubstage zum Jahresende sollte rechtzeitig hingewiesen werden. Die Übertragung von Resturlaubstagen auf das neue Jahr sollte genau geprüft werden.
    • Dies bedeutet auch, dass sämtliche Angaben zu Urlaubsansprüchen in der Urlaubsdatei, der Gehaltsabrechnung und anderen Ankündigungen oder Mitteilungen stets einheitlich und klar formuliert sein müssen.
    • Es darf nicht gewohnheitsmäßig in bestimmten Bereichen des Unternehmens Usus sein, einen Jahresurlaub oder mehr mit sich zu schleppen.

 

Arbeitsrecht

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