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"Fack Ju Göhte" – Doch als Unionsmarke eintragungsfähig?

11.07.2019

In seinen Schlussanträgen vom 2. Juli 2019 in der vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängigen Rechtssache C-240/18 P hat sich EuGH-Generalanwalt (EuGH-GA) Michal Bobek mit der bislang von allen Instanzen bestätigten Zurückweisung des Zeichens „Fack Ju Göhte“ als Unionsmarke (UM) beschäftigt.

Wie berichtet (siehe unseren Artikel hier), hatte das Gericht der Europäischen Union (EuG) in seinem Urteil vom 24. Januar 2018 in der Rechtssache T-69/17 entschieden, dass „Fack Ju Göhte“ gegen die guten Sitten verstoße, da es sich um eine nicht nur geschmacklose, sondern auch anstößige und vulgäre Beschimpfung handle.

Dem EuG zufolge würden die maßgeblichen Verkehrskreise, nämlich die deutschsprachigen Allgemeinverbraucher innerhalb der Europäischen Union, „fack ju“ als identisch mit dem englischen „fuck you“ wahrnehmen. Der zusätzliche Bestandteil „Göhte“ beschimpfe Johann Wolfgang von Goethe posthum in herabwürdigender und vulgärer Weise, noch dazu in fehlerhafter Rechtschreibung, und könne vom verletzenden und gegen die guten Sitten verstoßenden Charakter der Beschimpfung „fack ju“ keinesfalls ablenken. In Bezug auf die betreffenden (harmlosen, unbedenklichen) Waren und Dienstleistungen (des alltäglichen Ge- und Verbrauchs) müsse der Verbraucher nicht damit rechnen bzw. darauf vorbereitet sein, bei ihrem Erwerb mit einer derartigen Obszönität konfrontiert zu werden. Der Erfolg des Films „Fack Ju Göhte“ bedeute nicht, dass die maßgeblichen Verkehrskreise nicht von der angemeldeten Marke schockiert wären. Auch die Tatsache, dass das Zeichen „Die Wanderhure“ als UM vom EUIPO zugelassen wurde, sei irrelevant, da diese Angabe beschreibend für den Inhalt des gleichnamigen Films und zudem deutlich weniger vulgär als „Fack Ju Göhte“ sei. Auf das von der Inhaberin der UM, Constantin Film Produktion GmbH (Constantin Film), vorgebrachte Argument, das Zeichen werde als Scherz in Bezug auf den Schulfrust der Schüler verstanden, entgegnete das EuG, „im Bereich der Kunst, der Kultur und der Literatur werde stets der Schutz der freien Meinungsfreiheit angestrebt, der im Bereich des Markenrechts nicht besteht“.

Im Ergebnis schlägt der EuGH-GA dem Gericht vor, sowohl das Urteil des EuG als auch die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) aufzuheben.

Zunächst widmet sich der EuGH-GA der Frage, welche Rolle das Recht der freien Meinungsäußerung im Markenrecht spielt. Insofern verweist er auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die darin garantierten Grundrechte, welche sich auf jede Handlung oder Unterlassung der Organe und Einrichtungen der Europäischen Union erstrecken, sowie den 21. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001, der dieses Recht anerkennt. Weiter sei der kommerzielle Charakter einer Tätigkeit kein Grund, den Schutz der Grundrechte einzuschränken oder sogar auszuschließen. Schließlich stehe diese Rechtsauffassung auch mit der bisherigen Rechtsprechung des EuG und der Entscheidungspraxis des EUIPO im Einklang. Nach Ansicht des EuGH-GA sei die obige Anmerkung des EuG so zu verstehen, dass im Gegensatz zu den Bereichen Kunst, Kultur und Literatur das Gewicht, das der freien Meinungsäußerung im Markenrecht bei der Abwägung der Rechte und Interessen zukomme etwas anders, vielleicht etwas leichter sei.

Dann kommt der EuGH-GA zu der Unterscheidung zwischen den Begriffen der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten. 

Anders als in dem fraglichen Urteil angenommen, folge aus der Tatsache, dass sich diese beiden Begriffe in manchen Fällen überschneiden können, nicht, dass keine Verpflichtung bestehe, sie auseinanderzuhalten. Zwar ist es richtig, dass Artikel 7(1)(f) der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt: Artikel 7(1)(f) der Verordnung 2017/1001) eine Beschränkung bezüglich der Zeichen enthält, die den durch eine Marke gewährten besonderen Schutz genießen können. Sein Zweck bestehe jedoch nicht darin, die kommerzielle Benutzung verweigerter Zeichen insgesamt zu verhindern. Insofern komme dem EUIPO eine Rolle beim Schutz der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten zu, dies sei allerdings keine Schlüsselrolle oder vorherrschende Rolle. Laut Ansicht des EuGH-GA wirke Artikel 7(1)(f) der Verordnung Nr. 207/2009 bzw. 2017/1001 im Wesentlichen als Sicherheitsnetz, indem es der Verwirklichung anderer Ziele Grenzen setzen kann. Es sei aber kein Selbstzweck.

Dem EuG zufolge sei es nicht verpflichtet, die Begriffe der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten getrennt zu prüfen. In der Praxis erstrecke sich die Prüfung des EUIPO hingegen zuweilen auf beide Begriffe gleichzeitig (z.B. im Fall der UM „BIN LADIN“, „BREXIT“, „Screw You“ oder „ATATURK“), richte sich manchmal mehr oder sogar ausschließlich auf den Teil der öffentlichen Ordnung (z.B. bei den UM „MECHANICAL APARTHEID“, „OSHO“ oder  ) oder werde unter dem Gesichtspunkt der guten Sitten durchgeführt (z.B. im Fall der UM  oder „FUCK CANCER“). 

Der EuGH-GA führt weiter aus, dass es sich bei der „öffentlichen Ordnung“ um einen normativen Bezugsrahmen von Werten und Zielen handle, der von der maßgebenden öffentlichen Stelle verbindlich festgelegt werde und jetzt und in der Zukunft befolgt werden solle. Die „guten Sitten“ bezögen sich auf Werte und Überzeugungen, an denen eine bestimmte Gesellschaft im jeweiligen Zeitpunkt festhalte und die von dem jeweiligen gesellschaftlichen Konsens innerhalb dieser Gesellschaft getragen und durchgesetzt würden. Der Hauptunterschied bestehe darin, auf welche Weise sie festgelegt und ermittelt würden. Die öffentliche Ordnung würden von oben verordnet und ihr Inhalt objektiv festgelegt. Die guten Sitten hingegen, welche auf subjektiven Werten beruhten, erforderten zumindest eine gewisse empirische Einschätzung dessen, was die maßgebende Gesellschaft (die betreffenden Verkehrskreise) zu einem bestimmten Zeitpunkt als akzeptablen Verhaltenskodex ansähen. Vor diesem Hintergrund müsse das EUIPO, wenn es sich auf das absolute Eintragungshindernis der guten Sitten berufen wollte, auf der Grundlage der in den maßgeblichen Verkehrskreisen vorherrschenden Wahrnehmung ermitteln, warum ein bestimmtes Zeichen seiner Meinung nach gegen die guten Sitten verstoße. 

Dies sei in dem vorliegenden Fall nach Ansicht des EuGH-GA nicht geschehen.

Das EUIPO hatte die maßgeblichen Verkehrskreise zunächst als allgemeines Publikum definiert, also nicht nur Schüler höherer Schulen, sondern auch Menschen, die möglicherweise noch nie von dem Film gehört haben und beim wöchentlichen Einkauf überrascht sein könnten, auf dem Regal ein Brot (Klasse 30) namens „Fack Ju Göhte“ vorzufinden. Weiter sei es das deutschsprachige Publikum, auf das es ankomme. Dieses werde das Zeichen, insbesondere im Hinblick auf die ungewöhnliche Transkription einer fremdsprachigen Beleidigung, nicht in gleicher Weise wahrnehmen wie die englischsprachigen Verkehrskreise.

Außerdem dürfe die Beurteilung, ob das Zeichen die guten Sitten einhält, nicht isoliert von der allgemeineren Wahrnehmung in der Gesellschaft und einem möglicherweise nachgewiesenen Kontext vorgenommen werden. Vorliegend hatte Constantin Film unter anderem vorgetragen, dass der Film „Fack Ju Göhte“ unter diesem Titel gezeigt werden durfte und für Jugendliche offenbar keine Zugangsbeschränkungen bestanden. Auch wenn die Einstufung und Regulierung von Filmen in einem Mitgliedstaat einem anderen Regelwerk als das Unionsmarkenrecht unterliege, so sei Ausgangspunkt beider Bewertungen dieselben Verkehrskreise und die Prüfung von Anstand und Vulgarität innerhalb desselben Publikums zum selben oder zu einem sehr ähnlichen Zeitpunkt. Dies, der große Erfolg des Films im deutschsprachigen Raum (offenbar ohne wegen seines Titels umstritten zu sein) sowie die positive Wahrnehmung (auch durch die Einbeziehung in das Lernprogramm des Goethe-Instituts) erhöhten die Anforderungen an die Begründung des EUIPO, falls dieses davon abweichen wolle. Da die Erarbeitung und Ermittlung der „guten Sitten“ (sowie der „öffentlichen Ordnung“) kaum die vorrangige Rolle des EUIPO darstelle, könne es nun nicht dazu berufen sein, auf einmal eine eigene Vorstellung über die guten Sitten einzunehmen, die von der in dem jeweiligen Mitgliedstaat vorherrschenden unabhängig (oder sogar erheblich strenger) sei.

Letztendlich geht der EuGH-GA auf die Behauptung von Constantin Film ein, wonach die Entscheidungspraxis des EUIPO – insbesondere vor dem Hintergrund der Entscheidung im Fall „Die Wanderhure“ – nicht einheitlich sei, was gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der guten Verwaltung verstoße. Der EuGH-GA stellt klar, dass eine kohärente Entscheidungsfindung nicht bedeute, dass die Ergebnisse identisch sein müssen, und auch nicht Unveränderlichkeit oder Unfähigkeit, frühere Fehler zu korrigieren oder Änderungen im Ansatz und in der Auslegung vorzunehmen. Allerdings sollte sich das EUIPO so weit wie möglich an einen kohärenten Entscheidungsansatz halten, wie z.B. vorliegend an die Kriterien und Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Begriffe in Artikel 7(1)(f) der Verordnung Nr. 207/2009 bzw. 2017/1001 und wie streng oder nachsichtig diese angewandt werden. Verfahrenstechnisch bedeute dies: Es ist jederzeit möglich, von der früheren Herangehensweise bei der Entscheidungsfindung abzuweichen, aber diese Abweichung ist zu begründen und zusammenhängend zu erklären. Angesichts der Ähnlichkeiten zwischen dem vorherigen Fall „Die Wanderhure“ und „Fack Ju Göhte“ hätte das EUIPO schlüssig darlegen müssen, warum es bei diesen beiden Sachverhalten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, was es jedoch nicht getan habe.

Dieses Rechtsmittel ist insofern von Bedeutung, als dass es dem EuGH erstmals die Gelegenheit gibt, die Kriterien für die Beurteilung von Artikel 7(1)(f) der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt: Artikel 7(1)(f) der Verordnung 2017/1001) festzulegen. Zudem hat es die Möglichkeit, die Gleichbehandlung und die gute Verwaltung sowie den Umfang der Begründungspflicht des EUIPO näher zu bestimmen, und die in der „Puma“-Entscheidung (Rechtssache C-564/16 P) dargelegten Grundsätze weiter auszuführen. Die Richtung, welche der EuGH-GA zur Differenzierung zwischen den Begriffen „öffentliche Ordnung“ und „gute Sitten“ einschlägt, scheint durchaus sinnvoll. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH diesem Ansatz folgt und ob er sich ebenfalls mit den übrigen Fragen auseinandersetzt.

Gewerblicher Rechtsschutz

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