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Fremd­personal­einsatz: Plattform­ökonomie auf dem Prüf­stand

08.12.2020

Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sich in einem „Eckpunktepapier zur Fairen Arbeit in der Plattformökonomie“ positioniert hat, hat sich auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst in dem Urteil vom 1.Dezember 2020 (Az.: 9 AZR 102/20) mit der Arbeitnehmereigenschaft von „Crowdworkern“ befasst.

I. Hintergrund

Die Anzahl der Tätigkeiten, die über digitale Plattformen vermittelt werden, nimmt zu. Insbesondere hinsichtlich der Covid-19-Pandemie wurden verstärkt Plattformtätigkeiten, wie z. B. Essenslieferungen, in Anspruch genommen. Aber auch in vielen anderen Bereichen, wie z. B. Fahrdiensten, Haushaltsdienstleistungen sowie Online-Arbeiten wie Textarbeit, Programmierungen oder kreativen Tätigkeiten, zeigt sich eine dynamische Entwicklung.

Nicht nur auf Seiten der Plattformbetreibenden bietet diese Entwicklung viele Chancen. Auch auf Seiten der Plattformtätigen (Crowdworker) gibt es Vorteile, wie insbesondere ein niederschwelliger Zugang in den Arbeitsmarkt, ein vereinfachter Zugang zu neuen Märkten und eine sehr hohe Flexibilität. Crowdworker sind überwiegend Solo-Selbständige, die die über die jeweilige Plattform erhaltenen Aufträge selbst ausführen, ohne dass ein Arbeitsverhältnis begründet werden soll. Dadurch kann das Zusammenspiel zwischen Plattformbetreibendem, Auftraggeber und Auftragnehmer recht unkompliziert stattfinden.

Dass die Plattformökonomie eine Bereicherung der Marktwirtschaft darstellt, ist Konsens. Allein die Frage, wie die Vertragsverhältnisse zwischen Plattformbetreibenden und Crowdworkern ausgestaltet sein sollen und ob es diesbezüglich einer Regulierung durch den Gesetzgeber bedarf, wird aktuell diskutiert. Dabei betont das Urteil des BAG die Aktualität und Relevanz dieser Thematik.

II. Entscheidung des BAG

In seinem Urteil vom 1. Dezember 2020 (Az.: 9 AZR 102/20) bejahte das BAG den Arbeitnehmerstatus eines Crowdworkers und stellte damit klar, dass Auftragnehmer, die ihre Mikrojobs als Nutzer einer Online-Plattform erhalten, grundsätzlich Arbeitnehmer sein können.

Hinsichtlich der Frage, ob es sich um eine weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit im Sinne von § 611a BGB handelt, ist die tatsächlich Durchführung maßgeblich, nicht die Bezeichnung im Vertrag. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte der Kläger über seinen Account bei der Online-Plattform der Beklagten Aufträge zur Kontrolle von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen angenommen und bearbeitet. Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände stellte das BAG fest, dass der Kläger zwar nicht vertraglich zur Annahme von Aufträgen verpflichtet war, die Organisationsstruktur der Online-Plattform jedoch darauf ausgerichtet war, dass die Nutzer kontinuierlich Mikrojobs annehmen, um diese persönlich zu erledigen. In diesem Fall kam hinzu, dass der Crowdworker sich erst mit Erreichen eines höheren Bewertungslevels besondere Optionen freischalten konnte, wie insbesondere die Annahmemöglichkeit mehrerer Aufträge zur gleichen Zeit. Aus Sicht des BAG stellte dies ein Anreizsystem dar, das den Crowdworker in seiner Selbständigkeit derart einschränkte, dass er seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht mehr frei gestalten konnte, er mithin als Arbeitnehmer zu qualifizieren war.

Aus der Entscheidung des BAG ist nicht zu folgern, dass jeder Crowdworker Arbeitnehmer ist. Allerdings sollten gerade solche Plattformbetreibenden, die direkt oder indirekt auf die Art der Durchführung der Arbeit und die Entlohnung der Auftragnehmer Einfluss nehmen, hinsichtlich der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung Vorsicht walten lassen.

III. Ansätze des BMAS

Bereits vor dieser Entscheidung hat das BMAS sich mit der arbeitnehmervergleichbaren Situation von Crowdworkern beschäftigt. Gerade für die Fälle, in denen Solo-Selbständige tätig werden, die nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind und die dennoch keinen wirklichen Einfluss auf die Vertragsbedingungen mit den Plattformbetreibenden haben, sieht das BMAS einen Schutzbedarf.

Vor diesem Hintergrund hat das BMAS am 27. November ein Eckpunktepapier zu fairer Arbeit in der Plattformökonomie veröffentlicht. Die darin enthaltenen Lösungsansätze sehen Folgendes vor:

  1. Zunächst ist allgemein eine stärkere Verantwortungsübernahme der Plattformbetreibenden vorgesehen. Dabei wurde immerhin und richtigerweise der Unterschied zwischen einer bloßen Vermittlung durch die Plattform und der Auftragserteilung durch steuernde Akteure, die tatsächlich Einfluss auf die Arbeitsbedingungen nehmen, gesehen. Erstere, wie z. B. Online-Marktplätze, sollen nur Melde- und Statistikregelungen unterfallen. Diese Regelungen sollen aufgrund der vielfach grenzüberschreitenden Geschäftsmodelle langfristig in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission aufgestellt werden.

  2. Hinsichtlich der sozialen Sicherung von solo-selbständigen Crowdworkern sieht das BMAS vor, diese in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen und die Plattformbetreibenden an der Finanzierung zu beteiligen.

  3. Um Crowdworkern die arbeitsgerichtliche Statusklärung zu erleichtern, sollen künftig die Plattformbetreibenden das Nichtvorliegen eines Arbeitsverhältnisses beweisen müssen. Durch diese Umkehr der Beweislast will das BMAS dem Umstand begegnen, dass den Crowdworkern die internen Prozesse oder Algorithmen der Plattformbetreibenden weitgehend unbekannt und nicht erschließbar sind.

  4. Ferner soll die kollektivrechtliche Organisation von solo-selbständigen Crowdworkern ermöglicht sowie bestimmte Mindestarbeitsbedingungen festgelegt werden. Darunter fällt insbesondere eine Mindestkündigungsfrist in Abhängigkeit von der Dauer der Tätigkeit auf einer Plattform.

  5. Zuletzt sollen die einseitigen Vertragsbedingungen zulasten von Crowdworkern, die sich regelmäßig als AGB in den Verträgen finden, einfacher und unkomplizierter gerichtlich kontrolliert werden können.

Für Plattformbetreibende ergibt sich daraus, dass sie künftig wohl mit mehr Einschränkungen und Vorgaben sowie zusätzlichen Zahlungsverpflichtungen für ihre Auftragnehmer zu rechnen haben und sich hinsichtlich ihrer Vertragsbedingungen gut absichern sollten.

IV. Ausblick

Bei diesen Ansätzen des BMAS handelt es sich vorerst nur um Eckpunkte, an denen weitergearbeitet werden soll und die noch ob ihrer Umsetzbarkeit geprüft werden. Dahingehend wird mit der Plattformwirtschaft, den Gewerkschaften, der Wissenschaft und auch der EU-Kommission weiter diskutiert werden. Gerade von Gewerkschaftsseite wird zudem ein Zugangsrecht gefordert, um Crowdworker besser erreichen zu können. Ein Gesetzentwurf ist noch nicht in Aussicht und wird – mit einiger Wahrscheinlichkeit – auch in dieser Legislaturperiode nicht mehr das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Dass es sich aber unbestritten um ein hochaktuelles und brisantes Themenfeld handelt, bewies die BAG-Entscheidung vom 1. Dezember 2020.

Hinsichtlich einer weiteren Diskussion ist zu beachten, dass es noch keine eindeutige Definition von Plattformen gibt, über die gesprochen wird und dass diese in ihrer Gestaltung und hinsichtlich ihres Sitzes sehr vielfältig sind.

Insbesondere Plattformbetreibende, die einen stärkeren Einfluss auf ihre Auftragnehmer ausüben und sich nicht nur als Marktplätze verstehen, sollten sich angesichts des BAG-Urteils und der Vorstöße des BMAS damit beschäftigen, wie sie die Verhältnisse zu ihren Auftragnehmern in Zukunft gestalten wollen und können. Denn das BAG hat unmissverständlich deutlich gemacht: Auch Plattformbetreibende können Arbeitgeber sein mit allen damit verbundenen rechtlichen Verpflichtungen.

Arbeitsrecht

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