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Geplante Stärkung des Gerichts­standorts Deutschland

24.01.2023

Der Großteil internationaler Wirtschaftsstreitigkeiten wird von privaten Schiedsgerichten entschieden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. In einigen Fallgestaltungen kann jedoch die Austragung eines Streits vor staatlichen Gerichten sinnvoll sein oder aufgrund fehlender Schiedsvereinbarung auch zwingend. Damit deutsche staatliche Gerichte den Anforderungen an internationale Streitigkeiten noch besser gerecht werden können, bedarf es einiger Maßnahmen, die das Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz aus Januar 2023 aufgreift (BMJ | Pressemitteilungen | Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts).

I. Hintergrund

In den letzten Jahren gab es bereits einige Bestrebungen, den Gerichtsstandort Deutschland durch die Einführung von Commercial Courts zu stärken. Dabei handelte es sich um punktuelle Maßnahmen der einzelnen Bundesländer (vgl. ⁣Gerichtsstandort Deutschland - Noerr). Die von den Bundesländern eingerichteten Commercial Courts sind bisher unterschiedlich stark angenommen worden. So verzeichnen einige bereits eine dreistellige Verfahrensanzahl, während andere bislang gar keine oder lediglich eine einstellige Anzahl an Verfahren bearbeitet haben.

Ein großer Kritikpunkt war bisher, dass zwar die mündliche Verhandlung gemäß § 185 Abs. 2 GVG in englischer Sprache abgehalten werden kann. Gerichtssprache bleibt nach § 184 GVG aber weiterhin Deutsch, sodass Schriftsätze und Urteile in deutscher Sprache verfasst werden müssen. Drei jeweils vom Bundesrat eingebrachte Gesetzesentwürfe, Englisch als weitere Verfahrenssprache in besonderen Verfahrenskonstellationen zuzulassen, scheiterten bisher.

Hier setzt nun das Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz an.

II. Inhalt des Eckpunktepapiers

Das Eckpunktepapier sieht fünf Maßnahmen vor, die die Verfahren vor deutschen Commercial Courts attraktiver für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten machen sollen:

  1. Verfahren in englischer Sprache

    Zentraler Punkt des Vorschlags ist die Einführung der Möglichkeit, Verfahren vollständig in englischer Sprache zu führen. D.h. wenn die Parteien sich darauf einigen und ein sachlicher Grund hierfür vorliegt, dann werden Schriftsätze und Anlagen auf Englisch eingereicht, die Verhandlung auf Englisch durchgeführt und die vom Gericht zu fällenden Entscheidungen in englischer Sprache verfasst. Dies soll für alle Instanzen gelten.

    Um die Rechtsfortbildung auch durch die englischsprachigen Entscheidungen zu unterstützen und die Vollstreckung (in deutschsprachigen Ländern) zu ermöglichen, sollen die englischsprachigen Entscheidungen in die deutsche Sprache übersetzt werden.

  2. Möglichkeit der Einrichtung von Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten

    Zwar soll der Instanzenzug grundsätzlich unverändert bleiben (I. Instanz: Landgericht, II. Instanz/Berufung: Oberlandesgericht, III. Instanz/Revision: Bundesgerichtshof). Die Bundesländer sollen aber bei den Oberlandesgerichten spezialisierte Senate einrichten dürfen („Commercial Courts“), die dann bereits erstinstanzlich für bestimmte Wirtschaftsstreitigkeiten zuständig sind, um eine fachliche Konzentration und Spezialisierung zu ermöglichen. Damit würde die Ebene der Landesgerichte in gewissen Fällen übersprungen.

    Die Zuständigkeit dieser erstinstanzlichen Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten soll von der Höhe des Streitwerts abhängig sein. Das Eckpunktepapier nennt hier das Beispiel von EUR 1 Mio. als Schwellenwert. Ferner soll es die Möglichkeit geben – wie in internationalen Schiedsverfahren üblich –, dass ein Wortprotokoll erstellt wird.

    Die Commercial Courts sollen mit spezialisierten Richterinnen und Richtern besetzt werden, die über sehr gute Sprachkompetenzen verfügen und Zugriff auf moderne technische Ausstattung in den Gerichten haben sollen (s.a. Punkt 5. – Videoverhandlungen).

  3. Revision zum BGH

    Gegen die Entscheidung der erstinstanzlichen Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten soll die Revision zum Bundesgerichtshof möglich sein. Der Instanzenzug wird damit zu Gunsten der Verfahrenseffizienz auf zwei Instanzen reduziert.

    Anders als in Schiedsverfahren, in denen es grundsätzlich nur eine Instanz gibt, besteht somit jedoch weiterhin die Möglichkeit die Entscheidung mittels der Revision beim Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen.

  4. Geschäftsgeheimnisse

    Im Unterschied zu Schiedsverfahren sind Verfahren vor staatlichen Gerichten grundsätzlich öffentlich. Für Unternehmen hat dies oftmals den Nachteil, dass Geschäftsgeheimnisse nicht adäquat gewahrt werden können. Auch diesem Dilemma tritt das Eckpunktepapier entgegen. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen soll zukünftig bereits auf den Zeitpunkt der Klageerhebung vorverlegt werden. Die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen sollen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht genutzt oder offengelegt werden dürfen.

  5. Videoverhandlungen

    Zwar ist es bisher bereits gem. § 128 a ZPO möglich, die mündliche Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung (also mittels Videokonferenz) abzuhalten. Davon wird in der Praxis jedoch unterschiedlich oft Gebrauch gemacht. Gerade Oberlandesgerichte sind bisher eher zurückhaltend, was diese Möglichkeit angeht. Teilweise liegt dies auch an der unzureichenden technischen Ausstattung der Gerichte.

    Das Eckpunktepapier sieht vor, dass der Einsatz von Videokonferenztechnik in Verfahren vor den Commercial Courts gestärkt wird. Dabei verweist es auf den Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik (siehe hierzu (Wieder) mehr Video-Verhandlungen an deutschen Gerichten? - Noerr).

III. Ausblick

Um den Anschluss an andere Standorte der internationalen Streitbeilegung (z.B. Amsterdam/London/Paris/Singapur) nicht zu verlieren bzw. aufzuholen, sind Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Gerichtsstandorts Deutschland notwendig.

Das Eckpunktepapier listet hier einige wichtige Punkte auf (Englisch als Verfahrenssprache, Wahrung von Geschäftsgeheimnissen). Nicht im Eckpunktepapier erwähnt, aber sehr wünschenswert wäre zudem die Einführung einer zwingenden sog. Case Management Conference in Verfahren vor den Commercial Courts, wie dies auch in Schiedsverfahren üblich ist. Hierbei würden z.B. die Fristen und Termine nach Abstimmung mit den Parteien festgelegt, was zu einer höheren Verfahrenseffizienz führen würde. Zwar ist ein solches Vorgehen auch derzeit nicht ausgeschlossen. Wenn es jedoch formell vorgesehen ist, ist die Durchführung gesichert.

Es bleibt dabei, dass insbesondere international tätige Unternehmen abwägen müssen, welche Gerichtsbarkeit zur Austragung eines Rechtsstreits sinnvoller Weise vereinbart werden soll.

Noerr zählt im Bereich Dispute Resolution zu den führenden Kanzleien. Die europaweit mehr als 130 Anwältinnen und Anwälte beraten und vertreten Mandanten in allen Formen der Konfliktlösung – vor staatlichen Gerichten, grenzüberschreitend in mehreren Rechtsordnungen, in Schiedsverfahren sowie in Verfahren der Alternativen Konfliktlösung.

 

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