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ICC-Schiedsgerichtsordnung 2021

07.01.2021

Vier Jahre nach der ersten Überarbeitung im Jahr 2017 hat die Internationale Handelskammer in Paris (ICC) ihre Schiedsgerichtsordnung (ICC-SchO 2021) aktualisiert. Die ICC-SchO 2021 wurde durch eine Reihe von virtuellen Veranstaltungen weltweit eingeführt und ist am 01.01.2021 in Kraft getreten. Sie gilt von nun an für alle neuen Streitigkeiten, die dem ICC-Gerichtshof vorgelegt werden. Laut dem scheidenden Präsidenten des ICC-Gerichtshofs, Alexis Mourre, kennzeichnet die ICC-SchO 2021 "einen weiteren Schritt zu mehr Effizienz, Flexibilität und Transparenz".

Dieser Beitrag beleuchtet die wichtigsten und praxisrelevantesten Änderungen, die Anwender kennen sollten; insbesondere die relevanten auf den  Erfahrungen mit der ICC-SchO 2017 beruhenden Anpassungen und die aufgrund der COVID-19-Pandemie eingeführten Neuerungen.

Schiedsgerichte können die virtuelle Durchführung von mündlichen Verhandlungen anordnen

Die ICC-SchO 2017 regelte nicht ausdrücklich, ob und unter welchen Umständen die mündliche Verhandlung virtuell anstatt persönlich durchgeführt werden kann. Diesbezüglich führt die ICC-SchO 2021einen neuen dritten Satz in Art. 26 (1) ein, der besagt:

“The arbitral tribunal may decide, after consulting the parties, and on the basis of the relevant facts and circumstances of the case, that any hearing will be conducted by physical attendance or remotely by videoconference, telephone or other appropriate means of communication.”

Besonders hervorzuheben ist, dass die ICC-SchO 2021 das Schiedsgericht nun ausdrücklich ermächtigt, auch über den Einspruch einer Partei hinweg die Durchführung einer virtuellen Verhandlung anzuordnen. Das Schiedsgericht muss jedoch alle relevanten Tatsachen und Umstände des Falles berücksichtigen, was sich in der Praxis als schwierig erweisen kann und ein gesundes Urteilsvermögen der Schiedsrichter erfordert.

Diese Änderung des Art. 26 (1) wurde durch die „ICC Guidance Note on Possible Measures Aimed at Mitigating the Effects of the COVID-19 Pandemic“ angedeutet, welche von der ICC am 09.04.2020 veröffentlicht wurde (ICC Guidance Note). Gemäß der ICC Guidance Note wurden Parteien, Verfahrensbevollmächtigte und Schiedsgerichte ermutigt, zu prüfen, ob die mündliche Verhandlung verschoben oder physisch oder virtuell durchgeführt werden sollte, wobei alle Umstände des Einzelfall zu berücksichtigen sind, einschließlich der Folgen der COVID-19-Pandemie, der Art und Länge der mündlichen Verhandlung, der Komplexität des Falles und der Anzahl der Teilnehmer, der Dringlichkeit des Falles, Verzögerungen und der Notwendigkeit für die Parteien, sich angemessen auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten. Diese in der ICC Guidance Note genannten Kriterien können daher als Orientierung dienen, welche Umstände gemäß dem geänderten Art. 26 (1) der ICC-SchO 2021 zu berücksichtigen sind.

Darüber hinaus sollten sich Anwender und Schiedsrichter über mögliche Hindernisse im Klaren sein, welche die virtuelle Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung für die Vollstreckbarkeit eines eventuellen endgültigen Schiedsspruchs mit sich bringen kann. Das ist eine Frage, die von den staatlichen Gerichten im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahrens entschieden wird und die in den meisten Jurisdiktionen noch nicht endgültig entschieden wurde.

Neue Streitwertgrenze von USD 3 Mio. für die Anwendung der Verfahrensordnung zum beschleunigten Verfahren

Die praxisrelevanteste Änderung im Zuge der letzten Regelüberarbeitung war die Einführung der Verfahrensordnung zum beschleunigten Verfahren in Art. 30 der ICC-SchO 2017 in Verbindung mit dem neuen Anhang VI. Nach der ICC-SchO 2017 sollten ICC-Schiedsverfahren mit einem Streitwert von bis zu USD 2 Mio. automatisch als beschleunigtes Verfahren durchgeführt werden, wenn die Schiedsvereinbarung am oder nach dem 01.03.2017 geschlossen wurde, es sei denn, die Parteien haben ausdrücklich ein Opt-Out vereinbart.

Einen detaillierteren Überblick über die Regeln für beschleunigte Verfahren, ihre Anwendung und Besonderheiten finden Sie in unserem früheren News-Beitrag hier.

Laut ICC-Statistik für das Jahr 2019 wurden zum Jahresende 2019 146 Schiedsverfahren nach der Verfahrensordnung zum beschleunigten Verfahren geführt. Um die Anzahl der beschleunigten Verfahren weiter zu erhöhen, hat die ICC verschiedene höhere Streitwerte für die automatische Anwendung der Verfahrensordnung zum beschleunigten Verfahren erwogen. Letztlich wurde die neue Streitwertgrenze auf USD 3 Mio. festgelegt, wenn die Schiedsvereinbarung am oder nach dem 01.01.2021 geschlossen wurde. Die alte Streitwertgrenze von USD 2 Mio. bleibt für Verfahren bestehen, in denen die Schiedsvereinbarung am oder nach dem 01.03.2017 und vor dem 01.01.2021 abgeschlossen wurde (Anhang VI Art. 1(2)). Die Zahl der Eilverfahren wird durch diese Änderung in den nächsten Jahren weiter ansteigen.

Daher müssen die Parteien bei der Verwendung einer ICC-Schiedsklausel sorgfältig abwägen, ob ihre potenziellen Streitigkeiten für ein beschleunigtes Verfahren geeignet sind oder zusätzliche Bestimmungen aufgenommen werden sollten, um ein Opt-Out zu erklären.

Zusammenfassung weiterer Änderungen in der ICC-SchO 2021

  • Parteien, welche die Mittel für das Schiedsverfahren finanzieren, sind nun verpflichtet, dem ICC-Sekretariat, dem Schiedsgericht und den anderen Parteien den Namen und die Identität des Third-Party-Funders offenzulegen (Art. 11 (7) der ICC-SchO 2021).

  • Ein Antrag auf Beitritt weiterer Parteien zum Schiedsverfahren kann nun auch nach der Bestätigung oder Ernennung eines Schiedsrichters gestellt werden (Ergänzung des neuen Art. 7 (5) der ICC-SchO 2021). Damit verlängert sich die Frist zum Beitritt weiterer Parteien zum Schiedsverfahren. Voraussetzung für den Beitritt ist, dass die zusätzliche Partei die Zusammensetzung des Schiedsgerichts akzeptiert und dem Schiedsauftrag (sofern erforderlich) zustimmt.

  • In Ausnahmefällen kann der ICC-Gerichtshof jedes Mitglied des Schiedsgerichts (unabhängig von einer Parteivereinbarung) ernennen, um ein erhebliches Risiko der Ungleichbehandlung und Unfairness zu vermeiden, das die Gültigkeit des Schiedsspruchs beeinträchtigen könnte (Art. 12 (9) der ICC-SchO 2021). Dies ist die ständige Praxis des ICC-Gerichtshofs.

  • In Investitionsschutzverfahren darf kein Schiedsrichter derselben Nationalität wie die Partien angehören, es sei denn, die Parteien vereinbaren etwas anderes (Art. 13 (6) der ICC-SchO 2021) und die Eilschiedsrichterverfahrensordnung findet keine Anwendung (Art. 29 (6)(c) der ICC-SchO 2021).

  • Nachdem das Schiedsgericht konstituiert wurde, kann es neue Parteivertreter ausschließen, um einen Interessenkonflikt der Schiedsrichter zu vermeiden (Art. 17(2) der ICC-SchO 2021).

  • Die Parteien haben nun die Möglichkeit, innerhalb einer 30-tägigen Frist einen ergänzenden Schiedsspruch hinsichtlich solcher Ansprüche zu beantragen, die im Schiedsverfahren geltend gemacht wurden und über die das Schiedsgericht nicht entschieden hat (Art. 36 Abs. 3 der ICC-SchO 2021).

Fazit

Die aktualisierte ICC-SchO 2021 reflektiert ausdrücklich die Erfahrungen mit der ICC-SchO 2017 und geht Fragen an, welche die Schiedsgerichtsgemeinschaft seit Beginn der Covid-19-Pandemie beschäftigen. Nicht zuletzt adressiert sie die Wirksamkeit und Auswirkungen einer virtuellen Durchführung der mündlichen Verhandlung. Der geänderte Art. 26 (1) der ICC-SchO 2021 ermächtigt das Schiedsgericht nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, dass die mündliche Verhandlung per Videokonferenz, Telefon oder anderen geeigneten Kommunikationsmitteln, anstatt bei physischer Anwesenheit, durchgeführt wird. Da diese Entscheidung des Schiedsgerichts auch gegen den ausdrücklichen Widerspruch einer Partei getroffen werden kann, kann es sinnvoll sein, im Vorfeld eine Einigung hinsichtlich der virtuellen oder physischen Durchführung der mündlichen Verhandlung zu treffen und diese in die Schiedsvereinbarung aufzunehmen.

Die ICC-SchO 2021 ist auf der Website der ICC hier abrufbar.

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