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Insolvenz­anfechtung bei Hin- und Her­zahlungen im Rahmen konto­korrent­ähnlicher Gesellschafter­darlehen

13.08.2019

– BGH begrenzt den Umfang des Insolvenzanfechtungsrisikos – Bedeutung für M&A-Transaktionen bei bestehendem Cash-Pool

Der Bundesgerichtshof hat sich in einem bemerkenswerten Urteil vom 27. Juni 2019 (Az. IX ZR 167/18) mit der Insolvenzanfechtung von Zahlungen an einen Gesellschafter im Rahmen von wechselseitigen, oft mehrmals täglich erfolgten Aus- und Rückzahlungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter beschäftigt. Der neunte Senat des Bundesgerichtshofes hat damit für kontokorrentähnliche Gesellschafterdarlehensverhältnisse – hierzu können auch Cash-Pools gehören – ausdrücklich geurteilt, dass es für den Umfang der Insolvenzanfechtung auf den Betrag der Rückführung des im Anfechtungszeitraum erreichten Höchstsaldos ankomme, nicht aber auf die Summe aller an den Gesellschafter geleisteten Darlehensrückführungen. Bisher hatte sich der Bundesgerichtshof nur im Rahmen eines nicht bindenden Hinweises in einem Urteil aus dem Jahr 2013 (Az. IX ZR 229/12) geäußert.

Die bislang unklare Rechtslage führt insbesondere in Unternehmenstransaktionen dann zu erheblichen Unsicherheiten, wenn die Zielgesellschaft an einem physischen Cash-Pool teilnimmt. Hier besteht das Risiko, dass ein Insolvenzverwalter im Falle der Insolvenz der Zielgesellschaft sämtliche Zahlungen der Zielgesellschaft aus dem Cash-Pool im letzten Jahr vor der Insolvenz anficht – und zwar auch dann, wenn die Insolvenz nach Übergang der Anteile an der Zielgesellschaft auf den Käufer und damit zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem der Verkäufer keine Möglichkeit mehr hat, die Insolvenz anderweitig abzuwenden. Das vorliegende Urteil reduziert dieses Risiko für kontokorrentähnliche Gesellschafterdarlehensverhältnisse erheblich und dürfte unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Cash-Pool-Vereinbarungen übertragbar sein.

Ausgangspunkt: Risiko der Anfechtung von vor dem Unternehmensverkauf erhaltenen Zahlungen als Befriedigung von Gesellschafterdarlehen oder darlehensähnlichen Leistungen

Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegt der Insolvenzanfechtung jede Rechtshandlung innerhalb des letzten Jahres vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens oder einer darlehensähnlichen Leistung Befriedigung gewährt. Als Folge ist die erhaltene Zahlung zurückzugewähren.

Bei Verkäufen von Unternehmen, an die Gesellschafterdarlehen ausgereicht und zurückgeführt wurden, stellt sich aus Sicht der Verkäuferin unter anderem die Frage, wie sie sich im Rahmen der Transaktion gegen das Risiko einer Inanspruchnahme aufgrund von Insolvenzanfechtung abschirmen kann. Der verkaufende Gesellschafter kann nach Vollzug der Transaktion nicht mehr verhindern, dass ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Zielgesellschaft eröffnet wird und damit an ihn erfolgte Darlehensrückzahlungen der Anfechtung unterliegen. Er hat also ein gesteigertes Interesse, sich auf andere Weise gegen das Risiko einer Insolvenzanfechtung oder jedenfalls gegen die Folgen daraus abzusichern.

Sonderfall Cash-Pool: Umgang mit durchgeführtem Cash-Pooling und im Rahmen des täglichen Nettings erfolgten wechselseitigen Zahlungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

Nach der überwiegenden Meinung fällt das zu Finanzierungszwecken in Konzernen beliebte physische Cash-Pooling in den Anwendungsbereich der Insolvenzanfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

Wird nun im Rahmen einer M&A-Transaktion eine Gruppengesellschaft veräußert, die Teilnehmerin eines von der Verkäuferin bzw. im Konzern geführten Cash-Pools war, sieht sich die Verkäuferin mit der Frage konfrontiert, in welchem Umfang sie bei späterer Insolvenz der Zielgesellschaft einem Insolvenzanfechtungsrisiko wegen der in der Vergangenheit im Rahmen des Cash-Pools erhaltenen Zahlungen ausgesetzt wäre. Anders als bei einem klassischen eigenständigen Gesellschafterdarlehen, das in einem feststehenden Umfang im letzten Jahr (teilweise) getilgt wurde und ggf. in einem konkret zu benennenden Umfang noch aussteht, lässt sich das Insolvenzanfechtungsrisiko aufgrund der erhaltenen Rückzahlungen im Cash-Pool nicht verlässlich quantifizieren. Nach dem Wortlaut von § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO könnte jede einzelne Rückzahlung der Gesellschaft an ihren Gesellschafter unter dem Cash-Pool als anfechtbare Rechtshandlung zu qualifizieren sein. Dies kann sehr schnell zu enormen Beträgen führen.

Bisherige Praxis bei M&A Transaktionen

In der M&A Praxis begegnet man dieser Problematik bislang auf verschiedene Weise. So findet sich regelmäßig die Verpflichtung des Käufers, die Zielgesellschaft hinreichend liquide zu halten, oder aber auch die Verkäuferin im Falle der Insolvenz und einer Anfechtung von etwaigen Rückzahlungsverpflichtungen freizustellen – das Ganze gepaart mit entsprechenden durch den Käufer zu stellenden Sicherheiten. Der Wert einer solchen Absicherung hängt selbstverständlich von der Solvenz des Käufers bzw. der Werthaltigkeit zu stellender Garantien oder anderer Sicherheiten ab.

BGH Entscheidung verschafft Orientierung hinsichtlich des Anfechtungsumfangs

Die aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes könnte insoweit Orientierung bieten und auch für die Transaktionspraxis Vorteile bringen. Seit Inkrafttreten des MoMiG hatte sich der Bundesgerichtshof bislang nur mit Hin- und Herzahlungen im Rahmen von Kontokorrentkrediten beschäftigen können. Es ist umstritten, inwieweit diese Grundsätze auf das Cash-Pooling übertragbar sind.

Auch das aktuelle Urteil bezieht sich nicht ausdrücklich auf Zahlungen, die aufgrund einer Cash-Pool-Abrede erfolgt sind. Jedoch hat es eine Vielzahl wechselseitiger Ein- und Auszahlungen zwischen Gesellschafter und Gesellschaft im Rahmen eines darlehensähnlichen Verhältnisses im Jahr vor der Insolvenzantragstellung zum Gegenstand – also Aspekte, die auf ein physisches Cash-Pooling ebenfalls zutreffen. Hier hat das tägliche Netting bei der Cash-Pool-Führerin zur Folge, dass die am Cash-Pool teilnehmenden Gesellschaften entweder Darlehen an die führende Gesellschaft ausreichen, selbst Darlehen empfangen oder Rückzahlungen auf zuvor ausgereichte Darlehen erhalten und dementsprechend wechselseitige Ein- und Auszahlungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter stattfinden.

Die aktuelle Entscheidung stellt klar, dass bezogen auf eine „sich ständig erneuernde, einander überlappende und in Art eines Hin- und Herzahlens der Geldbeträge durchgeführte Überlassung von Geldmitteln zwischen Schuldner und Gesellschafter“, nur eine Darlehensgewährung in Form des höchsten innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag erreichten Sollsaldos besteht. Eine Anfechtung komme nur insoweit in Betracht, als dieser höchste Sollsaldo bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgültig zurückgezahlt worden sei.

Wendet man diese Aussagen auf Cash-Pool-Vereinbarungen an, wird das mögliche Anfechtungsrisiko für die Verkäuferin bezifferbar. Dieses ist beschränkt auf den höchsten Saldo des Cash-Pools (bezogen auf das Verhältnis zwischen Verkäuferin und Zielgesellschaft) und die darauf im Anfechtungszeitraum erfolgte Rückzahlungen. Bei Unternehmensverkäufen hätte das den großen Vorteil, dass sich die Parteien konfliktfreier auf eine vertragliche Absicherung einigen könnten.

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