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Neue Eingriffsbefugnisse der Behörden zur Erlangung dringend benötigter medizinischer Produkte

17.04.2020

Der Bund sowie die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen statten ihre Behörden mit zusätzlichen eingreifenden Befugnissen aus, um bei Bedarf dringend benötigte Medizinprodukte wie Schutzausrüstungen zu beschaffen und dadurch die Materialversorgung zu sichern. Dazu gehören unter anderem Befugnisse, die es erleichtern, solche Güter ausfindig zu machen und zu requirieren, namentlich Meldepflichten, Verkaufsverbote, Beschlagnahmen und Abgabepflichten. Die Anwendung von und der Umgang mit den neuen Befugnissen ist unklar und sorgt in der Wirtschaft teilweise für Unsicherheit. Auch rechtliche Zweifel sind angebracht.

Epidemiegesetz in NRW in Kraft getreten, Einsatz neuer Befugnisse unklar

Nach langem Anlauf ist in Nordrhein-Westfalen in dieser Woche das sogenannte Epidemiegesetz vom Landtag beschlossen worden. Der Landtag hat zudem eine epidemische Lage von landesweiter Tragweite festgestellt, die Voraussetzung für die Anwendung der Befugnisse nach dem Epidemiegesetz ist. Die Landesregierung sah sich zuvor wegen der geplanten Befugnisse – insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit einer Zwangsverpflichtung von medizinischem Personal – heftiger Kritik ausgesetzt und musste das Gesetz abschwächen. 

Das Gesetzespaket beinhaltet ein eigenes Infektionsschutz- und Befugnisgesetz (IfSBG-NRW). Dieses verschafft den Landesbehörden unter anderem die Befugnis, medizinische Schutzausrüstung sicherzustellen, den Verkauf entsprechender Produkte zu untersagen und Personen im Land zu verpflichten, ihre Bestände entsprechender Güter zu melden; zudem können die zuständigen Behörden Eigentümer und Besitzer entsprechender Güter dazu verpflichten, diese an das Land oder an medizinische Einrichtungen abzugeben, und zwar zum Marktpreis, der vor Beginn des maßgeblichen Infektionsgeschehens galt. Güter für den Eigenverbrauch sind von diesen Regelungen nicht erfasst. Ob und in welchem Umfang die Landesregierung in NRW diese Befugnisse einsetzen wird, ist aktuell unklar.

Weitreichende Befugnisse auch in Bayern geschaffen, aber nicht im Einsatz

Das Epidemiegesetz aus NRW ist in wesentlichen Teilen dem neuen Bayerischen Infektionsschutzgesetz (BayIfSG) nachempfunden, das bereits seit dem 27.03. in Kraft ist und entsprechende Befugnisse – Beschlagnahmebefugnis, Meldepflicht, Verkaufsverbot, Pflicht zur Abgabe der Güter an den Staat – für den Fall eines Gesundheitszustands vorsieht. 

Bislang hat die Bayerische Staatsregierung den Gesundheitsnotstand – anders als NRW die epidemische Lage von landesweiter Tragweite – noch nicht ausgerufen. Die Bayerische Staatsregierung hat die neuen Regelungen nach eigenem Bekunden nicht geschaffen, um sie unmittelbar einzusetzen, sondern um bei einer dramatischen Verschlechterung der gesundheitlichen Versorgungslage angesichts deutlicher Steigerungen der Neuinfektionen im Freistaat gewappnet zu sein. Es steht daher nicht zu erwarten, dass die neuen Befugnisse nach dem BayIfSG demnächst zur Anwendung kommen. 

Neue Befugnisse auch des Bundes, Rechtsverordnung in Vorbereitung

Auch der Bund möchte mit neuen Regelungen die Fähigkeiten zur Materialbeschaffung in Zeiten der Corona-Pandemie verbessern. Bereits am 28.03. ist das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in Kraft getreten. Dieses novelliert u.a. die Befugnisse des Bundes im Infektionsschutzgesetz („IfSG“). Als ein Kernstück enthält die Novellierung Verordnungsermächtigungen für das Bundesgesundheitsministerium (§ 5 Abs. 2 Nr. 3, 4, 7 und 8 IfSG).


Von besonderem Interesse ist § 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG. Danach ist das Bundesgesundheitsministerium dazu ermächtigt,
Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung u.a. mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln durch Rechtsverordnung zu ergreifen. Aktuell befindet sich eine Rechtsverordnung in Vorbereitung, die sich primär mit Regelungen zur Arzneimittelversorgung befasst (die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung).

Der dahingehende
Referentenentwurf enthält in seinem § 8 aber auch – geradezu versteckt – ein Verkaufs- und Verpflichtungsverbot. Die Regelung ermächtigt das Bundesgesundheitsministerium zur Marktüberwachung in Bezug auf Produkte des medizinischen Bedarfs – dazu gehören nach dem Entwurf sowohl Arzneimittel als auch Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Produkte zur Desinfektion. Die Marktüberwachung ermächtigt das Ministerium auch zum Erlass eines Verkaufsverbots in Bezug auf entsprechende Produkte, zur Einführung von Meldepflichten sowie zur Verpflichtung von Personen, entsprechende Güter an Bund, Länder, Kommunen oder andere zum dem Preis abzugeben, die das Produkt vor Feststellung der epidemischen Lage hatte. Wann und in welcher Form die Verordnung verabschiedet wird, ist unklar. 

Gewisse Zweifel an der Rechtmäßigkeit einzelner Regelungen 

Bei alledem sind rechtliche Zweifel an einzelnen Befugnissen der neuen Regelungen in Bayern, NRW und im IfSG des Bundes angebracht. Dies gilt zum einen mit Blick auf die Anforderungen, die die landesrechtlichen Regelungen an den Einsatz der neuen Befugnisse stellen. Da es sich bei Beschlagnahme/Sicherstellung, Verkaufsverbot, Meldepflicht und Pflicht zur Abgabe medizinischer Güter an den Staat um weitreichende Eingriffe in die Grundrechte (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) mit teilweise enteignender Wirkung (Art. 14 Abs. 3 GG) handelt, sind hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit, insbesondere die Erforderlichkeit solcher Eingriffe zu stellen. Es erscheint nicht in jeder Hinsicht gesichert, dass die neuen Befugnisse diesen Anforderungen Rechnung tragen. Gerade auch die Regelungen zur Preisbestimmung sehen sich Zweifeln ausgesetzt. 

Zum anderen ist die Verordnungsermächtigung in § 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG äußerst weit und zugleich wenig bestimmt gefasst. Es bedürfte vertiefter Prüfung, ob die Verordnungsermächtigung die besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen (Art. 80 Abs. 1 GG) erfüllt.  

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zweifelt zudem an der Gesetzgebungskompetenz  der Länder zur Schaffung landesrechtlicher Befugnisse im Bereich des Infektionsschutzes. 

Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang die neuen Regelungen überhaupt zum Einsatz und in der Folge auch auf den Prüfstand kommen. 

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