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Neues zu Schein­selbst­ständigkeit und der Sitten­widrigkeit von Franchise­verträgen

29.05.2019

A. Einleitung

Höchstrichterliche Rechtsprechung zu franchiserechtlichen Fragestellungen ist in Deutschland rar gesät. Umso beachtenswerter ist die folgende Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus Oktober 2018 zum Themenkreis der Scheinselbstständigkeit von Franchisenehmern, einem „Dauerbrenner“ der franchiserechtlichen Beratungspraxis.


B. Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens sind Zahlungsansprüche aus einem Lizenzvertrag und die Frage, ob besagter Lizenzvertrag aufgrund einer Scheinselbstständigkeit des Franchisenehmers nichtig ist. Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war selbstständige Immobilienmaklerin und Inhaberin einer Franchiselizenz der Firma R. für einen bestimmten Standort. Sie war zudem berechtigt, Lizenzen an Dritte zu vergeben, die dann ebenfalls als selbstständige Makler tätig werden und Unterstützungs- und Managementleistungen der Klägerin als Franchisenehmer der Firma R. erhalten sollten.

Die Klägerin (Lizenzgeber) und der Beklagte (Franchisenehmer) schlossen einen Franchisevertrag, nach dem der Beklagte eine berufliche Tätigkeit als selbstständiger Immobilienmakler aufnehmen und nach den Grundsätzen und Richtlinien des R.-Franchisesystems auszuüben hatte. Der Beklagte sollte als selbstständiger Immobilienmakler im Gemeinschaftsbüro der Klägerin tätig werden (§ 2 des Lizenzvertrages). Die Klägerin sollte nach außen im eigenen Namen, im Innenverhältnis jedoch für Rechnung des Beklagten die Geschäftsbeziehungen zu Auftraggebern des Beklagten abwickeln (§ 6.2 des Lizenzvertrags). Allein die Klägerin besaß die Inkassovollmacht in Bezug auf Provisionen und Vergütungen des beklagten Lizenznehmers. Der Beklagte hatte für alle von ihm geschlossenen provisionspflichtigen Geschäfte einen Provisionsanteil von 20 % an die Firma R. abzuführen.

Im März 2014 nahm der Beklagte seine Tätigkeit auf. Im November 2014 hoben die Parteien den Lizenznehmervertrag einvernehmlich wieder auf. Daraufhin machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten Zahlungsansprüche wegen aufgelaufener Kosten mit der Klage geltend. Der Beklagte wandte gegen die Klage ein, dass der Lizenzvertrag sittenwidrig sei, weil er nicht selbstständig habe handeln können, sondern nur „scheinselbstständig“ nach außen als Makler aufgetreten sei.

Das Amtsgericht Berlin-Mitte gab der Zahlungsklage teilweise statt. Auf die Berufung des Beklagten gegen diese Entscheidung hat das Landgericht Berlin als Berufungsgericht die Zahlungsklage insgesamt abgewiesen.

Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass es sich bei dem Lizenzvertrag wegen der Scheinselbstständigkeit des Beklagten um ein nichtiges Umgehungsgeschäft gehandelt habe. Ein Anspruch aus Vertrag bestehe daher nicht. Das Berufungsgericht hatte Scheinselbstständigkeit dabei wie folgt definiert:

Scheinselbstständige seien Personen, die für einen anderen andauernd Dienst- oder Werkleistungen erbrächten und dabei wie ein Arbeitnehmer weisungsgemäß oder in wirtschaftlicher Abhängigkeit von dem Auftraggeber tätig würden, obwohl sie ausdrücklich keinen Arbeitsvertrag geschlossen hätten. Die Scheinselbstständigkeit werde dabei in dem Bestreben benutzt, arbeitsrechtliche Schutzvorschriften, insbesondere Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung, Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer, zu umgehen. Im vorliegenden Fall sei kein Arbeitsvertrag zwischen den Parteien geschlossen worden, sondern ein Lizenznehmervertrag, der den Anschein habe erwecken sollen, der Lizenznehmer werde selbstständig Immobilien vermakeln. Der Beklagte sei in der Gestaltung seiner Arbeitszeit zwar frei und könne bestimmen, ob eine Rechnung an seinen Kunden gestellt werde und betreibe selbstständig Kundenakquise. Allerdings überwögen in dem Lizenzvertrag die Bestimmungen, die ein Arbeitsverhältnis kennzeichneten.

C. Die Entscheidung des BGH

Mit Urteil vom 11.10.2018 – VII ZR 298/17 hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass der zwischen den Parteien geschlossene Lizenzvertrag nicht sittenwidrig und daher nicht unwirksam sei.

Die bloße Umgehung der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften betreffend den Kündigungsschutz (§§ 1 ff. KSchG), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EntgeltFG) sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer ( § 28e SGB IV, § 41a EStG) führe nicht zur Nichtigkeit des Vertrags. Diese Bestimmungen seien vielmehr unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages anwendbar, wenn deren Voraussetzungen erfüllt seien.

Ob ein Vertrag über die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit oder ein Arbeitsvertrag vorliege, sei anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Der objektive Geschäftsinhalt sei den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprächen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, sei Letztere maßgeblich.

Für das weitere vor dem Berufungsgericht durchzuführende Verfahren hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes auf Folgendes hingewiesen:

Der Lizenznehmervertrag wäre nur dann sittenwidrig gewesen, wenn der Vertrag im Übrigen als sittenwidrig zu bewerten sei. Das käme auch dann in Betracht, wenn der Beklagte als selbstständig anzusehen sei. Ein Indiz für eine sittenwidrige Knebelung des Franchisenehmers könne die Vereinbarung einer Inkassovollmacht zugunsten des Franchisegebers sein, durch die der Zahlungsverkehr auf den Franchisegeber umgeleitet werde. Weitere Indizien könnten Vertragsbestimmungen sein, die über die für ein Franchisesystem typischen Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit des Franchisenehmers hinausgingen. Das Berufungsgericht müsse hierzu nach Anhörung der Parteien die erforderlichen Feststellungen treffen.

D. Fazit

Der Bundesgerichtshof hat das Rad nicht neu erfunden. Es bleibt bei gefestigten Grundsatzdefinitionen der Abgrenzung von arbeitnehmerischer und selbstständiger Tätigkeit. Interessant und relevant für die franchiserechtliche Beratungspraxis sind die Ausführungen des Bundesgerichtshofes zu Indizien, die für die Sittenwidrigkeit eines Franchisevertrages sprechen können.

Nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofes zur Indizwirkung einer auf den Franchisegeber lautenden Inkassovollmacht für die Sittenwidrigkeit des Franchisevertrages ist deshalb, will man eine solche Inkassovollmacht überhaupt noch vereinbaren, neuerdings noch mehr Vorsicht bei der Vertragsgestaltung geboten.

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