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Neues zur Europäischen Sammelklage

11.03.2019

Nachdem die Europäische Kommission im April 2018 ihren Richtlinienentwurf für eine Europäische Sammelklage vorgelegt hat, hat der Rechtsausschuss (JURI) des Europäischen Parlaments am 07.12.2018 den Entwurf des Berichterstatters vom 12.10.2018 mit einigen Änderungen angenommen. Die Neuerungen scheinen von dem Wunsch getragen, auch den Interessen potentiell betroffener Unternehmen Rechnung zu tragen und sich weiter von class actions und „Klageindustrie“ nach US-amerikanischem Vorbild abzugrenzen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Änderungsvorschläge kurz vorgestellt werden.

Keine Feststellung von Rechtsverletzungen

Zentrale Neuerung ist, dass nach dem Willen des Rechtsausschusses die Möglichkeit nach Art. 5 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 i.V.m. Art. 6 Abs. 2, 3 des Kommissionsentwurfs gestrichen werden soll, einen Beschluss zur Feststellung einer Rechtsverletzung zu erwirken. Damit verbliebe nur die Möglichkeit, auf Unterlassung oder Abhilfe zu klagen. Die ursprünglich im Kommissionsentwurf vorgesehene Möglichkeit eines Feststellungsbeschlusses wäre vor allem für solche Fallgestaltungen relevant gewesen, in denen die Schadensbemessung schwierig ist und vom Einzelfall abhängt. Führt etwa ein Produkt bei Verbrauchern zu einer Gesundheitsschädigung, werden die Schäden (etwa für Heilbehandlungen) je nach Verbraucher variieren. In derartigen Fällen kann die Europäische Sammelklage also nicht mehr in Stellung gebracht werden.

Aus deutscher Sicht dürfte die Streichung von Art. 6 Abs. 2, 3 des Kommissionsentwurfs allerdings keine große Rolle spielen. Die Rolle des Feststellungsbeschlusses übernimmt im deutschen Prozessrecht seit dem 01.11.2018 die Musterfeststellungsklage. Mit dem Instrument der Musterfeststellungsklage kann durch ein Gericht festgestellt werden, dass ein Unternehmer gegenüber Verbrauchern haftet. Fällt das Musterfeststellungsurteil zugunsten der Verbraucher aus (und wird kein Vergleich geschlossen), kann der Verbraucher auf dieser Grundlage in einem Folgeprozess seinen Anspruch geltend machen. Art. 1 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 4 des Kommissionsentwurfs stellen klar, dass nationale Schutzmechanismen (wie die Musterfeststellungsklage) von den europäischen Abhilfemaßnahmen unberührt bleiben.

Auch nach den Änderungsvorschlägen des Rechtsausschusses bleibt es bei der zentralen Neuerung der Europäischen Sammelklage, wie sie auch schon im ursprünglichen Richtlinienentwurf vorgesehen ist: Art. 6 Abs. 1 des Kommissionsentwurfs dient der Erwirkung eines Abhilfebeschlusses, der dem Verbraucher unmittelbar einen Anspruch gegen das Unternehmen verschafft. Anders als bei der deutschen Musterfeststellungsklage bedarf es also keines Folgeprozesses, in dem der Verbraucher auf Grundlage der Feststellungen des Musterfeststellungsurteils eine eigene Klage anstrengen muss, die mit Kosten und Risiken verbunden ist. Aus Sicht der Verbraucher dürfte die europäische Sammelklage daher attraktiver sein als die Musterfeststellungsklage und wird immer dann das Mittel der Wahl sein, wenn ihr Anwendungsbereich eröffnet ist.

Höhere Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen

Leitmotiv bei der Ausgestaltung der Europäischen Sammelklage ist weiterhin, dass es in der Europäischen Union keine Klageindustrie nach US-amerikanischem Vorbild geben soll. Mit diesem Verdikt werden auf Massenverfahren spezialisierte Kanzleien belegt, die mit exorbitant hohen Schadensersatzforderungen Druck auf Unternehmen ausüben, um diese zu einem Vergleich zu zwingen – unabhängig von den tatsächlichen Erfolgsaussichten. Um dieser Gefahr vorzubeugen, hat der Rechtsausschuss die Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen in Art. 4 des Kommissionsentwurfs noch weiter verschärft. Als qualifizierte Einrichtungen sollen nur noch unabhängige Verbraucherorganisationen und öffentliche Stellen in Frage kommen, bei denen die finanzielle Unabhängigkeit sichergestellt und nachgewiesen ist. Klargestellt wurde in diesem Zusammenhang, dass qualifizierte Einrichtungen nicht nur keinen Erwerbszweck verfolgen dürfen, sondern auch unabhängig von anderen (natürlichen oder juristischen) Personen sein müssen, die keine Verbraucher sind. Ausdrücklich dürfen auch keine finanziellen Abreden mit „Klägerkanzleien“ („plaintiff law firms“) bestehen. Anwaltskanzleien waren von Anfang an nicht klagebefugt und es wurde klargestellt, dass sie auch künftig keine qualifizierten Einrichtungen gründen dürfen.

Weitere Schutzmechanismen für Unternehmen

Auch die weiteren Änderungsvorschläge sind ersichtlich vom Bemühen getragen, in der emotional aufgeheizten Debatte um die prozessuale Verbesserung des Verbraucherschutzes die berechtigten Interessen der Unternehmen nicht aus den Augen zu verlieren. So soll die Bindungswirkung eines Urteils auch zugunsten des Unternehmen gelten. Damit soll die Gefahr gebannt werden, dass Kläger trotz Unterliegens weiter gegen das betroffene Unternehmen vorgehen. Mit der Einführung des Unterliegensprinzips („loser pay principle“), wonach der Verlierer auch die Kosten des Gewinners übernehmen muss, sollen missbräuchliche Klagen mit geringen Erfolgsaussichten verhindert werden. Offensichtlich unbegründete Fälle („manifestly unfounded cases“) sollen so früh wie möglich zurückgewiesen werden können. Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit über eine neue Sammelklage müssen die qualifizierten Einrichtungen sowohl auf Reputationsanliegen betroffener Unternehmen als auch auf die Wahrung von deren Geschäftsgeheimnissen achten.

Ausblick

Die Europäische Sammelklage kommt. Zwar sind die Änderungen durch den Rechtsausschuss nicht unwesentlich. Sie zeigen jedoch auch, dass die Europäische Sammelklage nicht grundsätzlich infrage gestellt wird. Sobald die Richtlinie erlassen ist, wird auch der deutsche Gesetzgeber – trotz der Einführung der Musterfeststellungsklage zum 01.11.2018 – über die Umsetzung nachdenken müssen. Zwar folgt die avisierte Richtlinie über Verbandsklagen dem Prinzip der Mindestharmonisierung. Der Mindeststandard des Art. 6 Abs. 1 des Kommissionsentwurfs, wonach unmittelbar ein Abhilfebeschluss zugunsten des Verbrauchers erwirkt werden kann, wird durch das zweistufige Verfahren aus Musterfeststellung und Individualklage jedoch nicht erreicht.

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