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"Nimmt" oder "kriegt" der Arbeitnehmer Urlaub?

07.02.2017

Viele Unternehmen erlauben ihren Arbeitnehmern, nicht verbrauchten Urlaub bis zum 31.03. oder 30.04. des Folgejahres zu übertragen. Anlässlich des nahenden Endes des Übertragungszeitraums sollten sich Unternehmen mit einer aktuellen Vorlage des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 13.12.2016 (9 AZR 541/15 (A)) beschäftigen, die erneut einen wesentlichen Grundsatz des deutschen Urlaubsrechts zu Fall bringen könnte.

Gegenstand des Ausgangsverfahren

Das befristete Arbeitsverhältnis des klagenden Wissenschaftlers sollte nach 12 Jahren zum 31.12.2013 enden. Der Kläger hatte aus den Jahren 2012 und 2013 noch insgesamt 53 Tage Urlaub angesammelt. Der Arbeitgeber bat den Kläger zwar schon im Oktober 2013, seinen Urlaub doch noch vor Ende des Arbeitsverhältnisses abzubauen; der Kläger ignorierte dies aber weitgehend und nahm lediglich 2 Urlaubstage. Nach seinem Ausscheiden fordert er knapp EUR 12.000,- brutto als Abgeltung für nichtgenommene 51 Urlaubstage.

Bisherige Rechtsprechung des BAG: Keine Pflicht zum Aufzwingen des Urlaubs

Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG wäre der Urlaub des Klägers nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verfallen. Der Arbeitnehmer hatte ausreichend Gelegenheit, Urlaub zu erhalten. Hierbei, so die bisherige Rechtsprechung des BAG, könne das BUrlG nicht so ausgelegt werden, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, dem Arbeitnehmer den Urlaub aufzuzwingen. Der Arbeitgeber dürfe Urlaub einseitig anordnen, müsse dies aber nicht. Beantrage der Arbeitnehmer keinen Urlaub, verfalle dieser zum Jahreswechsel (bzw. zum Ende des Übertragungszeitraums) ersatzlos.

Auch der EuGH schien bisher einem Verfall von Urlaub nur dann kritisch entgegenzustehen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich keine Möglichkeit hatte, seinen Urlaub zu nehmen. Demgegenüber hat er in zwei Entscheidungen, zuletzt am 30.06.2016 (C-178/15) entschieden, dass die europäische Richtlinie 2003/88/EG einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende des Bezugszeitraums vorsieht, "was jedoch unter der Bedingung steht, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit hatte, diese Anspruch wahrzunehmen.“

Anstehende Entscheidung des EuGH, ob Urlaub aufgezwungen werden muss

Das BAG meint nun in seinem Vorlagebeschluss, es sei durch den EuGH noch nicht hinreichend beantwortet worden, ob das europäische Recht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, „von sich aus einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Bezugszeitraums festzulegen.“ Das BAG nimmt insbesondere Bezug auf jüngere Urteile diverser Landesarbeitsgerichte (etwa München, Berlin-Brandenburg, Köln) sowie zahlreiche kritische Stimmen in der Rechtswissenschaft, die den Arbeitgeber in der Pflicht sehen, Urlaub aktiv zu gewähren oder ansonsten abzugelten.

Diese kritischen Stimmen stützen sich auf Wortlaut und Schutzzweck des Urlaubsrechts. So müsse der Urlaub nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG „gewährt und genommen“ werden. Auch sei das Urlaubsrecht Teil des Arbeitsschutzrechts, weil es die Gesundheit des Arbeitnehmers schützen will. Im Arbeitsschutzrecht sei aber der Arbeitgeber verpflichtet, seinen Pflichten auch ohne vorherige Aufforderung des Arbeitnehmers nachzukommen.

Unternehmer sollten ihre Regelungen zur Urlaubsvergabe sorgsam prüfen

Es besteht mithin das Risiko, dass der EuGH noch im Jahr 2017 urteilen wird, dass der Urlaubsanspruch am Ende des Übertragungszeitraums nicht untergeht, wenn der Arbeitgeber ihn nicht aktiv angeordnet hat. Diesem Risiko kann der Arbeitgeber vorbeugen, indem er von seinem Recht Gebrauch macht, Urlaub einseitig anzuordnen. Um hohe Urlaubsabgeltungskosten zu vermeiden, sollten Unternehmen ihre Urlaubsvergabepraxis hierauf einrichten.

Weniger flexibel können allerdings häufig Arbeitgeber reagieren, bei denen die Urlaubsvergabe durch Betriebsvereinbarung („BV Urlaubsvergabe“) geregelt ist; zumeist regeln solche BV Urlaubsvergabe einen Beantragungsmechanismus und sehen keine einseitige Anordnungsmöglichkeit des Arbeitgebers vor. In diesem Fall sollte rechtzeitig mit dem Betriebsrat eine Änderung der BV Urlaubsvergabe verhandelt werden, um auf einen Rechtsprechungswandel des EuGH zeitnah (vorbeugend) reagieren zu können.

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