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No-Deal-Brexit – Auswirkungen und administrative Vorbereitungen seitens Deutschland und der EU

11.10.2019

Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland wird die Europäische Union (EU) voraussichtlich am 31. Oktober 2019 verlassen. Trotz der durch den britischen Gesetzgeber kürzlich erlassenen „Benn Bill“ kann zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem ungeregelten Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU („No-Deal-Brexit“) kommen wird. Bislang gibt es noch kein Post-Brexit-Szenario, auf das sich die Wirtschaft vorbereiten könnte.

Dieser Beitrag soll einen kurzen, nicht abschließenden Überblick über die Auswirkungen eines No-Deal-Brexit auf die wichtigsten Rechtsgebiete und Industrien geben. Dabei werden die von Deutschland und der EU zur Vorbereitung auf einen ungeregelten Brexit ergriffenen regulatorischen und nicht regulatorischen Maßnahmen erläutert. Allein die deutsche Regierung hat mehr als 50 solcher Maßnahmen erlassen, die – insbesondere die legislativen Maßnahmen – in ihrer konzeptionellen Zielsetzung eindeutig sind: sie sind als einseitige, vorübergehende Notmaßnahmen ausgelegt mit dem Ziel, unbillige Härten in bestimmten eng definierten Fällen abzufedern, um Nachteile für Deutschland und/oder Staatsangehörige und Unternehmen der EU 27 abzuwenden. Ihre Zielrichtung ist es außerdem die klare Abgrenzung zwischen EU-Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Die auf EU-Ebene begleitenden Notmaßnahmen folgen demselben konzeptionellen Ansatz.

Overview

Wichtige Rechtsgebiete Schlüsselindustrien
Gesellschaftsrecht Logistik – Zölle
Steuerrecht Logistik – Transport
Zuwanderung / grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern Handel – einer Konformitätsbewertung unterzogene Produkte
Datenschutz Finanzmärkte und Versicherungen
Wettbewerbsrecht Chemie- und Medizinprodukte
Marken und Patente

 

Wichtigste Rechtsgebiete

Gesellschaftsrecht

Ein No-Deal-Brexit betrifft in Deutschland tätige Unternehmen mit britischer Rechtsform. Diese könnten die Verwendung einer solchen Rechtsform nicht mehr an die EU-Niederlassungsfreiheit knüpfen, mit der Folge, dass sie nach deutschem Recht als OHG oder GbR zu behandeln wären. Dies würde zu erheblichen Haftungsrisiken für einzelne Gesellschafter führen. Eine Gesetzesänderung des deutschen Umwandlungsgesetzes (UmwG) ermöglicht es den Gesellschaftern, dieses Risiko zu vermeiden, indem sie von einer britischen Rechtsform in eine deutsche Rechtsform (mit beschränkter Haftung) wechseln können. Das UmwG erreicht dies unter anderem durch Erweiterung des persönlichen und räumlichen Anwendungsbereichs dessen, was als „grenzüberschreitende Verschmelzung“ im Sinne der §§ 122a ff. UmwG behandelt werden kann.

Steuerrecht

Die steuerrechtlichen Folgen eines No-Deal-Brexit lassen sich hier nicht in vollem Umfang abbilden. Hervorzuheben sind die grundlegenden Vorkehrungen gegen steuerliche Nachteile, die sich allein aus der deutschen Brexit-Gesetzgebung ergeben. Das Brexit-Steuerbegleitgesetz (Brexit-StBG) ändert § 22 Abs. 1 und Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes, um die nachträgliche Besteuerung von Gewinnen aus Einlagen in Fällen zu verhindern, in denen Unternehmsteile oder Geschäftsanteile durch einen britischen Steuerzahler oder ein britisches Unternehmen vor dem Austrittsdatum unter Marktwert übertragen wurden. § 4g EStG wurde geändert, um die Möglichkeit zu erhalten, die Besteuerung stiller Reserven, die durch die Übertragung eines Vermögenswerts auf eine britische Betriebsstätte ausgelöst wird, über einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren zu verteilen. Eine Änderung des § 6b Abs. 2a EStG vermeidet zwingende Zinszahlungen in Fällen, in denen die Zahlung von Steuern für Ersatzkäufe in Raten erfolgen kann. Das Gesetz sieht darüber hinaus vor, dass der Brexit als solcher - ungeachtet einer späteren Sitzverlegung oder Wohnsitzwechsels - weder die Rechtsfolgen des § 12 Abs. 3 Körperschaftssteuergesetz noch des § 6 Abs. 5 Satz 4 Außensteuergesetz für natürliche Personen auslöst, die anderenfalls dazu führen würden, dass britische Unternehmen als aufgelöst gelten oder die Wegzugsteuer für natürliche Personen zwingend zurückgestellt wird. Im Hinblick auf die Aussicht eines No-Deal-Brexit sollen im Finanzministerium 900 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die EU-Kommission stellte auf ihrer Website eine bemerkenswerte Mitteilung zur Vorbereitung zum Thema Steuern, Handeln und Zollunion zur Verfügung.

Zuwanderung / grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern

Ein ungeregelter Austritt würde dazu führen, dass viele britische Staatsangehörige und ihre Familien, die in Deutschland leben, eine Aufenthaltserlaubnis benötigen. In diesem Sinne hat die Bundesregierung das Brexit-Aufenthalts-Überleitungsgesetz verabschiedet. Das Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten und wird derzeit im Bundesrat diskutiert. Dadurch wird sichergestellt, dass alle britischen Staatsangehörigen und ihre Familienangehörigen, die zum Zeitpunkt des Austritts nach den EU-Bestimmungen zur Freizügigkeit in Deutschland wohnen, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Diese Bürger werden danach für einen Übergangszeitraum von 3 Monaten, vor dessen Ablauf sie einen Antrag auf Aufenthaltsverlängerung gestellt haben müssen, auch von der Verpflichtung befreit, eine Aufenthaltserlaubnis zu besitzen. Der Gesetzesentwurf schafft außerdem den Rahmen für den Zugang britischer Staatsangehöriger zum deutschen Arbeitsmarkt durch eine Änderung der maßgeblichen, nicht legislativen Vorschriften (Beschäftigungsverordnung). Die Innenministerien der einzelnen Bundesländer werden zusätzliche finanzielle und personelle Mittel bereitstellen, um die administrativen Herausforderungen, die sich während des Übergangszeitraums stellen werden, zu bewältigen. Für die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern aus Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat in das Vereinigte Königreich wären die EU-Dienstleistungsfreiheit und die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften – einschließlich der EU-Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern – im Vereinigten Königreich nicht mehr unmittelbar anwendbar. Die Bedingungen, unter denen die Arbeitnehmer entsandt werden können, werden dann von der Rechtslage im Vereinigten Königreich abhängen.

Datenschutz

Im Falle eines ungeregelten Austritts unterliegt die Übermittlung von Daten aus der EU an das Vereinigte Königreich den Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung (EU) 2016/679 („DSGVO“) über die Übermittlung von Daten an Drittländer. Eine Übermittlung könnte erfolgen, sofern eine Angemessenheitsentscheidung gemäß Art. 45 DSGVO vor dem Austrittsdatum erzielt wird, was jedoch derzeit sehr unwahrscheinlich erscheint. Die Datenübertragung wäre daher gemäß Art. 46 und 47 DSGVO nur möglich, wenn für personenbezogene Daten „angemessene Garantien“ vorgesehen sind. Soweit keiner dieser Mechanismen greift, legt Art. 49 DSGVO alternativ mögliche Bedingungen für die Übermittlung von Daten fest, einschließlich der ausdrücklichen Zustimmung der betroffenen Person und des Erfordernisses der Übermittlung für die Erfüllung eines Vertrags zwischen der betroffenen Person und dem Datenverarbeitungsunternehmen.

Wettbewerbsrecht

Ein No-Deal-Brexit wird viele Rechtsfragen im Bereich des Wettbewerbsrechts aufwerfen. Daher kann hier lediglich ein grundlegender Überblick über die wesentlichen Konsequenzen gegeben werden. Ausgehend von den EU-Fusionskontrollbestimmungen wird insbesondere das System der zentralen Anlaufstelle für Fusionsanmeldungen gemäß Verordnung (EG) 139/2004 nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten, sodass im Vereinigten Königreich ein zusätzlicher Zusammenschluss erforderlich werden könnte. Auch die EU-Bestimmungen zum Beihilferecht werden nicht mehr gelten und durch die WTO-Regeln ersetzt, soweit Beihilfen durch eine britische Behörde gewährt werden. Falls deutsche Behörden im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen Beihilfen gewähren, so gilt weiterhin das EU-Beihilferecht, wenn die Beihilfe Auswirkungen auf den Wettbewerb im EU-Markt hat. Verstöße gegen das europäische Kartellrecht durch britische Unternehmen, die sich störend auf den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt auswirken, fallen weiterhin in die Zuständigkeit der Europäischen Kommission, da Sanktionen auf diesem Gebiet unabhängig davon verhängt werden können, in welchem Staat das verletzende Unternehmen seinen Sitz hat.

Marken und Patente

Ein ungeregelter Austritt wird auch erhebliche Auswirkungen auf die Inhaber von EU-Marken sowie eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern haben, die im Vereinigten Königreich tätig sind, da diese Marken und Geschmacksmuster, obwohl sie in den EU 27 wirksam bleiben, ihre Wirksamkeit im Vereinigten Königreich verlieren. Sämtliche Inhaber dieser Rechte werden entsprechende britische Marken oder Gebrauchsmuster für den Schutz im Vereinigten Königreich erwerben müssen. Sämtliche Prioritätsansprüche für EU-Marken auf der Grundlage nationaler Markenrechte im Vereinigten Königreich werden in der EU unwirksam sein. Des Weiteren müssen sich alle Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich vor dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum in fast allen, in den EU-Rechtsvorschriften geregelten Verfahren vertreten lassen. Dagegen wird ein No-Deal-Brexit keine Auswirkungen auf europäische Patente haben, da das zugrundeliegende europäische Patentübereinkommen unabhängig von der Mitgliedschaft in der EU Anwendung findet.

Schlüsselindustrien

Logistik – Zölle

Im Falle eines No-Deal-Brexit werden die Handels- und Zollbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ausschließlich auf den WTO-Bestimmungen für Drittländer basieren. Dies wird sämtliche Gebiete in Bezug auf Einfuhr, Ausfuhr, Wiedereinfuhr, Wiederausfuhr und Transitverfahren betreffen. Zollformalitäten müssen beachtet und Einfuhrzollkontrollen durchgeführt werden. Sämtliche Waren auf jeder Seite der EU und des Vereinigten Königreichs werden unterschiedliche Zollabwicklungsverfahren durchlaufen, je nach Zweck- und Endziel. Bezüglich des Verfahrens zur Bestimmung des Ursprungs von Waren und der Ausstellung von Präferenznachweisen und/oder Zertifikaten wird der Austritt erhebliche Auswirkungen haben. Unter anderem werden Unternehmen aus der EU prüfen und berücksichtigen, ob importierte Waren mit Verbrauchssteuern belegt sind (z. B. Energieprodukte, Alkohol und Tabak), ob Mehrwertsteuer bei der Einfuhr gezahlt werden muss, oder ob Verbote oder Beschränkungen bezüglich der Einfuhr bestimmter Waren Anwendung finden. Unternehmen müssen zudem überprüfen, ob Ursprungsberechnungen, Lieferketten oder bestehende Genehmigungen geändert oder angepasst werden müssen. Gegebenenfalls sind neue Zollbescheinigungen zu beantragen. Sämtliche Wirtschaftsakteure, die aus oder in das Vereinigte Königreich und/oder die EU exportieren oder importieren, sollten sich bei den Zollbehörden registrieren lassen und sich eine Economic Operators Registration and Identification Number („EORI-Nummer“) zuteilen lassen. Die Kommunikation mit Zollbehörden wird über ATLAS erfolgen, ein IT-System, das eine Anmeldung und zertifizierte Software erfordert. Die Anmelder müssen im Allgemeinen ihren Sitz in der EU haben, Zollformalitäten können jedoch durch einen Vertreter erfolgen. In Deutschland hat die Regierung die Schaffung von ca. 900 dauerhaften neuen Arbeitsplätzen für die Zollverwaltung genehmigt, um diese zusätzlichen Herausforderungen eines No-Deal-Brexits zu bewältigen.

Logistik – Transport

Wirksamer grenzüberschreitender Warentransport, der eine ausreichende Belieferung der Verbraucher gewährleistet und den Unternehmen ein wirtschaftliches Arbeiten ermöglicht, hängt im starkem Maße von einem reibungslosen Handel ab. Dies wird durch einen No-Deal-Brexit gefährdet, insbesondere in Bereichen, in denen Lieferketten stark reguliert sind (wie dies etwa für Medizinprodukte und Medizingeräte der Fall ist, wie in sections 3 und 6 der veröffentlichten „Yellowhammer“-Dokumente der britischen Regierung vorgesehen). Im Transportsektor wurden die wichtigsten Notmaßnahmen, die Wirtschaftsakteuren aus dem Vereinigten Königreich entsprechende Rechte einräumen, auf EU-Ebene erlassen. Die Vorschriften sehen Sanktionen vor, die durch die EU-Kommission verhängt werden können, sollte das Vereinigte Königreich Wirtschaftsakteuren aus der EU 27 keine gleichen Rechte oder ein nichtdiskriminierendes Wettbewerbsumfeld gewähren. Die EU-Notfallverordnung Nr. 2019/502 gewährt Luftverkehrsunternehmen aus dem UK grundlegende Luftverkehrsrechte bis zum 30. März 2020, einschließlich des Rechts zur Durchführung internationaler Lufttransportdienstleistungen für Passagiere und/oder Fracht zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Flüge zwischen der EU und/oder aus der EU in ein Drittland sind von der Verordnung nicht erfasst. Die EU-Verordnung Nr. 2019/503 zu Eisenbahnnetzen sieht ein Sicherheitsnetz insbesondere für Eisenbahnunternehmen im Vereinigten Königreich vor, die grenzüberschreitende Eisenbahninfrastrukturanlagen betreiben. Dadurch wird die weitere Wirksamkeit von Sicherheitszertifikaten, Sicherheitsgenehmigungen und Zugführerscheinen für einen Übergangszeitraum von neun Monaten gewährleistet. Ziel ist es, den Unternehmen ausreichend Zeit einzuräumen, um diese Dokumente in einem EU-Mitgliedstaat erneut ausstellen zu lassen. Die EU-Notfall-Verordnung Nr. 2019/501 gewährt Güterkraftverkehrsunternehmen aus dem UK Zugang zum EU-Markt bis zum 31.12.2019. Für die Zeit danach müsste möglicherweise auf das ECMT-Lizenzsystem zurückgegriffen werden.

Handel – einer Konformitätsbewertung unterzogene Produkte

Soweit Unternehmen Produkte in Verkehr bringen wollen, deren rechtmäßiges Inverkehrbringen ein Konformitätsbewertungsverfahren auf dem EU-Markt erfordert (z. B. Medizinprodukte), müssen diese beachten, dass die bisherigen „benannten Stellen“ im UK den Status im Sinne der einschlägigen EU-Produktvorschriften nicht behalten werden und daher nicht mehr die erforderlichen Zertifikate für eine „CE-Kennzeichnung“ ausstellen dürfen. Hersteller dieser Produkte sind somit verpflichtet, eine benannte Stelle in der EU und gegebenenfalls einen Bevollmächtigten zu suchen. Bislang gibt es kein gemeinsames Verfahren auf nationaler oder EU-Ebene für den Umgang mit Herstellern und Produkten, die durch eine britische „benannte Stelle“ zertifiziert wurden.

Finanzmärkte und Versicherungen

Angesichts der potentiell erheblichen Auswirkungen des Brexit auf die Stabilität der Finanzmärkte oder auf Versicherungsnehmer räumt das deutsche Steuergesetz zum Brexit (s. oben) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Befugnis ein, britischen Unternehmen des Banken-, Finanzdienstleistungs- oder Versicherungssektors zu gestatten, grenzüberschreitende Geschäfte in Deutschland für einen Zeitraum von höchstens 21 Monaten fortzusetzen. Die konkreten Modalitäten der Maßnahmen werden von der BaFin festgelegt. Durch begleitende EU-Entscheidungen und Verordnungen wird sichergestellt, dass es keine Störungen bei der zentralen Verrechnung von Derivaten und bei Dienstleistungen der britischen zentralen Wertpapierverwahrstellen geben wird. Die Regelungen ermöglichen auch eine vereinfachte Erneuerung bestimmter Over-The-Counter-Derivate-Verträge mit einer im Vereinigten Königreich ansässigen Gegenpartei. Die Bundesregierung hat kürzlich ein weiteres Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des § 32 Abs. 1a Kreditwesengesetz eingeleitet, wonach die Ausübung grenzüberschreitender Eigengeschäfte von Drittunternehmen oder Unternehmen aus Drittländern, die als Mitglied der Börse oder über einen Handelsplatz im Sinne der Rechtslinie 2014/65/EU tätig sind, von einer Genehmigungspflicht befreit ist. Durch das Steuergesetz zum Brexit wird zudem § 66a Abs. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz geändert, der einstweilige Maßnahmen zum Schutz von Versicherungsnehmern und Leistungsempfängern von Versicherungsleistungen vorsieht. Dies ermöglicht die Abwicklung abgeschlossener Versicherungsverträge vor dem Austrittsdatum. Weitere Bestimmungen werden zur Risikominimierung von „großen Finanzinstituten“ (§ 25n Abs. 1 KWG) getroffen; der Antrag auf Kündigung des Anstellungsverhältnisses (per Gerichtsbeschluss) eines hochbezahlten Risikoträgers, der bei einem solchen Institut beschäftigt ist, bedarf keiner Begründung nach § 9 Kündigungsschutzgesetz mehr. Weitere Änderungen des Pfandbriefgesetzes und des Bausparkassengesetzes sehen ein umfassendes "Grandfathering" für Forderungen vor, die durch britische Vermögenswerte vor dem Brexit und für bestehende Investitionen im UK gesichert sind, sowie für die Durchsetzung von Forderungen, die durch Hypotheken auf britische Immobilien gesichert sind. Das Wertpapierprospektgesetz bleibt von der genannten Notstandsgesetzgebung unberührt. Die konkreten Folgen eines No-Deal-Brexit in diesem Bereich sind schwer abzuschätzen. Die BaFin informiert auf ihrer Webseite u. a. über die Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Gültigkeit von genehmigten Wertpapierprospekten und den Status des Vereinigten Königreichs als „Herkunftsmitgliedstaat“ im Sinne des Art. 2 (m) der Verordnung (EU) 2017/1129.

Chemie- und Medizinprodukte

Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich, die Chemikalien an Kunden in der EU 27 liefern und diese Produkte gemäß REACH-Verordnung (EG 1907/2006 „REACH“) bei der Europäischen Chemikalienagentur („ECHA“) registriert haben, können nicht mehr als Anmelder im Sinne dieser Verordnung auftreten. Folglich müssen Kunden dieser im UK ansässigen Unternehmen den betroffenen Stoff selbst registrieren, da das Unternehmen sonst einen „Alleinvertreter“ in der EU benennen (oder in die EU umziehen) müsste. Zur Beantwortung wichtiger Fragen bietet das Bundesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin einen REACH-CLP-Biozid-Helpdesk an und die ECHA verfügt über eine englische FAQ-Seite. Für Medizinprodukte werden die britischen Agenturen für Human- und Tierarzneimittel (MHRA und VMD) voraussichtlich nicht mehr für Genehmigungsverfahren zur Verfügung stehen, die für die rechtmäßige Vermarktung von Medizinprodukten in der EU erforderlich sind. Die Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit für Patienten und die Vermeidung von Engpässen in den EU-Regulierungsnetzwerken sind für die deutschen Genehmigungsbehörden von zentraler Bedeutung; diese werden daher ihr Personal aufstocken, um bisherige britische Verfahren übernehmen zu können. Britische Unternehmen sollten das Verfahren möglichst zügig einleiten, um eine bestehende Zulassung auf ein Referenzmitgliedstaat („RMS-Switch“) im Sinne der zugrunde liegenden EU-Vorschriften zur gegenseitigen Anerkennung zu übertragen, in der Hoffnung, dass die Übertragung vor dem Austrittsdatum abgeschlossen sein wird.

Zusammenfassung

Ohne Zweifel wird ein No-Deal-Brexit für Unternehmen noch erheblich mehr unmittelbare rechtliche und wirtschaftliche Herausforderungen als die vorstehend skizzierten mit sich bringen. Die genannten Notfallmaßnahmen auf nationaler und EU-Ebene betreffen insbesondere die grundlegenden Bestimmungen des EU-Binnenmarkts zum freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitnehmerverkehr. Da die meisten Maßnahmen vorübergehender Natur sind und grundlegende Sicherheitsvorkehrungen vorsehen, ist es für Unternehmen wichtig, weiterhin vorausschauend zu planen und festzustellen, welche Schritte sie selbst einleiten können, um die sich aus einem No-Deal-Brexit ergebenden Auswirkungen abzumildern.

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