News

OLG Koblenz Urt. v. 12.09.2019, U 678/19 Kart: Anforderungen an die Auswahl­entscheidung bei Strom­konzessionen

17.09.2019
Das OLG Koblenz hatte über die Berufung eines unterlegenden Bewerbers um die Stromkonzession zu entscheiden, nachdem das LG Mainz dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Auswahlentscheidung zurückgewiesen hatte. Das OLG Koblenz hob die Entscheidung des LG Mainz auf und untersagte den Abschluss des Konzessionsvertrages mit dem vermeintlich obsiegenden Bewerber, bis in einer neuen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats durchzuführenden Auswahlentscheidung über die Vergabe der Stromkonzession entschieden ist.

Im Gegensatz zum LG Mainz hat das OLG Koblenz verschiedene Rechtsverstöße bei der Bewertung der Angebote bejaht und die Auswahlentscheidung als fehlerhaft angesehen. Im Ergebnis könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Angebot des klagenden Bewerbers hätte besser bewertet werden müssen als dasjenige des vermeintlich obsiegenden Bewerbers.

Keine Präklusion bezogen auf die Akteneinsicht


Die beklagte Kommune hatte im Rahmen des Auskunftsersuchens des klagenden Bewerbers nach § 47 Abs. 3 EnWG einen teilweise geschwärzten Auswertungsvermerk und ein im Wesentlichen geschwärztes Angebot des vermeintlich obsiegenden Bewerbers wegen angeblicher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vorgelegt, was die Klägerin vor Abgabe der Rüge gegen die Auswahlentscheidung monierte, nicht aber im Wege eines gesonderten einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend gemacht hatte. Das OLG Koblenz hatte sich daher mit die Frage zu beschäftigen, ob der klagende Bewerber mit der Rüge unzureichender Akteneinsicht präkludiert war, weil er gegen die Ablehnung einer weitergehenden als der gewährten Akteneinsicht nicht gesondert im Wege einer einstweiligen Verfügung vorgegangen ist, sondern nur im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens gegen die Auswahlentscheidung die Intransparenz der Auswahlentscheidung als Folge geltend gemacht hat.

Das OLG Koblenz hat sich der Rechtsauffassung des klagenden Bewerbers angeschlossen und diesen mit diesem Einwand nicht als präkludiert angesehen. Die Rügepräklusion nach § 47 Abs. 5 EnWG gelte nur für „gerügte Rechtsverletzungen“. Hiervon werde der Vorwurf mangelnder Akteneinsicht wohl nicht erfasst sein. Nach der Systematik der Vorschrift bezieht sich § 47 Abs. 5 EnWG nur auf Rechtsverletzungen im Sinne von Abs. 1 dieser Vorschrift, d.h. auf Rechtsverletzungen, die sich aus dem Verfahren nach § 46 Abs. 1 bis 4 EnWG ergeben. Das Akteneinsichtsrecht beruhe indes auf § 47 Abs. 3 EnWG und diene lediglich zur Vorbereitung einer Rüge i.S. der §§ 47 Abs. 1, 46 Abs. 1 bis 4 EnWG. Auch nach Sinn und Zweck des § 47 Abs. 5 EnWG sei die Einleitung einstweiligen Rechtsschutzes isoliert bezogen auf die Akteneinsicht weder geboten noch zweckmäßig. Ob und in welchem Umfang die Akteneinsicht erforderlich ist, könne stets nur bezogen auf die inhaltliche Rüge betreffend die Vergabeentscheidung geltend gemacht werden. In einem allein auf die Akteneinsicht bezogenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren müsste dann inzident bereits jede einzelne inhaltlich Rüge geprüft werden, ohne dass diese eigentlicher Gegenstand des Verfahrens wäre.

Sekundäre Darlegungslast der beklagten Kommune


Im Hinblick auf die Schwärzungen im Auswertungsvermerk und im Angebot des vermeintlich obsiegenden Bewerbers wies das OLG Koblenz darauf hin, dass es der beklagten Kommune aufgrund ihrer sekundären Darlegungslast obliege, im Einzelnen darzulegen, auf welcher Grundlage sie ihre Auswahlentscheidung getroffen hat.

Der klagende Bewerber habe keine Kenntnis vom konkreten Angebot des vermeintlich obsiegenden Bewerbers, da ihr dies nur auszugsweise zugänglich gemacht worden sei. Da die Kommune jedoch Kenntnis vom Inhalt des Angebots des vermeintlich obsiegenden Bewerbers habe, treffe sie eine sekundäre Darlegungslast, die zu einer Verpflichtung der Kommune führe, die Bewertung der Angebote im Vergleich untereinander näher zu erläutern.

Anforderungen an die Darlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen


Nach Auffassung des OLG Koblenz kann sich die beklagte Kommune nicht pauschal auf die Pflicht zur Wahrung des Geheimwettbewerbs sowie den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des vermeintlich obsiegenden Bewerbers berufen. Denn dies würde dem verfassungsrechtlich zu leistenden berechtigten Ausgleich zwischen dem Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz im Rahmen des allgemeinen Justizgewähranspruchs und dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in einem mehrpoligen Rechtsverhältnis nicht gerecht (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.08.2018 - VI-2 U 7/16 (Kart), Rn. 128, juris).

Insbesondere genüge es nicht, dass sich der vermeintlich obsiegende Bewerber pauschal und umfassend auf die Wahrung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen habe. Vielmehr bedürfe es eines substantiierten Sachvortrags der beklagten Kommune dazu, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse der vermeintlich obsiegende Bewerber welche Nachteile befürchtet; erst dann sei eine Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die auf einen bestmöglichen Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsgütern gerichtet sein muss, möglich (so auch BGH, Beschluss vom 11.12.2018 - EnVR 1/18, Rn. 34, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.08.2018 - VI-2 U 7/16 (Kart), Rn. 129, juris).

Folglich reiche allein das Bestehen eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses nicht aus, um eine Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG zu versagen; die Einsicht in Unterlagen sei lediglich zu verwehren, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist. Dies bedeute, dass eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen auf der einen Seite und dem Interesse des unterlegenden Bewerbers an der Akteneinsicht auf der anderen Seite vorzunehmen sei und zwar durch die beklagte Kommune. Nichts anderes gelte im Bereich des Vergaberechts, das mit § 165 Abs. 2 GWB eine § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG weitgehend entsprechende Formulierung enthalte (BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/16, Rn. 48 ff.).

Fazit


Das OLG Koblenz hat, wie zuvor bereits das OLG Düsseldorf (Urteil vom 13.08.2018 - VI-2 U 7/16 (Kart), Rn. 128, juris), der vom OLG Frankfurt in seiner Entscheidung vom 03.11.2017 (11 U 51/17 (Kart)) zum Ausdruck gebrachten Auffassung, der Bewerber könne sich in Bezug auf sein Angebot pauschal und umfassend auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnis berufen, eine klare Absage erteilt. Gleichzeitig hat das Gericht deutlich gemacht, dass die Kommune sich nicht auf entsprechende Aussagen des Bewerbers zurückziehen dürfe, sondern selbst in der Pflicht sei, substantiiert das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu begründen und sodann eine Abwägung zwischen Geheimhaltungs- und Informationsinteresse vorzunehmen. Diese Entscheidung ist zu begrüßen, da sie im Ergebnis den Prozess der Auswahlentscheidung transparenter werden lässt. Überdies bildet diese Rechtsprechung die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, der sowohl im Kartellvergaberecht (BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/16) als auch im Energierecht (BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – EnVR 1/18) dieselben Anforderungen stellt.

Energie & Infrastruktur
Regulierung & Governmental Affairs
Kartellrecht

Share