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Private Enforcement: EuGH bestätigt Bündelung von Schadens­ersatz­klagen vor einem Gericht

10.06.2015

 

Mit Urteil vom 21. Mai 2015 (C-352/13) bestätigt der EuGH, dass die durch ein Kartell Geschädigten die Möglichkeit haben, ihre Schadensersatzklagen gegen verschiedene Beklagte im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (sogenannte „Brüssel-I-Verordnung“) vor dem Gericht eines jeden Mitgliedstaates zu bündeln, in dem mindestens ein Beklagter (üblicherweise als „Ankerbeklagter“ bezeichnet) seinen Sitz hat. Darüber hinaus hat die Tatsache, dass die Klage gegen den Ankerbeklagten später nach Rechtshängigkeit der Klage zurückgenommen wird, keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Gerichts im Hinblick auf das gegen die übrigen Beklagten eingeleitete Verfahren.

Hintergrund

Das EuGH-Urteil erging in einem Vorabentscheidungsverfahren, welches das LG Dortmund im Jahr 2013 eingeleitet hatte. Das LG Dortmund hatte über die Zulässigkeit einer „Follow-On“ Kartellschadensersatzklage zu entscheiden, welche die in Brüssel ansässige Cartel Damage Claims (CDC) im März 2009 gegen sechs Mitglieder des Wasserstoffperoxid-Kartells erhoben hatte. Evonik Degussa GmbH (Evonik Degussa) war die einzige in Deutschland ansässige Beklagte und fungierte daher als Ankerbeklagte zur Begründung der Zuständigkeit des deutschen Gerichts. Im September 2009 erzielten CDC und Evonik Degussa jedoch einen außergerichtlichen Vergleich, woraufhin CDC die Klage gegen Evonik Degussa zurücknahm. Die übrigen beklagten Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands rügten die internationale Zuständigkeit des Gerichts.

Vor diesem Hintergrund legte das LG Dortmund dem EuGH einige Fragen bezüglich der internationalen Zuständigkeit nach der Brüssel-I-Verordnung zur Vorabentscheidung vor. Generalanwalt Jääskinnen sprach sich in seinen Schlussanträgen vom 11. Dezember 2014 für die Zuständigkeit des LG Dortmund aus (mehr dazu hier). Diese Auffassung wird durch das Urteil des EuGH nun weitgehend bestätigt.

Urteil des EuGH

Art. 6 Nr. 1 Brüssel-I-VO ermöglicht eine Klage gegen mehrere Beklagte vor den Gerichten eines jeden Mitgliedstaates, in dem mindestens ein Beklagter seinen Sitz hat. Der EuGH bestätigt die Anwendbarkeit der Vorschrift nunmehr auch für Kartellschadensersatzklagen.

Der EuGH betont zunächst, dass die EU-Kommission in ihrer Bußgeldentscheidung vom 3. Mai 2006, mit der diese einen einheitlichen Verstoß der Beklagten gegen das EU-Kartellverbot festgestellt hatte, keine Vorgaben zur zivilrechtlichen Haftung getroffen habe. Dies sei vielmehr Sache des nationalen Rechts der jeweiligen Mitgliedstaaten. Der Umstand, dass die nationalen Haftungsregelungen voneinander abweichen könnten, begründe jedoch die Gefahr widersprechender Entscheidungen, wenn die einzelnen Kartellanten von einem Kartellgeschädigten vor den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten verklagt würden. In einem solchen Fall erlaube Art. 6 Nr. 1 Brüssel-I-VO die Bündelung der Klagen vor einem einzigen Gericht. Zudem müssten die Teilnehmer an einem – durch die EU-Kommission verbindlich festgestellten – Kartell damit rechnen, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf Schadensersatz verklagt zu werden.

Weiterhin führt der EuGH aus, dass die Rücknahme der Klage gegen die Ankerbeklagte nach Rechtshängigkeit der Klage vor dem LG Dortmund keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Gerichts für das Verfahren gegen die übrigen – außerhalb Deutschlands ansässigen – Beklagten hat. Jedoch sei Art. 6 Nr. 1 Brüssel-I-VO im Falle eines Rechtsmissbrauchs nicht anwendbar.

Auch Gerichtsstandklauseln, die in Lieferverträgen zwischen den Kartellanten und dem Kartellgeschädigten enthalten sind, sollen an der Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 Brüssel-I-VO grundsätzlich nichts ändern. Anders wäre dies nur in dem Fall, dass sich eine solche Gerichtsstandklausel nicht nur abstrakt auf Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis bezieht, sondern konkret auf Streitigkeiten aus einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht abstellt. Dies dürfte in der Praxis jedoch zu vernachlässigen sein.

Bewertung und Ausblick

Die privatrechtliche Durchsetzung von Kartellschadensersatzklagen begegnet in der Praxis zahlreichen Hindernissen: geheime Kartelle operieren oftmals über einen langen Zeitraum und haben eine Vielzahl von Teilnehmern, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind. Die Anerkennung des Grundsatzes der fortbestehenden Zuständigkeit (perpetuatio fori) durch den EuGH sorgt für Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit in Verfahren gegen mehrere Beklagte, die in verschiedenen Jurisdiktionen ansässig sind. Dies dürfte zukünftige Kartellschadensersatzverfahren erleichtern.

Das EuGH-Urteil erging allerdings noch zur „alten“ Brüssel-I-VO (Verordnung (EG) Nr. 44/2001). Diese wurde zum 15. Januar 2015 durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 abgelöst. Die für das Urteil relevanten Bestimmungen wurden jedoch in den wesentlichen Punkten unverändert in die neue Verordnung übernommen, so dass die im Urteil vorgenommene Auslegung des EuGH auch in Zukunft Geltung beanspruchen wird.  

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