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Qualifizierung und Weiter­bildung als Rahmen­bedingung und Grund­voraussetzung der Arbeitswelt 4.0 - Teil 10

24.06.2019

Reformbedarf - Wo stehen wir und wo sollen wir hin?

Wie wir bereits in Teil 1 dieser Serie gesehen hatten, sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt 4.0 noch nicht vollständig einschätzbar. Nach dem Willen des Bundesarbeitsministeriums soll die Digitalisierung in Deutschland allerdings kaum Arbeitsplätze kosten. In seiner Prognose „Digitalisierte Arbeitswelt“ vom Februar 2019 erwartet das Bundesarbeitsministerium, dass bis 2035 ca. 4 Millionen Arbeitsplätze wegfallen, während 3,3 Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen. Das klingt gut, muss allerdings berücksichtigen, dass viele Arbeitnehmer heute nicht die Qualifikationen besitzen, die in der Arbeitswelt 4.0 gefragt sein werden. Den - noch nicht perfekten - rechtlichen Rahmen für eine Requalifikation bzw. Umqualifikation (aktuell auch „Re-Skilling“ genannt) haben wir in Teil 2 bis Teil 9 dieser Serie vorgestellt. Was nun?

Nationale Weiterbildungsstrategie

Helfen will die Bundesregierung mit der sogenannten „Nationalen Weiterbildungsstrategie“, welche sie am 12.06.2019 in ihrer letzten Fassung vorgestellt hat. Darin sind unter anderem vorgesehen:

  • ein Online-Informationsportal, das die Angebote des Weiterbildungsmarktes bündelt;
  • eine Novellierung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (AFBG);
  • ein Rechtsanspruch auf Nachqualifizierung mit dem Ziel eines Berufsabschlusses für Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss;
  • eine mögliche Weiterentwicklung des Kurzarbeitergeldes zu einem Transformations-Kurzarbeitergeld;
  • auf Basis eines bis 2024 befristeten Projekts der IG BCE und des BAVC: die Installation von „Vertrauensmentoren“, bei denen Beschäftigte Rat suchen können (allerdings nur bei hinreichender staatlicher Finanzierung, die BMAS und BMBF noch prüfen müssen).

Dieser Ansatz vereint manches, aber nicht alles, was derzeit im Zusammenhang mit der Notwendigkeit „lebenslangen Lernens“ diskutiert wird.

Weitere Ansätze und Forderungen

Die vielfältige Diskussion lässt sich kaum clustern. Aktuell sind vor allem folgende Ansätze und Forderungen:

  • Teilweise wird eine Reform des BBiG gefordert, die das Ausbildungsverhältnis nicht mehr auf einen Zeitraum vor der beruflichen Tätigkeit beschränkt, sondern zu einem lebensbegleitenden Instrument machen soll.
  • Wiederholt wird auch ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung gefordert, der teilweise mit einer verbesserten sozialen Absicherung kombiniert wird (Grüne). Gedacht ist dabei von manchen an eine Arbeitsversicherung, die neben den Kosten der Weiterbildung auch Mittel für Lohnersatzleistungen bereitstellen soll (Heinrich-Böll-Stiftung).
  • Andere fordern ein mit Midlife-BAföG oder ein Langzeitkonto zum „Bildungssparen“ (FDP).

Gesetzliche Pflicht zur Fort- und Weiterbildung?

Bei der berechtigten Diskussion über Hilfen und Unterstützung für Arbeitnehmer darf allerdings nicht aus dem Auge verloren werden, dass Weiterbildung nicht zuletzt auch im eigenen Interesse des Arbeitnehmers liegt. Deshalb wird neben einem Anspruch auf Fort-und Weiterbildung auch eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitnehmers diskutiert, sich in vom Arbeitgeber hierfür zur Verfügung gestellter Zeit fortzubilden. Im Sinne eines Gebens und Nehmens gefordert wird daher auch, dass der Arbeitnehmer einen Teil seiner Freizeit für vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Weiterbildungsmaßnahmen opfert. Mit Blick auf die vielen „Hausaufgaben“ für BMAS, BMBF und Bundesagentur für Arbeit, die in Form von „Prüfaufträgen“ Ergebnis der am 12.6.2019 vorgestellt Nationalen Weiterbildungsstrategie sind, dürfte das letzte Wort hier noch nicht gesprochen sein.

Richtiges Ziel: Rahmenbedingungen für auf Unternehmen und Mitarbeiter abgestimmte Lösungen

Ziel muss letztlich sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Fort- und Weiterbildung sowohl für die Mitarbeiter als auch für Unternehmen attraktiv machen, ohne einer Seite ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen. Dass eine umfassende gesetzliche Regelung dies am besten und effizientesten ermöglicht, ist zweifelhaft. Weshalb starre Pflichten am besten helfen sollen, wurde bislang nicht überzeugend aufgeklärt, zumal das deutsche Arbeitsrecht bislang erfolgreich auf betriebliche und sozialpartnerschaftliche Lösungen gesetzt hat.

Richtigerweise sollten sich Unternehmen und Ihre Mitarbeiter für Bildungsmaßnahmen gemeinsam verantwortlich fühlen. Der Staat muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass ein entsprechender betriebs- und sozialpartnerschaftlicher Dialog zielgerichtet geführt und die daraus abgeleiteten Maßnahmen auf betrieblicher Ebene bzw. Unternehmensebene effizient umgesetzt werden können.

Dafür ist ein Warten auf den Gesetzgeber allerdings nicht unbedingt erforderlich. Auch wenn der aktuelle Rechtsrahmen, den wir in dieser Reihe vorgestellt haben, noch nicht perfekt sein mag, lässt er doch Raum für potentiell zukunftsweisende Projekte, wie z. B. das „Deutschland-Modell“, ein von der Deutschen Telekom AG entwickeltes nationales Bildungsteilzeitkonzept, anschaulich zeigt. Die Betriebsparteien und Sozialpartner müssen sich (nur) trauen, die jeweils bestehenden Spielräume zu nutzen. Dabei muss Flexibilität gewahrt werden, damit aufgegriffen werden kann, was der Gesetzgeber derzeit und zukünftig optimiert. Das Qualifizierungschancengesetz war schließlich nur, aber immerhin, ein erster Schritt.

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