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Qualifizierung und Weiter­bildung als Rahmen­bedingung und Grund­voraussetzung der Arbeitswelt 4.0 - Teil 2

26.03.2019

Wann können Arbeitnehmer eine Qualifizierung und Weiterbildung verlangen?

Die für die Vorbereitung auf die Arbeitswelt 4.0 zentrale Frage ist, inwieweit Menschen, deren Tätigkeiten wegfallen, neue Tätigkeiten ausfüllen können. In den meisten Fällen wird dies - wie in Teil 1 dieser Serie gesagt - eine umfangreiche Weiter- oder Neuqualifizierung erforderlich machen. Mitarbeiter meinen dann erfahrungsgemäß zumeist, es sei Aufgabe des Arbeitgebers, ihnen die die dafür erforderliche Fort- und Weiterbildung zu ermöglichen. Ist das so? In vielen Unternehmen fehlen nämlich - noch - die erforderlichen Budgets (vgl. zur Kostentragung demnächst Teil 6 dieser Serie). Im nachfolgenden Beitrag stellen wir dar, wann ein Arbeitnehmer die erforderliche Fort- und Weiterbildung tatsächlich vom Arbeitgeber verlangen kann.

Kein allgemeiner gesetzlicher Weiterbildungsanspruch

Das Wichtigste vorab: Das Gesetz gewährt - über einen landesgesetzlich geregelten „Bildungsurlaub“ (vgl. dazu demnächst Teil 3 dieser Serie) hinaus - keinen allgemeinen Weiterbildungsanspruch. Daran hat sich auch aufgrund des zum Jahresanfang in Kraft getretenen Qualifizierungschancengesetzes nichts geändert. Es bestehen lediglich vereinzelt spezialgesetzlich geregelte Ansprüche spezieller Arbeitnehmergruppen gegenüber dem Arbeitgeber darauf, zur Weiterbildung unter Übernahme der Fortbildungskosten freigestellt zu werden. Der bei Arbeitnehmern wenig bekannte und wenig genutzte Anspruch auf „Bildungsurlaub“ (den wir in Teil 3 dieser Reihe zusammenfassend darstellen) ist zudem für sich allein genommen für die im Rahmen der Arbeitswelt 4.0 erforderliche Fort- und Weiterbildung ungeeignet.

Unternehmen müssen, wenn Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen diskutiert werden, u.a. darauf vorbereitet sein, folgende (nicht seltene) Missverständnisse auszuräumen:

Häufige Missverständnisse

  • Keine Grundlage für einen allgemeinen Weiterbildungsanspruch ist zunächst § 81 Abs. 1 und 2 BetrVG, bei dem es sich um einen reinen Unterrichtungsanspruch handelt, der voraussetzt, dass der Arbeitnehmer die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen bereits besitzt. Der Arbeitgeber muss also lediglich die Aufgaben darstellen und gerade nicht die zu ihrer Erledigung erforderlichen zusätzlichen Kenntnisse vermitteln.
  • Aus § 81 Abs. 4 BetrVG folgt ebenfalls nur ein Unterrichtungs- und Erörterungsanspruch: Der Arbeitnehmer soll danach früh in den Informationsprozess bei der Einführung neuer Techniken einbezogen werden. In diesem Zusammenhang muss der Arbeitgeber zwar mit ihm erörtern, wie seine bisherigen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten an die geänderten Anforderungen anzupassen sind. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen ergibt sich daraus aber nicht.
  • Aus den §§ 96 ff. BetrVG folgt ebenso wenig ein Anspruch auf Weiterbildung - trotz der darin geregelten Förderpflicht der Betriebsparteien bezüglich der Berufsbildung. Allerdings hat der Betriebsrat gemäß §§ 97 f. BetrVG bei der Planung und Durchführung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen ein Mitbestimmungsrecht (vgl. dazu demnächst Teil 7 dieser Serie).
  • Auch für einzelne besonders schutzwürdige Arbeitnehmergruppen besteht lediglich ein Recht auf Teilnahme an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen - sofern der Arbeitgeber sie anbietet. Verpflichtet ist er dazu nicht. Dies gilt z.B. für in Teilzeit oder befristet beschäftigte Arbeitnehmer, die in Bezug auf Fort- und Weiterbildung nicht diskriminiert werden dürfen (vgl. §§ 10, 19 Teilzeit- und Befristungsgesetz). Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben gemäß § 164 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX sogar einen Anspruch auf bevorzugte Teilnahme an solchen - freiwilligen - Angeboten des Arbeitgebers.
  • Von einer „Pflicht“ zur Fortbildung bzw. Umschulung ist zwar häufig im Zusammenhang mit einer Kündigung wegen mangelnder Qualifikation gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG die Rede. Wie wir in Teil 5 dieser Serie sehen werden, ist damit aber keine einklagbare Rechtspflicht des Arbeitgebers gemeint, sondern lediglich eine Obliegenheit.

Es bleibt also dabei: Das Gesetz gewährt - über einen landesgesetzlich geregelten „Bildungsurlaub“ hinaus - keinen allgemeinen Weiterbildungsanspruch.

Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen als Grundlage der Qualifizierung und Weiterbildung

Sowohl die Tarifvertragsparteien als auch die Betriebsparteien können aber einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterqualifizierung vereinbaren. Geregelt werden sollten in diesem Zusammenhang auch der Zeitraum, der Zeitpunkt und die Vergütung während der Fortbildungsmaßnahme bzw. die Finanzierung der Fortbildungsmaßnahme.

Ein direkter Anspruch der Arbeitnehmer auf Weiterbildung ist in der betrieblichen Praxis allerdings bislang sowohl in Tarifverträgen als auch in Betriebsvereinbarungen kaum zu finden. Zumeist beschränkt sich der Anspruch in Tarifverträgen bisher - wie z.B. in § 5 TVöD - auf eine Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs durch das regelmäßige Führen eines Qualifizierungsgesprächs. Darüber hinaus gewähren Tarifverträge bislang häufig Ansprüche auf

  • die Übernahme von Weiterbildungskosten,
  • die Anrechnung von Weiterbildungszeiten auf die Arbeitszeit oder
  • die unbezahlte Freistellung zur persönlichen Weiterbildung.
  • Teilweise finden sich auch befristete Rückkehrrechte nach Ende der persönlichen Weiterbildung.

Das Thema wird von den Tarifvertragsparteien aber zunehmend erkannt. Kernfrage in einer Tarifrunde 2015 war z.B.: Wer bestimmt, wer welche Weiterbildung machen darf? Mit der Beantwortung dieser Frage werden die Weichen dafür gestellt, wer bei Arbeiten 4.0 zu den Gewinnern zählen wird und wer nicht. Innerhalb der unterschiedlichen Industriezweige variiert die Wahrnehmung der Bedeutung von Fort- und Weiterbildung allerdings. Die Tarifparteien der chemischen Industrie haben bereits 2008 die Bestimmungen des Weiterbildungstarifvertrages aus dem Jahr 2003 in den Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demographie“ übergeleitet. Geregelt werden darin z.B. betriebliche Qualifizierungsplanung und individuelle Qualifizierungsvereinbarungen, die durch Betriebsvereinbarung umgesetzt werden müssen. Über die Umsetzung tariflicher Vorgaben hinaus können auch Betriebsvereinbarungen Arbeitnehmern einen Anspruch auf eine Fortbildungsmaßnahme gewähren. Weiter verbreitet sind - in größeren Unternehmen - bereits heute Betriebsvereinbarungen zum dualen Studium und zur dualen Ausbildung.

Betriebliche Vereinbarungen zur Weiterbildung regeln zumeist lediglich Teilbereiche:

  • Instrumente für die Feststellung des Personalentwicklungsbedarfs,
  • den Ablauf von Qualifizierungsgesprächen,
  • Aufgabeneinsatz, inklusive Jobrotation und Beteiligung an Projekten,
  • Verfahren zur Leistungs- und Potenzialeinschätzung von Mitarbeitern,
  • (individuelle) Entwicklungspläne,
  • Feedback der Führungskräfte,
  • Kriterien für die Personalauswahl.

Ebenfalls geregelt werden dann häufig Freistellung, Zeit und Kosten bei verschiedenen Arten von Weiterbildungsmaßnahmen, betriebliche Informationen über Weiterbildungsangebote und die Qualitätssicherung der angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen. Aber auch in der Art der geregelten Bildungsmaßnahmen spiegelt sich die Digitalisierung: Unter den eigenständigen Vereinbarungen zur betrieblichen Weiterbildung haben sich z.B. Vereinbarung zum E-Learning bzw. Blended Learning weiter verbreitet. Eine Bündelung einzelner Themen zu Gesamtkonzepten ist eine eher neue, aber durchaus wahrnehmbare Entwicklung. Diese Bündelung wird zumeist in Rahmenvereinbarungen umgesetzt, die vor allem das Procedere regeln. Zur Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen werden teilweise Arbeitsgruppen geregelt, die sich turnusmäßig treffen, um gemeinsam die jeweils zu bearbeitenden Themenfelder und deren Inhalte sowie Maßnahmenkataloge zu definieren und die zeitlichen Abfolge der Bearbeitung festzulegen.

Unternehmen müssen in diesem Kontext beachten, dass entsprechende Regelungen zumeist weitere Kreise ziehen. Häufig verbunden werden die Themen Technikeinsatz, betriebliches Personalwesen sowie Restrukturierung und Beschäftigungssicherung.

Haben Mitarbeiter einen Anspruch auf Qualifizierung und Weiterbildung aus dem Arbeitsvertrag?

Arbeitsverträge enthalten demgegenüber in aller Regel keine ausdrücklichen Regeln zu Fortbildungsmaßnahmen. Teilweise wird deshalb versucht, einen allgemeinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbildung aus einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht des Arbeitgebers zu begründen. Dieser Ansatz ist aber sehr zweifelhaft und konnte sich bisher zu Recht nicht durchsetzen. Teilweise wird ein Anspruch auf Weiterbildung stattdessen aus dem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers hergeleitet. Soweit eine vertragsgemäße Beschäftigung im digitalen Zeitalter aufgrund geänderter Arbeitsbedingungen nur nach entsprechender Weiterbildung möglich ist, soll ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine entsprechende Fortbildung haben. Auch das überzeugt - schon aufgrund von § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG (vgl. dazu demnächst Teil 5 dieser Serie) - nicht.

Dass der Arbeitnehmer sich fortbildet, kann aber im gemeinsamen Interesse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer liegen. In diesem Fall wird eine Vereinbarung über eine inner- oder außerbetriebliche Fortbildungsmaßnahme getroffen (vgl. zur Kostentragung, insbesondere zu Rückzahlungsklauseln, demnächst Teil 6 dieser Serie).

Außerhalb derartiger Vereinbarungen wird es einen arbeitsvertraglichen Anspruch nur geben, wenn berufsrechtliche Vorschriften eine Fortbildungspflicht vorsehen und der Arbeitnehmer sich arbeitsvertraglich zu einer dem Berufsrecht unterliegenden Tätigkeit verpflichtet hat (z.B. als Rechtsanwalt (§ 43 Abs. 4 BRAO)). Er kann dann verlangen, dass der Arbeitgeber ihm die Möglichkeit gibt, dieser Fortbildungsverpflichtung in einer geeigneten Weise nachzukommen. Auch hier sollte allerdings eine Vereinbarung geschlossen werden, um zu konkretisieren, was im Einzelfall geeignet - und das heißt auch: dem Arbeitgeber zumutbar - ist.

Fazit

Das Gesetz gewährt - über einen landesgesetzlich geregelten „Bildungsurlaub“ hinaus - keinen allgemeinen Weiterbildungsanspruch. Die Tarif- und Betriebsparteien entwickeln daher derzeit vermehrt Weiterbildungs- und Qualifizierungsmodelle, die häufig als Rahmenvereinbarungen ausgestaltet sind. Individuelle Ansprüche auf Fort- und Weiterbildung bestehen - ohne gesonderte Vereinbarung - in der Regel auch nicht einfach aufgrund des Arbeitsverhältnisses. Zielführend sind daher in erster Linie Vereinbarungslösungen, die prognostisch zunehmen werden. Denn wenn die zentrale Frage der Arbeitswelt 4.0 ist, inwieweit Menschen, deren Tätigkeiten wegfallen, neue Tätigkeiten ausfüllen können, und wenn dies in den meisten Fällen eine umfangreiche Weiter- oder Neuqualifizierung erforderlich macht, müssen sich Unternehmen zeitnah darauf vorbereiten. Obwohl der Koalitionsvertrag 2018 sich zum Ziel gesetzt hat, eine „nationale Weiterbildungsstrategie“ mit den Sozialpartnern zu entwickeln, die Arbeitnehmer im digitalen Wandel unterstützen soll, kann darauf im Zweifel unternehmensseitig nicht gewartet werden. Mit dem Qualifizierungschancengesetz sind zwar erste Umsetzungsschritte unternommen, die aber betrieblich weiterentwickelt werden müssen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in der Industrie 4.0 erhalten und gesteigert werden soll.

Arbeitsrecht

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