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Qualifizierung und Weiter­bildung als Rahmen­bedingung und Grund­voraussetzung der Arbeitswelt 4.0 - Teil 5

16.04.2019

Veränderung des Berufsbilds - Fortbildung als Obliegenheit im eigenen Interesse

In Teil 4 dieser Serie hatten wir gesehen, dass der Arbeitgeber die Teilnahme an bestimmten Fortbildungen und Schulungen kraft Direktionsrechts einseitig anweisen kann. Fortbildungsvereinbarungen werden aber erforderlich, wenn das Anforderungsprofil, dem die jeweilige Fortbildung Rechnung tragen soll, - unter Berücksichtigung des stetigen Wandels von Berufsbildern - nicht mehr dem „normalen Schwankungsbereich“ des jeweiligen Berufsbilds unterfällt. Was passiert nun, wenn die Anforderungen sich zwar in einer nicht mehr dem ursprünglich vereinbarten Berufsbild entsprechenden Weise ändern, die Parteien aber keine Fortbildungsvereinbarung treffen bzw. überhaupt nicht in diese Richtung denken?

Umschulung und Fortbildung als Obliegenheit von Arbeitgeber und Mitarbeiter

Diskutiert wird dies bislang überwiegend von einem kündigungsschutzrechtlichen Ansatz (§ 1 Abs. 2 S. 3 KSchG, § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG) her: Im Fall der Kündigung wegen mangelnder Qualifikation soll den Arbeitgeber vorrangig die Obliegenheit zur Durchführung zumutbarer Qualifikations- und Fortbildungsmaßnahmen treffen. Teilweise wird dieser kündigungsschutzrechtliche Ansatz aber in das laufende Arbeitsverhältnis vorverlagert. Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 20.6.1995 (8 AZR 689/94) einen sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers beruhenden Umschulungsanspruch für möglich gehalten, ohne Voraussetzungen zu konkretisieren. Nach zurzeit h.M. sind - außerhalb kollektiv- bzw. individualvertraglich geregelter Ansprüche - Umschulung und Fortbildung Obliegenheiten von Arbeitgeber und Mitarbeiter im eigenen Interesse:

  • Ändert sich das Arbeitsumfeld oder der Tätigkeitsschwerpunkt des Unternehmens derart, dass der Arbeitnehmer mit seinem bisherigen Kenntnissen nicht mehr im Rahmen des ursprünglich vereinbarten Berufsbilds eingesetzt werden könnte, muss der Arbeitgeber ihm im Rahmen des Zumutbaren unter Umständen eine Weiterbeschäftigung ermöglichen, bevor er eine Kündigung aussprechen darf. Um die Voraussetzungen für die Umsetzung einer notwendigen Kündigung zu schaffen, muss der Arbeitgeber also eine ihm zumutbare Fortbildung ermöglichen. Fortbildung ist damit zunächst eine Obliegenheit des Arbeitgebers.

  • Sofern die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG vorliegen, hat der Mitarbeiter aber ein ebenso starkes Eigeninteresse, an der Umschulungs- bzw. Fortbildungsmaßnahme - erfolgreich - teilzunehmen, um eine (betriebsbedingte) Kündigung abzuwenden.

Letztlich besteht damit eine in weiten Teilen gleichlaufende Interessenlage: Die Qualifizierung der Belegschaft ist gerade im Zeitalter der Industrie 4.0 mindestens genauso wichtig wie die Aktualität von Systemen und Technik. Denn die innovativste Software und die neuesten Roboter können nur dann voll genutzt werden, wenn entsprechend ausgebildetes Personal damit umgehen kann. Die Vorteile des Mitarbeiters an einem kooperativen Verhalten liegen ebenfals auf der Hand: Fortbildung ermöglicht nicht nur den Erhalt der beruflichen Qualifikation und damit die Vermeidung einer Kündigung; es können sich auch neue Einsatzmöglichkeiten und Aufstiegschancen ergeben bzw. die hohe persönliche Qualifizierung kann bewirken, dass der Mitarbeiter für das Unternehmen schwer zu ersetzen ist.

Inhalt und Grenzen der Obliegenheit des Arbeitgebers

Was muss der Arbeitgeber in derartigen Fällen nun unternehmen? Ausgehend vom Rechtsgedanken des § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG wird er den Arbeitnehmer auf ihm (z.B. infolge eines Verlangens des Betriebsrats zur Ermittlung des Weiterbildungsbedarfs nach § 96 Abs. 1 S. 2 BetrVG, vgl. demnächst Teil 7 dieser Serie) bekannte Qualifikationsdefizite hinweisen und diese besprechen müssen. Im Anschluss müssen geeignete - und dem Arbeitgeber zumutbare - Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen identifiziert und vom Arbeitgeber angeboten werden. Den Mitarbeiter trifft die Obliegenheit, sie erfolgreich umzusetzen.

Dass dem Arbeitgeber (digitale) Weiterbildungsmaßnahmen auch „zumutbar“ sein müssen, folgt ausdrücklich aus §§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG, 102 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG und ist im Übrigen auch für Maßnahmen nach § 97 Abs. 1 und 2 BetrVG anerkannt (vgl. zur Mitbestimmung des Betriebsrats demnächst Teil 7 dieser Serie). Angesichts der gesetzlichen Verankerung dieses Maßstabs im Kündigungsschutzrecht, spricht viel dafür, die Grenzen der Obliegenheit zur Weiterbildung zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen anhand der zu § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG entwickelten Kriterien (z. B. bisherige Beschäftigungsdauer, Dauer der Fortbildung, restliche Beschäftigungsdauer, Erfolgsaussichten der Qualifizierungsmaßnahme, Kostenverteilung) zu bestimmen. Abzuwägen sind im Ergebnis die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Arbeitgebers und der Qualifikationsbedarf und das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses. Als Unsicherheitsfaktoren werden derzeit vor allem die Kostenverteilung und die Gestaltung der Arbeitszeit diskutiert, die bislang nicht eindeutig geklärt sind. In Teil 6 dieser Serie geben wir demnächst hierzu weiterführende Hinweise.

Fazit

Nach zurzeit h.M. sind - außerhalb kollektiv- bzw. individualvertraglich geregelter Ansprüche - Umschulung und Fortbildung Obliegenheiten von Arbeitgeber und Mitarbeiter im eigenen Interesse. Den Arbeitgeber trifft dabei zunächst grundsätzlich eine Hinweis- und Qualifizierungsobliegenheit und im Anschluss eine Obliegenheit, zumutbare Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen anzubieten. Den Mitarbeiter trifft eine Kooperationsobliegenheit: Er muss - erfolgreich - teilnehmen. Die Vorteile für beide Seiten liegen auf der Hand: Die Qualifizierung der Belegschaft ist gerade im Zeitalter der Industrie 4.0 mindestens genauso wichtig wie die Aktualität von Systemen und Technik. Fortbildung ermöglicht für den Mitarbeiter nicht nur den Erhalt der beruflichen Qualifikation, sondern ggf. auch neue Einsatzmöglichkeiten und Aufstiegschancen sowie eine schwere Ersetzbarkeit.

Arbeitsrecht

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