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Russland: Sanktionen und russisches Kartellrecht

12.09.2018
Eine ganze Reihe von Sanktionen wurden in Bezug auf Russland bereits verhängt, und es ist nicht ausgeschlossen, dass insbesondere die USA weitere Sanktionen anordnen. Auch zahlreiche europäische Unternehmen sind von den sog. secondary US sanctions betroffen. Angesichts dessen sind viele in Russland tätige internationale Unternehmen gezwungen, ihre Vertragsbeziehungen mit russischen Partnern zu prüfen und umzustrukturieren. Dabei kann es zu Konflikten mit Regelungen des russischen Kartellrechts kommen.

Sanktionsbezogene Maßnahmen

Aufgrund der Sanktionen werden in Russland tätige internationale Unternehmen beispielsweise dazu gezwungen, ihre Vertragsbeziehungen mit russischen Partnern zu beenden bzw. keine neuen Verträge abzuschließen.
Da die zukünftige Reichweite der Sanktionen nicht vorhersehbar ist und insbesondere der Kreis der sanktionierten Personen durchaus erweitert werden kann, versuchen Unternehmen, sich auf die mögliche Erstreckung der Sanktionen auf ihre russischen Vertragspartner vorzubereiten, selbst wenn diese derzeit noch gar nicht von den Sanktionen betroffen sind. Außerdem kann es dazu kommen, dass internationale Unternehmen versuchen, ihren russischen Partnern vertragliche Vorgaben in Bezug auf die Einhaltung von Sanktionen zu machen und z.B. den Weiterverkauf von gelieferten Waren an sanktionierte Unternehmen durch den russischen Partner zu untersagen.

Im Ergebnis wird im Hinblick auf die Sanktionen u.a. Folgendes angestrebt:

    • Verweigerung von Vertragsabschlüssen mit sanktionierten Unternehmen oder Kunden auf der Krim,
    • Beendigung von Vertragsbeziehungen,
    • Vereinbarung von vertraglichen Kündigungsrechten für den Fall, dass der russische Partner oder das betroffene Projekt von Sanktionen erfasst wird,
    • Vereinbarung von vertraglichen Auflagen, die den Vertragspartner verpflichten, gelieferte Waren nicht an sanktionierte Unternehmen weiter zu verkaufen.

Relevante Regelungen des russischen Kartellrechts

Die Freiheit, selbst über den Abschluss und den Inhalt von Verträgen zu entscheiden, wird durch kartellrechtliche Regelungen begrenzt. Hinsichtlich der o.g. sanktionsbezogenen Maßnahmen können insbesondere die nachfolgend genannten Regelungen des russischen Kartellrechts relevant werden.

    • Allgemeines Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Abreden, Beschränkungen des Weiterverkaufs: Das russische Kartellrecht enthält eine Generalklausel, nach der alle Vereinbarungen verboten sind, die den Wettbewerb beschränken oder  beschränken können. Dies kann für Vereinbarungen relevant werden, die den russischen Vertragspartnern Pflichten auferlegen, die für diese nachteilig sind und ihre Tätigkeit am Markt beschränken. So ist es beispielsweise in der Regel unzulässig, einen Käufer hinsichtlich des Weiterverkaufs von gelieferten oder produzierten Waren zu beschränken. Das gilt unabhängig davon, ob diese Beschränkung in einem Liefervertrag, Vertriebsvertrag, Lizenzvertrag oder einer sonstigen Vereinbarung enthalten ist.

    • Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung: Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung dürfen aktuelle oder potentielle Vertragspartner nur dann ungleich behandeln, wenn es dafür akzeptable wirtschaftliche, technische oder sonstige Gründe gibt. Eine marktbeherrschende Stellung kann u.U. schnell erreicht werden. In der Regel ist ein Marktanteil von mehr als 35% für eine marktbeherrschende Stellung notwendig, bei mehr als 50% Marktanteil wird diese vermutet. Ein geringerer Marktanteil kommt in Betracht, wenn mehrere Unternehmen gemeinsam den Markt dominieren. Allerdings kann der relevante Markt sehr eng definiert werden. Einerseits kommt es auf die geografischen Marktgrenzen an, die beispielsweise durch die logistische Verfügbarkeit der Waren beeinflusst werden. Vor allem aber kann der relevante Markt inhaltlich für die betroffenen Waren oder Dienstleistungen sehr eng gefasst werden. So können in der russischen Praxis durchaus ein spezifisches Medikament sowie produktspezifische Ersatzteile oder Verbrauchsmaterialien jeweils einen eigenen, separaten Markt darstellen. Daher kann beispielsweise ein Gerätehersteller sehr schnell eine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt von speziellen Ersatzteilen für seine Geräte erreichen, selbst wenn er mit den eigentlichen Geräten nur einen kleinen Marktanteil in Russland innehat.

    • Koordination von anderen Marktteilnehmern: Wenn ein Unternehmen das Verhalten von mehreren anderen Unternehmen, die auf einem anderen Markt tätig sind, koordiniert, kann dies zu einer Kartellrechtsverletzung führen. Typischerweise können Industrieverbände oder ähnliche Organisationen, in denen sich verschiedene Unternehmen zusammenschließen, als Koordinatoren betrachtet werden. Es gibt jedoch auch Entscheidungspraxis, wonach es als unzulässige Marktkoordination anzusehen ist, wenn ein Hersteller die Tätigkeit der seine Produkte vertreibenden Händler z.B. hinsichtlich der Preisgestaltung koordiniert.
Das russische Kartellrecht enthält eine Generalklausel, nach der alle Vereinbarungen verboten sind, die den Wettbewerb beschränken oder  beschränken können. Dies kann für Vereinbarungen relevant werden, die den russischen Vertragspartnern Pflichten auferlegen, die für diese nachteilig sind und ihre Tätigkeit am Markt beschränken. So ist es beispielsweise in der Regel unzulässig, einen Käufer hinsichtlich des Weiterverkaufs von gelieferten oder produzierten Waren zu beschränken. Das gilt unabhängig davon, ob diese Beschränkung in einem Liefervertrag, Vertriebsvertrag, Lizenzvertrag oder einer sonstigen Vereinbarung enthalten ist. Diese kartellrechtlichen Regelungen können u.U. bei sanktionsbezogenen Maßnahmen relevant werden, z.B.:

    • Die Verweigerung des Vertragsschlusses mit sanktionierten Unternehmen kann im Hinblick auf die kartellrechtlichen Vorschriften für Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung problematisch sein, wenn das betreffende Unternehmen selbst eine marktbeherrschende Stellung im jeweiligen Markt (z.B. Ersatzteile, Verbrauchsmaterialien) hat.
    • Das vertragliche Verbot des Weiterverkaufs von gelieferten Waren an sanktionierte Unternehmen kann gegen das allgemeine Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Abreden und gegen das daraus resultierende Verbot von Weiterverkaufsbeschränkungen verstoßen. Außerdem kann der russische Vertragspartner möglicherweise eine Kartellrechtsverletzung begehen, wenn er eine marktbeherrschende Stellung hat und dennoch vereinbarungsgemäß keine Waren an sanktionierte Unternehmen weiterverkauft.
    • Angesichts der bestehenden Praxis zur Marktkoordination kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass die einheitliche Einführung von sanktionsbezogenen Verpflichtungen für alle russischen Händler eines ausländischen Herstellers als unzulässige Koordination von anderen Marktteilnehmern (d.h. den Händlern) durch das international tätige Unternehmen (d.h. den Hersteller) angesehen werden kann.

Mögliche Lösungsansätze

    • Gesetzliche Ausnahmeregelungen: Ausnahmen kommen insbesondere bei geringen Marktanteilen (20%, teilweise 35%) in Betracht. Insoweit ist allerdings zu bedenken, dass die exakte Bestimmung des jeweils relevanten Marktes oft schwierig ist. Weitere Ausnahmen können bei Franchising oder in anderen Fällen anwendbar sein, die jedoch selten einschlägig sind.
    • Rechtfertigung durch ausländische Sanktionen?  Für Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung können insbesondere “wirtschaftliche Gründe” die Ungleichbehandlung ihrer (potentiellen) Vertragspartner rechtfertigen. Da sanktionsbezogene Bußgelder eine erhebliche negative Wirkung auf das Unternehmen haben können, könnte man daran denken, ein solches drohendes Bußgeld als ausreichenden wirtschaftlichen Grund anzusehen, um beispielsweise die Verweigerung eines Vertragsabschlusses mit einem sanktionierten russischen Unternehmen zu rechtfertigen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird u.E. dieses Argument im Streitfall jedoch nicht anerkannt werden. Formal wäre von dem Bußgeld eine in Russland tätige Tochtergesellschaft des ausländischen Unternehmens möglicherweise gar nicht direkt betroffen. Inhaltlich erscheint in dem vergleichbaren Konflikt zwischen russischem Kartellrecht und ausländischen Antikorruptionsregelungen im Prinzip eine Berücksichtigung der ausländischen Regelungen zwar durchaus möglich (so ist ein entsprechender Vermerk im AEB Code of Conduct for the Pharmaceutical Industry enthalten), die einschlägigen Gerichtsentscheidungen zeigen aber eher die Schwierigkeiten bei der Implementierung auf. Vor allem aber hat der russische Oberste Gerichtshof entschieden, dass ausländische Sanktionen dem russischen ordre public widersprechen.

    • Restrukturierung:  Teilweise sind russische Unternehmen bereits dabei, ihre gesellschaftsrechtliche Struktur zu ändern und beispielsweise die von bestimmten Oligarchen gehaltenen Anteile auf unter 50% zu reduzieren oder – wie VTB Capital in den USA – einen Management Buyout zu implementieren. Auch in Joint Ventures zwischen ausländischen und russischen Unternehmen kommt in Betracht, den Anteil des russischen Partners auf unter 50% zu reduzieren.

Haftungsrisiken

Verstöße gegen russisches Kartellrecht können Bußgelder nach sich ziehen, die weitgehend umsatzabhängig sind. Dabei können sich Bußgelder bei Verstößen gegen vertikale Beschränkungen auf bis zu 5% und Bußgelder bei Verstößen gegen horizontale Beschränkungen oder Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auf bis zu 15% des Jahresumsatzes auf dem betroffenen Markt belaufen. Unzulässige Marktkoordination kann mit einem Bußgeld von bis zu RUB 5 Mio. geahndet werden.
Darüber hinaus können Bußgelder gegen einzelne Personen verhängt oder deren Tätigkeit als Geschäftsführer einer russischen Gesellschaft untersagt werden.

Behördliche Praxis

Derzeit gibt es anscheinend keine Fälle, in denen der russische Föderale Antimonopoldienst (FAS) Kartellrechtsverletzungen verfolgt, die durch Compliance mit ausländischen Sanktionen hervorgerufen wurden.
Laut einem Interview mit dem Leiter der Behörde im Jahr 2014 hätte FAS damals Verfahren wegen Kartellrechtsverletzungen im Zusammenhang mit ausländischen Sanktionen einleiten können; allerdings sei es die Position der russischen Regierung, diese Mittel zumindest zum damaligen Zeitpunkt nicht einzusetzen, um die Beziehungen nicht weiter zu verschlechtern.
In einem Verfahren gegen Google wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung in Bezug auf den Zugang zu Google Play hatte FAS einen Vergleich mit Google abgeschlossen, wonach Google Beschränkungen des Zugangs zu Google Play beseitigen musste. Im Nachgang zu diesem Verfahren wurde in den russischen Medien diskutiert, ob der Zugang zu Google Play nunmehr auch auf der Krim gewährleistet werden muss. Allerdings gab es daraufhin soweit ersichtlich keine Reaktion von FAS dahingehend, dass Google tatsächlich den Zugang zu Google Play auch auf der Krim bereitstellen muss.

Im Hinblick auf Gegenmaßnahmen zu den letzten US-Sanktionen vom April 2018 wurde in Russland zunächst die Einführung einer strafrechtlichen Haftung für die Einhaltung ausländischer Sanktionen diskutiert. Dies wurde im Laufe der Diskussion auf die mögliche Einführung einer Ordnungswidrigkeit abgeschwächt, und selbst darüber ist noch nicht abschließend entschieden (siehe dazu auch unseren Newsletter hier >>).

Es bleibt abzuwarten, ob angesichts dieser bislang eher vorsichtigen Herangehensweise auch in Zukunft die Verfolgung von Kartellrechtsverletzungen im Zusammenhang mit ausländischen Sanktionen eher unwahrscheinlich bleiben wird.

Sonstige Aspekte

Bei der Implementierung von Maßnahmen als Reaktion auf Sanktionen kann auch unter anderen Gesichtspunkten des russischen Rechts Klärungsbedarf entstehen, beispielsweise aus Sicht des russischen Vertrags- oder des Verbraucherschutzrechts. So ist zumindest zweifelhaft, ob ein vertragliches Kündigungsrecht speziell für den Fall einer Sanktionierung der russischen Vertragspartei nach russischem Recht wirksam ist.

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