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Stärkung der Position von Unions­marken­inhabern – EuGH klärt Gerichts­zuständigkeit

17.09.2019

Mit seinem Urteil vom 5. September 2019 in der Rechtssache C-172/18 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geklärt, welches Gericht im Falle einer Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke durch Online-Werbung und -Verkaufsangebote zuständig ist. Konkret geht es um die Frage, ob der Inhaber einer (angeblich) verletzten Unionsmarke eine Klage gegen einen Dritten vor einem Gericht des Mitgliedstaats A (wo sich die Verbraucher und Händler befinden) erheben kann, obwohl der Dritte die Entscheidungen und Maßnahmen im Hinblick auf diese elektronische Anzeige in einem anderen Mitgliedstaat (B) getroffen hat. Die Antwort des EuGH lautet: Ja, er kann (auch wenn dieser alternative Gerichtsstand Konsequenzen mit sich bringt).

Hintergrund

Hintergrund des Vorabentscheidungsersuchens ist ein Konflikt zwischen der im Vereinigten Königreich niedergelassenen Gesellschaft AMS Neve und der Heritage Audio, die in Spanien niedergelassen ist. Letzterer wird vorgeworfen, Verbrauchern im Vereinigten Königreich Nachahmungen von Waren von AMS Neve über ihre Webseite sowie Social-Media-Plattformen zum Verkauf angeboten und für diese Waren geworben zu haben. AMS Neve legte Klage vor dem Intellectual Property and Enterprise Court (Gericht für Geistiges Eigentum, Vereinigtes Königreich) wegen Verletzung ihrer Unionsmarke „1073“ ein. Infolge der Einrede von Heritage Audio erklärte sich das Gericht für die Verletzungsklage aufgrund der Unionsmarke unzuständig; vielmehr seien die Gerichte in dem Mitgliedstaat zuständig, wo der Beklagte seinen Wohnsitz hat (hier also Spanien). Heritage Audio legte Berufung beim Court of Appeal (England and Wales) (Civil Division) (Berufungsgerichtshof [England and Wales] [Zivilabteilung], Vereinigtes Königreich) ein, welches das Verfahren aussetzte und dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vorlag.

Grundsätzlich sind nach Artikel 97 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 (jetzt Artikel 125 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2017/1001) für Verletzungsklagen die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder eine Niederlassung hat. Nach Artikel 97 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 (jetzt Artikel 125 Absatz 5 der Verordnung (EU) 2017/1001) kann der Kläger seine Klage „auch“ bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig machen, „in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht“. Durch seine Entscheidung bestimmt der Kläger zugleich den örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts. Wird die Verletzungsklage auf Artikel 97 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 gestützt, betrifft sie potenziell die im gesamten Unionsgebiet begangenen Verletzungshandlungen, während sie, wenn sie auf Artikel 97 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 gestützt wird, auf die in einem einzigen Mitgliedstaat – nämlich demjenigen, in dem das angerufene Gericht seinen Sitz hat – begangenen oder drohenden Verletzungshandlungen beschränkt ist. Im Mittelpunkt des Urteils steht also die Auslegung von Artikel 97 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 und wie der Ort der Verletzungshandlung im Fall von Online-Werbung und -Verkaufsangeboten zu definieren ist.

Auslegung von Artikel 97 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009

Der EuGH stellt zunächst klar, dass die gerichtliche Zuständigkeit nach den oben genannten Vorschriften gegenüber derjenigen der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel-I-Verordnung) sowie der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-Verordnung) die Eigenschaft einer lex specialis zukommt. Der in Artikel 97 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 vorgesehene Gerichtsstand sei alternativ (und nicht kumulativ) und solle dem Unionsmarkeninhaber die Möglichkeit eröffnen, gezielte Klagen zu erheben, die sich auf jeweils in einem einzigen Mitgliedstaat begangene Verletzungshandlungen beziehen. Da diese Klagen nicht dasselbe Hoheitsgebiet und somit nicht denselben Gegenstand beträfen, unterlägen sie auch nicht den Vorschriften über die Rechtshängigkeit.

Weiter erinnert der EuGH an die bestehende Rechtsprechung, u.a. an sein Urteil in der Rechtssache C-324/09 [L'Oréal u.a.], wonach davon auszugehen ist, dass die fraglichen Handlungen (nämlich die elektronische Anzeige von Werbung und Verkaufsangeboten für Waren, die mit einem Zeichen versehen sind, das mit einer Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist, ohne dass der Markeninhaber zugestimmt hat) in dem Hoheitsgebiet begangen worden ist, in dem sich die Verbraucher oder Händler befinden, an die sich diese Werbung bzw. die Verkaufsangebote richten. Dadurch solle verhindert werden, dass ein Rechtsverletzer der Anwendung der Unionsmarkenverordnung entgeht und deren Wirksamkeit beeinträchtigt, indem er sich darauf beruft, dass die Online-Werbung und -Verkaufsangebote außerhalb der EU ins Internet gestellt wurden.

Vergleichbar soll dies für Artikel 97 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 für den Fall gelten, dass sich der Rechtsverletzer auf den Ort der Einstellung seiner Werbung und Angebote ins Internet beruft, um die Zuständigkeit eines anderen Gerichts als desjenigen dieses Ortes und desjenigen seiner Niederlassung auszuschließen. Falls der Ort der Verletzungshandlung so ausgelegt würde, dass es den Mitgliedstaat betrifft, in dem der Rechtsverletzer die Webseite erstellt und die Anzeige der Werbung und Verkaufsangebote ausgelöst hat, so könnte dieser es so einrichten, dass das Hoheitsgebiet der Einstellung ins Internet und das seiner Niederlassung zusammenfallen, um so dem Unionsmarkeninhaber die Möglichkeit eines alternativen Gerichtsstands zu nehmen. Eine Auslegung des Orts der Verletzungshandlung als Ort, an dem der Rechtsverletzer die Entscheidungen und technischen Maßnahmen zur Schaltung der Anzeige im Internet getroffen hat, wäre ebenfalls nicht tauglich, da es dem Unionsmarkeninhaber in vielen Fällen übermäßig erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht würde, von diesem Ort Kenntnis zu erlangen.

Falls sich - wie bei dem Ausgangsverfahren - ergibt, dass die Werbung und Verkaufsangebote auf der fraglichen Webseite an Verbraucher oder Händler in einem anderen Mitgliedstaat (A) gerichtet waren als demjenigen Mitgliedstaat, wo der Rechtsverletzer seinen Wohnsitz bzw. seine Niederlassung hat (B), darf der Unionsmarkeninhaber seine Verletzungsklage dem EuGH zufolge vor einem Gericht des Mitgliedstaats A erheben. Dies werde dadurch bestätigt, dass die Unionsmarkengerichte des Mitgliedstaats des Wohnsitzes der Verbraucher oder Händler am besten beurteilen können, ob eine Verletzung der Marke vorliegt (diesen Aspekt räumlicher Nähe hatte der EuGH bereits in seinem Urteil in der Rechtssache C-523/10 [Wintersteiger] berücksichtigt). Diese Auslegung des Orts der Verletzungshandlung sei im Übrigen auch kohärent in Bezug auf die Auslegung von Artikel 5 Nr. 3 der Brüssel-I-Verordnung („Ort des Schadenseintritts“), welcher für Klagen wegen Verletzung nationaler Marken gilt und dem Unionsmarkeninhaber gestattet, eine Verletzungsklage bei den Gerichten des Mitgliedstaats zu erheben, in dem sie die Verletzung feststellen lassen möchten (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-360/12 [Coty Germany]). Andernfalls wäre der Unionsmarkeninhaber veranlasst, die Klage wegen Verletzung der Unionsmarke und die Klage wegen Verletzung der parallelen nationalen Marken bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten zu erheben, was dem mit den Verordnungen verfolgten Ziel, die Fälle der Rechtshängigkeit zu verringern, zuwiderlaufen würde.

Fazit

Dieses Urteil ist insbesondere für deutsche Unionsmarkeninhaber von Bedeutung. In seinem „Parfümmarken“-Urteil (I ZR 164/16) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) nämlich vertreten, dass die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nicht damit begründet werden könne, dass Deutschland der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs einer Markenrechtsverletzung sei. Biete ein Wirtschaftsteilnehmer auf seiner Internetseite, die sich an Abnehmer in anderen Mitgliedstaaten richtet, unter Verletzung der Rechte aus einer Unionsmarke Waren zum Kauf an, die auf dem Bildschirm betrachtet und über die Internetseite bestellt werden können, sei der Ort des für die internationale Zuständigkeit maßgeblichen schadensbegründenden Ereignisses im Sinne von Art. 97 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 der Ort, an dem der Prozess der Veröffentlichung des Angebots durch den Wirtschaftsteilnehmer auf seiner Internetseite in Gang gesetzt worden ist, und nicht der Ort, an dem die Internetseite abgerufen werden könne. Dem ist der EuGH nun entgegengetreten.

Offen gelassen hat der EuGH, wann man davon ausgehen kann, dass sich die Werbung oder Verkaufsangebote an die Verbraucher oder Händler richten. Reicht es etwa aus, dass die Bestellung auf der Webseite möglich ist, obwohl die Lieferung selbst aus einem anderen Land erfolgt? Im Sinne des vorliegenden Urteils sollte es darauf nicht ankommen, da ansonsten wieder eine Umgehung des alternativen Gerichtsstands (durch Lieferung aus einem Land außerhalb der EU) droht. Es wird sich zeigen, wie die europäische Rechtsprechung diese Frage weiter konkretisiert.

Gewerblicher Rechtsschutz

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