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Stay on Board – Gesetzliche Regeln zur vorübergehenden Auszeit im Vorstand

12.08.2021

Das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionengesetz, „FüPoG II“) ist heute nach der gestrigen Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten. Neben neuen Regeln zur verbindlichen Geschlechterquote für den Vorstand und für die Festlegung der Zielgrößen (siehe hierzu unseren gesonderten Beitrag FüPoG II in Kraft: Verbindliche Geschlechterquote für den Vorstand und neue Regeln für die Festlegung der Zielgrößen) hat der Gesetzgeber nun einer „Auszeit“ für Mitglieder des Leitungsorgans einen eigenen gesellschaftsrechtlichen Rahmen gegeben.

Ausgangspunkt

Nach bisheriger Rechtslage hatten Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft (AG), geschäftsführende Direktoren/Direktorinnen einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) und Geschäftsführer/Geschäftsführerinnen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) keine gesicherte Möglichkeit, ihr Mandat bei temporärer Abwesenheit vorübergehend ruhen zu lassen. Vielmehr hatten die Mitglieder dieser Leitungsorgane ihr Amt regelmäßig niederzulegen, um sich von den aus der Organstellung resultierenden Pflichten und Haftungsgefahren – die sich aus dem geltenden Konzept der Gesamtverantwortung des Kollegialorgans ergeben – zu befreien. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum FüPoG II wurden nunmehr die Forderungen der Initiative „Stay on Board“ nach einer gesetzlichen Regelung für eine vorübergehende „Auszeit“ von Mitgliedern eines Leitungsorgans aufgegriffen.

„Auszeit“ für Mitglieder bestimmter Leitungsorgane

Sofern der Vorstand einer AG aus mehreren Personen besteht, hat ein Mitglied des Vorstands das Recht, den Aufsichtsrat um Widerruf seiner Bestellung zu ersuchen, wenn es wegen Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege von Familienangehörigen oder Krankheit seinen mit der Bestellung verbundenen Pflichten vorübergehend nicht nachkommen kann. In § 84 Abs. 3 AktG ist dafür ein abgestuftes System für diese „Auszeit“ vorgesehen:

  • Im Falle des Mutterschutzes (angelehnt an die gesetzliche Regelung im Mutterschutzgesetz) besteht das Recht auf Widerruf und Zusicherung der Wiederbestellung nach Ablauf der im Mutterschutzgesetz enthaltenen Schutzfristen. Es bedarf keiner Abwägung durch den Aufsichtsrat und dem Verlangen des Vorstandsmitglieds kann auch kein wichtiger Grund entgegengehalten werden (§ 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AktG).

  • In Fällen der Elternzeit, der Pflege von Familienangehörigen oder der Krankheit besteht ebenfalls ein Anspruch auf Widerruf der Bestellung und Zusicherung der Widerbestellung, allerdings nur für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten. Die Dauer bestimmt sich nach dem Verlangen des Vorstandsmitglieds. Der Aufsichtsrat hat den Widerruf vorzunehmen, es sei denn, es liegt ein wichtiger Grund vor, aufgrund dessen davon abgesehen werden kann (§ 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AktG). Ausweislich der Gesetzesbegründung kann ein wichtiger Grund etwa ein Gesuch zur Unzeit sein, z.B. wenn in dem betroffenen Ressort eine Vielzahl wichtiger Entscheidungen anstehen, sodass ein Schaden für die Gesellschaft zu befürchten ist. Die Entscheidung, ob aufgrund eines wichtigen Grundes von einem Widerruf abgesehen wird, liegt im Ermessen des Aufsichtsrats. Dem Aufsichtsrat soll hier eine Entscheidungskompetenz verbleiben und gleichzeitig ermöglicht werden, den Interessen der Anteilseigner und der Gesellschaft Rechnung zu tragen.

  • Verlangt das Vorstandsmitglied in Fällen der Elternzeit, der Pflege von Familienangehörigen oder der Krankheit einen Widerruf über den Zeitraum von drei Monaten bis zu maximal zwölf Monaten, liegt die Entscheidung allein im Ermessen des Aufsichtsrats (§ 84 Abs. 3 Satz 3 AktG). Eines wichtigen Grundes bedarf es hier für die Ablehnung nicht.

Die Beschlussfassung über den Widerruf der Bestellung im Falle einer „Auszeit“ kann vom Gesamtaufsichtsrat nicht an einen Ausschuss des Aufsichtsrats delegiert werden (§ 107 Abs. 3 Satz 7 AktG). Sowohl der Widerruf als auch die erneute Bestellung sind zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 81 AktG).

Vergleichbare Regelungen sind in Bezug auf die monistische SE (§ 40 Abs. 6 SEAG; auf die dualistische SE findet § 84 Abs. 3 AktG gemäß Artikel 9 Abs. 1 Buchstabe c) Ziffer ii) SE-VO entsprechend Anwendung) und die GmbH (§ 38 Abs. 3 GmbHG) vorgesehen. Bei der monistischen SE ist zu beachten, dass § 40 Abs. 6 SEAG eine Sonderregelung für die geschäftsführenden Direktoren/Direktorinnen vorsieht. Sofern diese gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrats sind, besteht das Mandat im Verwaltungsrat auch bei „Auszeit“ als geschäftsführender Direktor/geschäftsführende Direktorin fort.

Anspruch auf Wiederbestellung

Der Anspruch auf Wiederbestellung kann auf zwei Wegen erfüllt werden:

  • Das Vorstandsmitglied wird nach Ablauf der Fristen der „Auszeit“ erneut bestellt.
  • Zeitgleich mit dem Widerruf erfolgt bereits eine auf den Ablauf des Zeitraums der „Auszeit“ aufschiebend befristete neue Bestellung.

Auswirkungen der „Auszeit“ auf die Amtszeit

Das ursprünglich vorgesehene Ende der Amtszeit bleibt auch als Ende der Amtszeit nach der Wiederbestellung bestehen (§ 84 Abs. 3 Satz 4 AktG). Zweck der Regelung ist es, dass sich durch die vorübergehende „Auszeit“ die Gesamtdauer der Amtszeit nicht über das ursprüngliche Ende der Amtszeit hinaus verlängert.

Auswirkungen der „Auszeit“ auf einzelne Regelungen des AktG

Die Vorgabe des § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach der Vorstand einer Gesellschaft mit einem Grundkapital von mehr als EUR 3 Mio. vorbehaltlich einer abweichenden Satzungsregelung aus mindestens zwei Personen zu bestehen hat, gilt auch während des Zeitraums einer „Auszeit“ als erfüllt, wenn die Vorgabe ohne den Widerruf erfüllt wäre. Auch ein Unterschreiten der in der Satzung festgelegten Mindestzahl an Vorstandsmitgliedern gilt während des Zeitraums einer „Auszeit“ als unbeachtlich (§ 84 Abs. 3 Satz 6 und 7 AktG). Damit soll sichergestellt werden, dass gesetzliche oder satzungsmäßige Vorgaben zur Mindestzahl der Vorstandsmitglieder kein Hindernis für die Ausübung des Rechts der Vorstandsmitglieder darstellen. Auch die Regelungen zur Geschlechterquote finden während des Zeitraums der „Auszeit“ keine Anwendung, wenn das Beteiligungsgebot ohne den Widerruf eingehalten wäre (§ 84 Abs. 3 Satz 8 AktG).

Ausblick

Eine Übergangsregelung ist für die Regelung zur „Auszeit“ nicht vorgesehen, sodass die entsprechenden gesetzlichen Regelungen heute in Kraft treten.

Das Ziel der Neuregelung ist es, den Mitgliedern von Leitungsorganen in bestimmten Lebenssituationen zu ermöglichen, vollumfänglich von den mit dem Amt verbundenen Pflichten und Haftungsgefahren befreit zu sein. Gleichzeitig besteht die Sicherheit, im Anschluss an die „Auszeit“ wiederbestellt zu werden. Die gesetzlichen Regelungen betreffen die gesellschaftsrechtliche Seite als Leitungsorgan. Separate Regelungen sind im Falle einer „Auszeit“ in Bezug auf das Anstellungsverhältnis, insbesondere auch mit Blick auf die Vergütung, vorzusehen.

Klärungsbedürftig bleibt auch, wie die Vakanz während des Zeitraums der „Auszeit“ gefüllt wird. Abhängig vom konkreten Einzelfall, der Dauer der „Auszeit“ und der Größe des Organs sind verschiedene Möglichkeiten denkbar. Insbesondere für kürzere Zeiträume und ab einer gewissen Größe des Leitungsorgans könnten die Aufgaben vorübergehend von den verbleibenden Mitgliedern des Leitungsorgans im Rahmen einer angepassten Geschäftsverteilung ausgeübt werden. Eine (flankierende) Delegation von Aufgaben auf die Ebene unterhalb des Vorstands kann ebenfalls in Betracht kommen. In Einzelfällen könnte auch die Möglichkeit nach § 105 Abs. 2 AktG bzw. § 15 SEAG erwogen werden und vorübergehend ein Mitglied des Aufsichtsrats zum Stellvertreter/zur Stellvertreterin eines fehlenden bzw. verhinderten Vorstandsmitglieds bestellt werden.

Offen ist ebenfalls, ob die für die Geschäftsführungsorgane nunmehr getroffenen Regelungen in der Zukunft auch auf Mitglieder von Aufsichtsorganen ausgeweitet werden könnten oder ob hier aufgrund anderer Erwägungen (z.B. Verhältnis von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern/-vertreterinnen oder Mandat als „Nebenamt“) von einer entsprechenden gesetzlichen Regelung weiterhin abgesehen wird.