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Strom­intensive Unternehmen werden sich Rück­forderungen in Millionen­höhe gegen­über­sehen – zurecht?

01.08.2018

Die Europäische Kommission („Kommission“) ist zu dem Schluss gelangt, dass die Befreiung von Netzentgelten, die in Deutschland bestimmten großen Stromverbrauchern in den Jahren 2012 und 2013 gewährt worden war, gegen die EU-Beihilferegeln verstößt. Es gebe keine Gründe dafür, diese Verbraucher von der Zahlung der Netzentgelte zu befreien. Deutschland muss die gewährten mutmaßlichen Beihilfen nun zurückfordern.

Die Entscheidung der Kommission

§ 19 Abs. 2 Satz 2 der Stromnetzentgeltverordnung („StromNEV“) sah in seiner alten Fassung vor, dass stromintensive Unternehmen mit sehr konstantem Stromverbrauch beantragen konnten, von den Netzentgelten befreit zu werden.

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erklärte hierzu: „Alle Stromverbraucher müssen die Netzbetreiber für die Dienste, die sie nutzen, bezahlen. Wenn bestimmte große Stromverbraucher von diesen Entgelten befreit werden, stellt dies eine unfaire Bevorteilung dar. Zudem wird die Last für die übrigen Verbraucher erhöht. Deswegen muss Deutschland nun die nicht gezahlten Entgelte von diesen Stromverbrauchern einfordern.“

Konkret betrifft dies Stromverbraucher in Deutschland, die zwischen den Jahren 2011 und 2013 einen Jahresverbrauch von mehr als 10 Gigawattstunden und sehr konstanten Stromverbrauch aufwiesen und von der zuständigen Regulierungsbehörde einen Genehmigungsbescheid über die Netzentgeltbefreiung erhalten haben. Dank der Befreiung ersparten sich diese Nutzer im Jahr 2012 Schätzungen zufolge insgesamt EUR 300 Mio. an Netzentgelten – so die Argumentation der Kommission, die jetzt von Deutschland zurückgefordert werden müssen.

Vorliegen staatlicher oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen?

Im Hinblick auf das in Art. 107 Abs. 1 AUEV verankerte zentrale Tatbestandsmerkmal „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen“ stellt sich die spannende Frage, ob in diesem Fall tatsächlich eine Beihilfe vorlag.

Die Differenzierung zwischen staatlichen und aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen soll anzeigen, dass nicht nur unmittelbar von staatlichen Stellen gewährte Zuwendungen als Beihilfen qualifiziert werden, sondern ein Vorteil auch mittelbar unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel gewährt werden kann. Stets muss jedoch die Zuwendung mit einer Belastung des Staatshaushaltes einhergehen.

Dies ist unproblematisch in Fällen, in denen unmittelbar staatliche Mittel zur Vorteilsgewährung eingesetzt werden (staatliche Beihilfen). Ausreichend kann aber unter bestimmten Umständen auch sein, dass der Staat auf Mittel, die nicht zu seinem Vermögen gehören, zugreifen kann bzw. Kontrolle über diese ausübt (aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen). Letzteres hat im vorliegenden Fall die Kommission angenommen.

Vor diesem Hintergrund geht es vor allem darum, ob der Umlagemechanismus, über den die Befreiung der privilegierten Unternehmen von allen Netznutzern gegenfinanziert wurde, einer so engen staatlichen Kontrolle unterlag, dass die Gewährung der Befreiung – dem Standpunkt der Kommission entsprechend – als Beihilfe aus staatlichen Mitteln angesehen werden muss.

Ausblick

Die Entscheidung der Kommission führt dazu, dass Deutschland die nach Auffassung der Kommission zu Unrecht gewährten Beihilfen von den großen Stromverbrauchern zurückfordern muss, die in den Jahren 2012 bis 2013 von den Netzentgelten befreit wurden. Allerdings sollten sich Unternehmen gerade im Hinblick auf die Höhe der zurückzufordernden Summen, aber auch im Hinblick auf die Frage, ob die Befreiung tatsächlich eine Beihilfe darstellt, überlegen, ob sie gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen wollen. Die mutmaßlichen Beihilfenempfänger haben die Möglichkeit, gegen die Negativentscheidung der Kommission Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV zu erheben.

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