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Trotz erneuter Bestätigung der „Vorrats­erlaubnis“ keine Ent­warnung

22.07.2015

Abermals hat das LAG Baden-Württemberg die Zulässigkeit der sog. Vorratserlaubnis für den Fall der werkvertraglichen Gestaltung trotz praktizierter Arbeitnehmerüberlassung bestätigt (Urteil vom 18.06.2015 – 6 Sa 52/14); abermals kann damit die Praxis durchatmen. Doch wie lange hält das Durchatmen in der Sache noch an? Arbeitsministerin Nahles kündigte jüngst bereits für diesen Herbst den lang erwarteten Gesetzesvorschlag zur stärkeren Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen an. Spätestens dann steht die „Vorratserlaubnis“ erneut auf der Tagesordnung.

Entscheidung des LAG Baden-Württemberg

Der Kläger war vom Jahr 2000 bis zum 30.06.2014 bei dem Unternehmen R. beschäftigt und wurde im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses bis zum 31.12.2013 dauerhaft bei der Beklagten eingesetzt. Dabei war die Grundlage des Einsatzes (Werkvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung) zwischen den Parteien streitig. Die Vertragsarbeitgeberin R. verfügte seit dem 01.04.1976 durchgehend über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Der Kläger war zumindest zeitweise in den Betrieb der Beklagten eingegliedert und unterlag dort den Weisungen der Beklagten. Er war der Ansicht, es bestehe deshalb ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten.

Das LAG Baden-Württemberg lehnte den Antrag auf Feststellung eines entsprechenden Arbeitsverhältnisses mit dem Hinweis ab, dass weder über §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG analog noch über § 242 BGB ein solches Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Dabei könne dahinstehen, auf welcher vertraglichen Grundlage der Kläger bei der Beklagten tätig geworden sei, da zumindest für die Gesamtdauer des Einsatzes eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis bestanden habe. Nicht nur die offen betriebene Arbeitnehmerüberlassung werde durch die Überlassungserlaubnis legalisiert. Die „Vorratserlaubnis“ verhindere auch im Fall des Vorliegens eines Scheinwerkvertrages die Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Selbst die Absicht des Arbeitgebers, die Erlaubnis lediglich als „Rettungsanker“ zu verwenden, führe nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes.

Das Gericht beruft sich bei der Ablehnung einer analogen Anwendung der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG auf die Rechtsprechung des BAG zur „nicht nur vorübergehenden“ Überlassung (zuletzt BAG v. 29.04.2015, 9 AZR 883/13) und verneint das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, da der Gesetzgeber bewusst auf eine Regelung verzichtet habe. Auch ein etwaig treuwidriges Verhalten löse – etwa gemäß § 242 BGB – nicht die Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG aus. Nach Treu und Glauben müsse der Kläger vertraglich und wirtschaftlich (nur) so gestellt werden, als hätte er von vornherein seine Rechte als Leiharbeitnehmer wahrnehmen können.

Kontext der Entscheidung

Das Urteil des LAG Baden-Württemberg ist bereits die fünfte Entscheidung des Gerichtes in Sachen „Vorratserlaubnis“. Richtigerweise besteht bereits seit der zweiten Entscheidung Einigkeit über die Zulässigkeit dieser Handlungsform zur Vermeidung eines fingierten Arbeitsverhältnisses zwischen dem werkerbringenden Arbeitnehmer und dem Kunden (zuletzt LAG Baden-Württemberg v. 07.05.2015 – 6 Sa 78/14 und v. 09.04.2015 – 3 Sa 53/14). Zutreffend führt das Gericht aus, dass eine Treuwidrigkeit nur die Gleichstellung des Arbeitnehmers mit einem Leiharbeitnehmer durch den Grundsatz equal pay zur Folge habe. Eine weitergehende Rechtsfolge hat die Legislative selbst nicht vorgesehen. Sie ist auch zur Erreichung des Schutzzweckes des Arbeitnehmerüberlassungsrechts nicht erforderlich. Allein die 3. Kammer des LAG Baden-Württemberg hatte aufgrund eines widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) einen Arbeitsvertrag zum Kunden bejaht (vgl. News vom 27.01.2015).

Das Gericht respektiert damit erneut den Willen des Gesetzgebers, der auf eine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses bei der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung bewusst verzichtete. In mehreren Entscheidungen wurde bereits Revision eingelegt – es bleibt abzuwarten, ob das BAG noch vor einem neuen Gesetzesvorschlag durch das Bundesarbeitsministerium in der Sache entscheiden wird.

Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg überzeugt und nun wiederholt die Zulässigkeit dieser im Wirtschaftsleben sehr verbreiteten und aufgrund der rechtlichen Einordnungsschwierigkeiten moderner Kooperationsformen (wie z. B. „Scrum“, d. h. die Projektmethode des "Agilen Entwickelns") zu recht empfohlenen Praxis der „Vorratserlaubnis“ betont, bleibt die Lage gerade aufgrund der angekündigten Gesetzesänderung unsicher. Wenn sich das Bundesarbeitsministerium – wie von der Ministerin avisiert – eng an den Koalitionsvertrag hält, könnte dies das Aus für diese Praxis bedeuten. Dort heißt es, dass Werkunternehmer und Verleiher bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht bessergestellt werden dürfen als bei einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung (Koalitionsvertrag, S. 49). Unternehmen sind daher bereits jetzt mit Blick auf die angekündigte strengere Regulierung gut beraten, ihre Vertragsgestaltungen bei Einsatz von Fremdpersonal kritisch auf den Prüfstand zu stellen und alle involvierten Unternehmensbereiche vom Einkauf über Personal und Compliance bis hin zu den operativen Bereichen für dieses Thema zu sensibilisieren. Wie Sie dies erfolgreich angehen und Ihr Unternehmen gegen diese aktuellen und drohenden Risiken rüsten, erläutern wir Ihnen gerne im Rahmen unseres Fremdpersonal-Healthcheck.

 

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