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Urteil rechtskräftig: Kfz-Hersteller kann Vertrags­werkstätten den Verkauf von Neu­fahr­zeugen untersagen

09.12.2019

Noerr hatte für einen Kfz-Hersteller bereits im August 2018 vor dem LG Frankfurt am Main ein erstinstanzliches Urteil erstritten, das für alle Kfz-Hersteller und -Importeure von großer Bedeutung ist und europaweit mit großer Spannung erwartet wurde. Das Landgericht hatte entschieden, dass ein Kfz-Hersteller, der für den Vertrieb von Neufahrzeugen einerseits und von Kundendienstleistungen und Originalersatzteilen andererseits unterschiedliche Vertriebssysteme unterhält, seinen Vertragswerkstätten den Verkauf und die Bewerbung von Neufahrzeugen der entsprechenden Marke zum Schutze seines Neuwagen-Vertriebssystems untersagen kann (Urteil vom 21.08.2018, 3-06 O 35/17). Die klagende Vertragswerkstatt legte gegen das klageabweisende Urteil Berufung ein. Der 1. Kartellsenat des OLG Frankfurt am Main folgte indes unserer Ansicht, dass ein entsprechendes Verkaufsverbot für Neufahrzeuge nicht gegen deutsches oder europäisches Kartellrecht verstößt (11 U 101/18). Der Kläger hat die Berufung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.12.2019 zurückgenommen. Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main ist daher nun rechtskräftig.

Wie nun alle Kfz-Hersteller unterhält auch der beklagte Kfz-Hersteller in Deutschland in Bezug auf den Vertrieb von Neufahrzeugen ein quantitativ selektives Vertriebssystem. In den Verträgen mit ihren Vertragswerkstätten hat der Kfz-Hersteller ein Verkaufsverbot von Neufahrzeugen aufgenommen.

In der Kfz-Branche wird – wenn bisher auch nur außergerichtlich – heftig diskutiert, ob ein Kfz-Hersteller bzw. -Importeur seinen Vertragswerkstätten den Verkauf von Neufahrzeugen seiner Marke vertraglich verbieten kann. Das Landgericht hatte diese Frage bejaht, weil ein solches Verkaufsverbot jedenfalls nach der Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 330/2010 vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt sei.

Die klagende Vertragswerkstatt war hingegen der Auffassung, dass sie nicht schlechter stehen könne als jede freie Werkstatt, die Neufahrzeuge aller Marken verkaufen dürfte, der Hersteller regelmäßig selbst für die Lücken in seinem Neuwagenvertriebssystem verantwortlich sei und dass ein solches Verbot zum Schutze des quantitativ selektiven (Neuwagen-)Vertriebssystems nicht erforderlich sei, weil der Hersteller sich ohne Weiteres an die vertragsbrüchigen Vertragshändler halten könnte, die den Graumarkt mit Neufahrzeugen bespielen würden.

Das OLG Frankfurt am Main folgte der Auffassung der Vertragswerkstatt nicht und schloss sich im Ergebnis, wenn auch mit anderer Begründung der Auffassung des LG Frankfurt am Main an: Das Verbot sei nach § 2 GWB/Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt. Jedoch komme die Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 461/2010 nicht zur Anwendung, da nach Auffassung der Kommission auf dem markenspezifisch abzugrenzenden Markt für Kundendienstleistungen und Ersatzteile Marktanteile des Herstellers von über 30% anzunehmen seien. Auch die Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 330/2010 sei nicht anwendbar; es fehle an einer den Vertrieb von Neufahrzeugen regelnden vertikalen Vereinbarung im Vertrag mit der Vertragswerkstatt. Allerdings sei das Verbot nach § 2 GWB/Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt. Es sei anerkannt, dass selektive Vertriebssysteme Effizienzvorteile mit sich brächten und schützenswert seien. Der Hersteller habe sein Vertriebssystem mit der Trennung von Vertrieb von Neufahrzeugen und Service auf zwei Standbeine gestützt, die unterschiedliche Rechte und Pflichten der Vertragshändler und Vertragswerkstätten vorsehen und insbesondere erhebliche Unterschiede bei den zu tätigenden Investitionen erforderten. Der Senat griff die von uns angeführte Argumentation auf, dass das streitgegenständliche Verkaufsverbot zur Bekämpfung des sogenannten „Trittbrettfahrerproblems“ (Vertragswerkstatt als Trittbrettfahrer) erforderlich sei. Das Verkaufsverbot diene der Vermeidung von Kannibalisierungseffekten im eigenen Vertriebssystem, indem die Interessen und Investitionen der Vertragshändler vor Trittbrettfahrern aus den eigenen Reihen geschützt würden. Zudem könnten Effizienzvorteile in Form einer intensiveren und besseren Kundenberatung sowie einer Verbesserung des Markenimages erreicht werden. Diese Effizienzvorteile kämen erkennbar auch den Verbrauchern zugute. Zuletzt sei das Verbot auch unerlässlich, um die aufgezeigten Effizienzvorteile zu erreichen. Den Einwand, letztlich habe es der Hersteller in der Hand, für eine absolute Lückenlosigkeit seines Vertriebssystems zu sorgen, weshalb es das Verbot bei einem konsequenten Vorgehen gegen vertragsbrüchige Händler nicht brauche, ließ der Senat nicht gelten. Vielmehr sei allgemein bekannt, dass sich eine praktische Lückenlosigkeit nicht erreichen lasse.

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