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Verfassungs­beschwerde gegen „Staats­trojaner“ angekündigt

01.08.2017

Am 22. Juni 2017 hat der deutsche Bundestag das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ beschlossen. Die erste Verfassungsbeschwerde dagegen wurde bereits angekündigt. Mit Pressemitteilung vom      27. Juli 2017 teilte der Verein für Grundrechte und Datenschutz „Digitalcourage“ mit, er werde gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einreichen. Den Vorstoß unterstützen u.a. Rechtswissenschaftler und ein Richter des Berliner Verfassungsgerichts.

Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung


Das Gesetz schafft Rechtsgrundlagen für (i) die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und (ii) die Online-Durchsuchung in den §§ 100a und 100b der Strafprozessordnung (StPO). Die Maßnahmen werden auch „Staatstrojaner“ genannt.

  • Als Online-Durchsuchung wird der verdeckte staatliche Zugriff auf fremde IT-Systeme über Kommunikationsnetze mittels einer Überwachungssoftware bezeichnet. Die Möglichkeit eines solchen verdeckten Eingriffs bestand bislang für Strafverfolgungsbehörden nicht.

  • Bei der Quellen-TKÜ wird ebenfalls ein fremdes IT-System infiltriert, um mit eigens für diesen Zweck entwickelter Überwachungssoftware verschlüsselte Kommunikation zu überwachen. Die Ermittler greifen laufende Kommunikation also „an der Quelle“ ab, bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurde.

Voraussetzung für beide Maßnahmen ist, dass Tatsachen vorliegen, die den Verdacht der Begehung einer der in § 100a StPO und des neuen § 100b Abs. 2 StPO n.F. benannten Straftaten begründen. Die Listen reichen von Mord und Totschlag über Steuerdelikte, Computerbetrug und Hehlerei bis zu einem Vergehen, bei dem jemand einen Flüchtling zu einer missbräuchlichen Asylantragsstellung verleitet. Beide Maßnahmen bedürfen einer richterlichen Anordnung.

Kritik der Digitalcourage: Verletzung des IT-Grundrechts


Der Verein kritisiert unter anderem die Folgen der „Staatstrojaner“ für IT-Sicherheit und Grundrechte, insbesondere für das Grundrecht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (sog. IT-Grundrecht, BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008, 1 BvR 370/07). Sie berufen sich hierbei auf die Rechtsprechung des BVerfG. Demnach kommt moderner IT für die Lebensführung vieler Bürger und damit ihrer Persönlichkeitsrechte eine immer zentralere Bedeutung zu. Heimliche staatliche Eingriffe seien daher schweren Gewichts und lediglich bei konkreter Gefährdung überragend wichtiger Rechtsgüter (z.B. Lebens, körperliche Unversehrtheit, Existenz des Staates) zulässig. Laut Digitalcourage geht das aktuelle Gesetz aber darüber hinaus, indem es den Einsatz von Staatstrojanern auch bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und beim Schleusen von Flüchtenden vorsieht.

Weitere Kritikpunkte des Vereins betreffen die Verhältnismäßigkeit und einen vermeintlichen Widerspruch zu staatlichen Schutzpflichten bei der Gewährleistung von IT-Sicherheit.

Gesetzgebungsverfahren


Auch am Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde Kritik unter anderem vom Bundesrat geäußert. Die neuen Regelungen seien nachträglich an zwei weitgehend sachfremde Gesetzentwürfe angekoppelt worden, ohne dass die erforderliche umfassende Beteiligung der Länder stattgefunden habe. Dennoch hat der Bundesrat das Gesetz am 9. Juli bestätigt.

Ausblick


Die Verkündung des Gesetzes steht noch aus. Ob das Gesetz tatsächlich mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, obliegt allein der Entscheidungskompetenz des BVerfG.

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