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Vorschlag einer „GmbH in Verantwortungs­eigentum“ als neue Rechts­form­variante

19.10.2020

Gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit sind in aller Munde. Eine private Initiative tritt derzeit öffentlichkeitswirksam für das Thema Verantwortungseigentum ein. Dieses Thema ist inzwischen auch in der gesellschaftsrechtlichen Diskussion angekommen. Eine Gruppe von Rechtswissenschaftlern hat einen Gesetzentwurf zur Einführung der sogenannten „GmbH in Verantwortungseigentum“ vorgelegt. Das Vorhaben stößt auf eine hohe Resonanz in Tagespresse und Fachöffentlichkeit.

Was bedeutet „Verantwortungseigentum“?

Verantwortungseigentum (kurz: VE) soll eine besondere Eigentumsform von Unternehmen beschreiben, bei der Gesellschaftskapital und Unternehmensgewinne dauerhaft gebunden sind und nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet werden (Asset Lock). Dabei soll die Unternehmensverantwortung auf Ebene der Gesellschafter unabhängig von genetischer Familienzugehörigkeit und Vermögen innerhalb einer engen Gemeinschaft der Gesellschafter übergeben werden können (sogenannte „Fähigkeiten- und Wertefamilie“). Verantwortungseigentümer haben nach diesem Leitbild als Gesellschafter zwar Stimm- und Teilhaberechte, jedoch keine Ansprüche auf Gewinnausschüttung und Liquidationserlös. Sie können ihre Anteile weder frei veräußern oder verschenken noch vererben. VE-Unternehmen sind wohlgemerkt nicht notwendig gemeinnützig oder auf einen gemeinwohlfördernden Zweck beschränkt. Sie sind in der Regel vielmehr mit Gewinnerzielungsabsicht am Markt tätig. VE soll aber ermöglichen, glaubhaft zu versprechen, dass investierte oder gespendete Mittel dauerhaft für den Unternehmenszweck verwendet und nicht entnommen werden. Als Beispiele für existierende Unternehmen in VE werden unter anderem die Carl Zeiss AG, die Robert Bosch GmbH und die ZF Friedrichshafen AG genannt. Diese Gesellschaften befinden sich allesamt im Eigentum von Stiftungen.

Der Gesetzesvorschlag

Ein Arbeitskreis von Rechtswissenschaftlern hat im Juni dieses Jahres einen umfangreichen Gesetzesvorschlag zur Abänderung des GmbH-Gesetzes vorgelegt, der die Konzeption des VE in das Gesellschaftsrecht integrieren soll. Durch die Einfügung der §§ 77a ff. GmbHG-E würde eine neue Gesellschaftsform der „GmbH in Verantwortungseigentum“ (VE-GmbH) geschaffen, die im Unterschied zur klassischen GmbH folgende Besonderheiten aufweist:

  • Die Finanzverfassung soll dahingehend geändert werden, dass Gesellschafter keinen Anspruch auf die Gewinne und das Vermögen haben (§ 77e Abs. 1 und 2 GmbHG-E, § 77f GmbHG-E). Dies soll auch bei Auflösung und Liquidation gelten (§ 77j Abs. 1 GmbHG-E). Einzig die Einlage soll erstattet werden, wenn Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden (§ 77i Abs. 1 GmbHG-E) oder die Gesellschaft aufgelöst wird (vgl. § 77j Abs. 2 GmbHG-E).

  • Darüber hinaus wird die Übertragbarkeit der Geschäftsanteile stark beschränkt: die Anteile sollen vinkuliert und grundsätzlich nur auf natürliche Personen, andere Gesellschaften in VE oder Rechtsträger mit in gleicher Weise gesetzlich dauerhaft gebundenem Vermögen übertragen werden können (§ 77b Abs. 2 GmbHG-E). Eine Vererbbarkeit an andere Personen als den vordefinierten Kreis möglicher Gesellschafter soll von vornherein ausgeschlossen sein (§ 77b Abs. 3 S. 7 bis 9 GmbHG-E). Darüber hinaus soll es den Gesellschaftern möglich sein, die Vererbbarkeit der Anteile ganz auszuschließen (§ 77b Abs. 3 und 4 GmbHG-E).

  • Die Gesellschafter sollen weiter frei darin sein, für sie passende Governance-Lösungen zu entwickeln, die sie im Internet veröffentlichen müssen (§ 77h GmbHG-E). Am Grundsatz der Satzungsautonomie der Gesellschafter wird weitestgehend festgehalten. Einige Vorschriften, die das VE-Konzept umsetzen, sollen jedoch zwingend und unumkehrbar sein. Insbesondere die Vermögensbindung bzw. die Wahl der VE-GmbH als Rechtsform im Sinne eines echten Asset Locks sollen nicht mehr rückgängig gemacht werden können, § 77a Abs. 2 S. 2 GmbHG-E. Eine staatliche Aufsicht – vergleichbar der Stiftungsaufsicht – ist indes nicht vorgesehen. Mangels Gemeinnützigkeit findet auch keine Kontrolle durch die Finanzverwaltung statt.

  • Flankierend sollen umwandlungs- (§§ 77l ff. GmbHG-E), konzern- (§ 77o GmbHG-E) und steuerrechtliche Vorschriften (Art. 2 und 3 des Gesetzesvorschlages) geändert und auf die VE-GmbH zugeschnitten werden.

Kontroverse Diskussion entfacht

Der Vorschlag hat medial hohe Wellen geschlagen und ein geteiltes Echo ausgelöst. Immerhin mehr als 500 Unternehmer und 100 Wirtschaftsexperten haben in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten eine neue Rechtsform für VE gefordert. Erste Diskussionen mit Vertretern aus der Politik schlossen sich an. Die Einführung von VE als rechtliches Konzept sichere einen nachhaltigen Umgang mit dem Unternehmen. Zudem könnten vor allem junge Start-Ups, denen häufig der Ruf des „schnellen Exits“ anhafte, ein glaubhaftes Signal abgeben und somit einen Nachteil gegenüber etablierten Unternehmen wettmachen. Schließlich werden die bestehenden gesetzlichen Regelungen als insbesondere für junge Unternehmen zu starr und in der Umsetzung aufwendig betrachtet.

Seitens der Wirtschaftsverbände und auch in der Rechtswissenschaft wird dagegen zunehmend Kritik laut. So wird befürchtet, dass nach der Einführung der VE-GmbH die Wahl der herkömmlichen Rechtsformen mit einer (unberechtigten) Stigmatisierung verbunden sein könnte, nicht verantwortlich mit dem Eigentum umzugehen. Weiter wird angeführt, dass mit der VE-GmbH grundlegende und für eine marktwirtschaftliche Ordnung existenzielle Anreizmechanismen ausgeschaltet würden. Die Koppelung von Eigentum und Verantwortung sowie Risiko und Haftung sei nämlich fortan nicht mehr gegeben. Im Übrigen sei eine bedingungslose Unterordnung unter den Willen eines womöglich längst Verstorbenen im Gesellschaftsrecht bedenklich und solle dem Stiftungsrecht vorbehalten bleiben.

In der Tat bleiben viele Fragen noch offen. Etwa enthält der Gesetzentwurf keine hinreichenden Kontrollmechanismen, die gewährleisten, dass die VE-Eigentümer nicht durch überhöhte Gehälter, stille Beteiligungen, Gesellschafterdarlehen oder andere Gestaltungen dem Unternehmen doch Vermögen entziehen. Vor allem jedoch stellt sich die Frage, welche Verbesserung sich gegenüber der geltenden Rechtslage überhaupt ergibt.

Bestehender Gestaltungsspielraum mit Stiftungen und maßgeschneiderten Gesellschaftsverträgen

Wie die VE-Initiative richtig anbringt, befinden sich bereits viele Unternehmen in VE. Denn das geltende Recht ermöglicht durchaus, die Ziele von VE zu verwirklichen. So wird bei dem sogenannten Einzelstiftungsmodell zumindest die Mehrheit der Anteile der Gesellschaft von einer (gemeinnützigen) Stiftung gehalten, die jenseits ihrer Zweckverfolgung grundsätzlich keine Gewinne an Privatpersonen ausschüttet. Die Stiftungen verfügen in der Regel über zwei verschiedene Gremien. Dem einen kann die Ausübung der Stimmrechte in der Gesellschaft zugewiesen werden und dem anderen die Verteilung von Gewinnen für gemeinnützige Zwecke. Ein bekanntes Praxisbeispiel dieses Modells ist beispielsweise die Carl Zeiss AG.

Bei dem sogenannten Doppelstiftungsmodell ist die Trennung zwischen Gewinnverwendung und Stimmrechten noch weitergehend: Dividendenrechte werden meist mehrheitlich einer gemeinnützigen Stiftung, einer gGmbH oder einem Verein zugeteilt, während die Stimmrechte mehrheitlich von einer weiteren Stiftung oder auch - wie bei der Robert Bosch GmbH der Fall - von einer KG gehalten werden. Alternativ oder flankierend kann eine privatnützige Familienstiftung zum Einsatz kommen.

Die Stiftungsmodelle kommen den genannten Zwecken des VE recht nahe und versprechen vor allem beständige und sichere Lösungen. Freilich unterliegen Stiftungen der staatlichen Stiftungsaufsicht und die Errichtung und Aufrechterhaltung ist mitunter aufwendig. Grundsätzlich eignen sich Stiftungsmodelle daher eher für größere Unternehmen.

Neben Stiftungsmodellen kann sich besonders für kleine und mittelgroße Unternehmen die GmbH als Rechtsform anbieten. Die Gesellschafter können den GmbH-Gesellschaftsvertrag – anders als bei einer Aktiengesellschaft die Satzung – weitestgehend frei gestalten. So lässt sich beispielsweise vorsehen, dass sämtliche oder auch nur einzelne, gegebenenfalls mit Mehrstimmrechten ausgestattete, Geschäftsanteile Mitgliedern der Geschäftsführung oder Mitarbeitern vorbehalten bleiben. Durch einen mit neutralen Dritten besetzten Beirat kann darüber hinaus eine übergeordnete, von Vermögensinteressen der Eigentümer unabhängige Kontrollinstanz für Nachfolgeentscheidungen eingerichtet werden.

Eine „Ewigkeitsgarantie“ hat ein Asset Lock in der GmbH zwar nicht, weil der Gesellschaftsvertrag einer GmbH geändert werden kann, und sei es auch nur durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss. Die Praxis behilft sich hier allerdings teilweise mit dem sogenannten Veto-Anteil-Modell, bei dem einer Stiftung zwar nur ein geringer Stimmrechtsanteil, aber die Möglichkeit, Satzungsänderungen zu blockieren, eingeräumt wird. Die Satzung der Stiftung regelt ihrerseits, dass die Stiftung verpflichtet ist, das Vetorecht zum Schutz der Grundsätze von VE einzusetzen. Dieser Zweck kann dann durch die Stiftungsaufsicht durchgesetzt bzw. überwacht werden.

Fazit: VE fügt sich in die ESG-Diskussion ein, ist aber nicht neu

Die Initiative VE fügt sich nahtlos in die aktuell unter dem Schlagwort ESG (Environment – Corporate Social Responsibility – Corporate Governance) geführte Diskussion über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ein. Der detaillierte Gesetzesvorschlag bereichert zudem den Diskurs über die Modernisierung des Gesellschaftsrechts und sollte auch im Zuge der bevorstehenden Reform des Stiftungsrechts Berücksichtigung finden. Allerdings sind noch einige Fragen offen. Kritiker des Konzepts von VE-Eigentum mag beruhigen, dass Unternehmen und Gesellschafter keineswegs in die Rechtsform der VE-GmbH hineingezwungen werden sollen und sie auch in anderer Rechtform verantwortungsvolles Unternehmertum praktizieren können, wie es insbesondere viele Familienunternehmen bereits seit Generationen tun. Schließlich sollte nicht außer Betracht bleiben, dass die Gestaltungspraxis probate Mittel entwickelt hat, mit denen sich die Zielsetzungen von VE bereits nach geltendem Recht umsetzen lassen.

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