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Vorschlag für einen EU Listing Act – Teil 2

19.12.2022

Europäische Kommission veröffentlicht Vorschlag zum EU Listing Act

 

Am 7. Dezember 2022 hat die Europäische Kommission ihren lang erwarteten Vorschlag zum sog. EU Listing Act vorgelegt (zur öffentlichen Konsultation lesen Sie hier unseren Beitrag vom 25.01.2022). Der EU Listing Act soll – neben weiteren Maßnahmen zur Stärkung der Clearingsysteme und zur Harmonisierung insolvenzrechtlicher Regelungen – ein entscheidender Baustein zur angestrebten Weiterentwicklung der europäischen Kapitalmarktunion sein. Angestrebtes Ziel ist es, die europäischen Kapitalmärkte attraktiver zu machen und für kleine und mittlere Unternehmen (sog. „KMU“) den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Damit will die EU insbesondere dem Trend zur Abwanderung europäischer Wachstumsunternehmen in die Vereinigten Staaten und andere Nicht EU-Staaten entgegenwirken, der in den letzten Jahren zunehmend zu beobachten war.

Teil des EU Listing Act sind unter anderem Änderungen der Prospektverordnung (Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG) (siehe nachfolgend unter I.) und der Marktmissbrauchsverordnung (siehe hierzu bereits unseren gesonderten Beitrag vom 15.12.2022). Hierdurch soll der Zeit- und Kostenaufwand für Emittenten sowohl bei Börsengängen (sog. IPOs), weiteren Kapitalaufnahmen (sog. Sekundäremissionen) aber auch bei der Erfüllung der Zulassungsfolgepflichten deutlich verringert werden.

Zudem sieht der Kommissionsvorschlag die Möglichkeit zur Einführung von Aktien mit Mehrfachstimmrechten für Unternehmen vor, die einen Börsengang in einem KMU-Wachstumsmarkt vollziehen (siehe nachfolgend unter II.). Insbesondere Gründern und Familienunternehmen soll so die Möglichkeit eingeräumt werden, bereits frühzeitig Wachstumskapital über einen Börsengang einzuwerben, ohne die Kontrolle über ihr Unternehmen zu verlieren.

Im Folgenden soll ein Überblick über die wesentlichen Vorschläge der Europäischen Kommission gegeben werden:

I. Änderungen der Prospektverordnung

1. Erweiterung der Prospektausnahmen

 

a) Erleichterung von Sekundäremissionen

Im Hinblick auf die Prospektverordnung sieht der Kommissionsentwurf zunächst erhebliche Erleichterungen für Sekundäremissionen bereits börsennotierter Unternehmen vor:

  • Unternehmen sollen innerhalb von zwölf Monaten eine oder mehrere Kapitalerhöhungen prospektfrei durchführen können, sofern diese insgesamt weniger 40 % des bereits zugelassenen Aktienkapitals ausmachen (dazu unter aa)).

  • Für den Fall, dass dieses Volumen überschritten oder erschöpft sein sollte, soll den Unternehmen bereits 18 Monate nach Notierungsaufnahme ermöglicht werden, Kapitalerhöhungen in beliebiger Höhe lediglich durch Veröffentlichung eines zusammenfassenden zehnseitigen Dokuments durchzuführen (dazu unter bb)).

aa) Sekundäremissionen im Umfang von weniger als 40 %

Öffentliche Angebote von Wertpapieren sollen künftig nach Art. 1 Abs. 4 lit. (da) des Entwurfs der geänderten Prospektverordnung („ProspektVO-E“) prospektfrei sein, wenn

  • die angebotenen Wertpapier zum Handel auf einem regulierten Markt oder einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen werden sollen;

  • die angebotenen Wertpapiere fungibel mit bereits zum Handel auf demselben Markt zugelassenen Wertpapieren sind; und

  • diese Wertpapiere über einen Zeitraum von zwölf Monaten weniger als 40 % der bereits zum Handel zugelassenen Wertpapiere ausmachen.

Entsprechend soll auch der Schwellenwert für die prospektfreie Zulassung von Wertpapieren in Art. 1 Abs. 5 lit. a) Prospektverordnung von 20 % auf 40 % erhöht werden.

Diese neue Prospektausnahme würde die Eigenkapitalbeschaffung von Unternehmen, deren Aktien im regulierten Markt oder Scale notiert sind, erheblich günstiger und einfacher machen. Bezugsrechtskapitalerhöhungen sind bislang grundsätzlich prospektpflichtig, weil die BaFin das Bezugsangebot an alle Aktionäre als öffentliches Angebot im Sinne der Prospektverordnung einordnet. Prospektfreie Kapitalerhöhungen sind daher im Regelfall auf sog. "10 %-Kapitalerhöhungen" beschränkt, bei denen der Emittent das Bezugsrecht der Aktionäre nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ausschließen kann. Dies führt für deutsche Emittenten zu einer Diskrepanz zwischen der Prospektausnahme für öffentliche Angebote (bis zu 10 % des Grundkapitals) und der Prospektausnahme für die Zulassung neuer Aktien (20 % des Grundkapitals).

Wird der Kommissionsvorschlag Gesetz, können Unternehmen hingegen künftig innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten eine oder sogar mehrere Bezugsrechtskapitalerhöhungen prospektfrei durchführen, sofern der Schwellenwert von 40 % des bereits zugelassenen Aktienkapitals nicht erreicht wird.

bb) Sekundäremissionen im Umfang von 40 % oder mehr

Sekundäremissionen, welche die Schwelle von 40 % erreichen oder überschreiten, sollen nach Art. 1 Abs. 4 lit. (db), Abs. 5 lit. (ba) ProspektVO-E künftig prospektfrei möglich sein, wenn

  • die angebotenen Wertpapiere mit Wertpapieren fungibel sind, die bereits mindestens 18 Monate zum Handel an einem regulierten Markt oder einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen waren;

  • die Wertpapiere weder im Zusammenhang mit einer Übernahme durch ein Tauschangebot, einer Fusion oder einer Spaltung ausgegeben werden;

  • sich der Emittent nicht in einem Insolvenz- oder Sanierungsverfahren befindet; und

  • ein Dokument bei der BaFin eingereicht und veröffentlicht wird, das die in Anhang IX ProspektVO-E genannten Informationen enthält.

Der Kommissionsvorschlag führt damit ein neues Dokument zur Information der Anleger ein, dass bei Sekundäremissionen an die Stelle des Prospekts treten soll. Bereits aus der maximalen Länge von zehn Din A4-Seiten wird ersichtlich, dass dieses Dokument nicht mit einem Prospekt vergleichbar ist. Der wesentliche Inhalt des Dokuments wird darin bestehen, die angebotenen Wertpapiere, die Bedingungen des Angebots und die mit der Emission verbundenen Risiken sowie die Verwässerung zu beschreiben. Für weitergehende Informationen über den Emittenten werden die Anleger auf dessen laufende Berichterstattung verwiesen.

Ob sich ein solches Dokument in der Praxis durchsetzt, ist jedoch vor dem Hintergrund noch offener Haftungsfragen und dem regelmäßigen Bedürfnis der Anleger nach weitergehenden Informationen fraglich. Insbesondere bei größeren Transaktionen dürfte die freiwillige Prospekterstellung daher eine weiterhin genutzte Alternative bleiben.

b) Förderung kleinere Emissionen

Neben Sekundäremissionen will die Kommission auch kleinere (Primär-)Emissionen stärker fördern. Während es derzeit im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, ob sie Angebote im Volumen von bis zu 8 Millionen Euro von der Prospektpflicht ausnehmen, soll künftig eine entsprechende Umsetzungspflicht bestehen. Zudem soll der Höchstbetrag für prospektfreie Angebote von derzeit 8 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro (berechnet über einen Zeitraum von zwölf Monaten) erhöht werden (Art. 3 Abs. 2 ProspektVO-E).

In Deutschland muss der Emittent bei solchen prospektfreien Angeboten ab einem Volumen von 100.000 Euro zwar keinen Prospekt, aber ein dreiseitiges Wertpapier-Informationsblatt erstellen, dessen Veröffentlichung durch die BaFin zu gestatten ist. Es ist davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber an diesem Erfordernis festhält. Möglich ist dies weiterhin, weil die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene andere Offenlegungspflichten vorsehen können, sofern diese keine unverhältnismäßige oder unnötige Belastung darstellen.

c) Zulassung von Aktien, die bei Ausübung von Wandel- oder Optionsrechten entstehen

Die Kommission will zudem die Zulassung von Aktien erleichtern, die aus der Umwandlung oder dem Eintausch anderer Wertpapiere oder aus der Ausübung der mit anderen Wertpapieren verbundenen Rechte resultieren. Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass diese künftig bis zu einem Umfang von weniger als 40 % über einen Zeitraum von 12 Monaten prospektfrei zugelassen werden können (s. Art. 1 Abs. 5 lit. b ProspektVO-E). Dies erleichtert insbesondere die Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen für Emittenten, deren Aktien am regulierten Markt zugelassen sind.

d) Emission von Nichtdividendenwerte durch Kreditinstitute

Eine weitere Erleichterung betrifft das Angebot von Nichtdividendenwerten, die von einem Kreditinstitut dauernd oder wiederholt begeben werden. Der Schwellenwert, bis zu dem solche Wertpapiere prospektfrei angeboten und zugelassen werden können, soll von 75.000.000 Euro auf 150.000.000 Euro erhöht werden (s. Art. 1 Abs. 4 lit. j), Abs. 5 lit. i) ProspektVO-E).

2. Prospektstandardisierung

 

Mit Blick auf die innerhalb der EU bestehenden Unterschiede bei Länge und Aufbau eines Wertpapierprospekts soll zudem ein einheitlicher Standard für Format und Aufbau von Prospekten samt Zusammenfassung entwickelt werden. Dies soll helfen, den Aufwand bei der Prospekterstellung weiter zu reduzieren. Der Kommissionsvorschlag sieht die folgenden Vorgaben an den Standardprospekt vor:

  • Standardisiertes Format und standardisierte Abfolge der aufzunehmenden Informationen;

  • Standardisierte Abfolge der Prospektzusammenfassung entsprechend der Aufzählung der Inhalte in Art. 7 Prospektverordnung;

  • Möglichkeit der Darstellung von Informationen der Prospektzusammenfassung durch Charts, Graphiken und Tabellen;

  • Deckelung der Prospektlänge bei 300 DIN A4-Seiten bei Prospekten, die sich auf Aktien oder andere übertragbare, Aktien gleichzustellende Wertpapiere beziehen, wobei die folgenden Informationen bei dieser Deckelung nicht inbegriffen sind:

    • Prospektzusammenfassung;

    • Informationen, die mittels Verweis in den Prospekt aufzunehmen sind (siehe hierzu nachstehend unter 4.);

    • zusätzliche Informationen, die der Emittent aufgrund einer komplexen finanztechnischen Vorgeschichte aufzunehmen hat; und

    • zusätzliche Informationen, die der Emittent aufgrund des Eingehens einer bedeutenden finanziellen Verpflichtung aufzunehmen hat.

Der konkrete Aufbau und die Inhalte des Standardprospekts sollen durch die Kommission im Rahmen eines Delegierten Rechtsakts festgelegt werden. Gleichwohl schlägt der Kommissionsentwurf auch einen neuen Anhang I der Prospektverordnung vor, der einige Vorgaben an die Mindestinhalte eines Prospekts festlegt. Im Vergleich zu dem derzeit geltenden Anhang I fällt auf, dass unter anderem die Angaben (i) zur Kapitalausstattung und Verschuldung, (ii) zu den Faktoren, welche die Finanzlage des Unternehmens und das Betriebsergebnis im Bilanzzeitraum beeinflusst haben und (iii) zur Verwässerung aus Anhang I gestrichen wurden.

Bemerkenswert ist zudem die Konkretisierung im Hinblick auf die in den Prospekt aufzunehmenden, historischen Finanzinformationen. Während Anhang I derzeit keine Konkretisierung mit Blick auf den abgedeckten Zeitraum vorsieht, schlägt die EU Kommission nunmehr einen Zeitraum von zwei Geschäftsjahren (für Dividendenwerte) bzw. einem Geschäftsjahr (für Nicht-Dividendenwerte) vor. Bei Dividendenwerten sollen zudem die (Konzern-)Lageberichte sowie die Nachhaltigkeitsberichte für die entsprechenden Zeiträume mittels Verweis in den Prospekt aufgenommen werden. Bei Nicht-Dividendenwerten sollen hingegen ESG-relevante Informationen in die Prospektinhalte aufgenommen werden.

3. Neue Prospektformate

 

Mit der Einführung des sog. EU-Folgeprospekts (EU Follow-On Prospectus) (siehe nachfolgend unter a)) sowie des EU-Wachstumsemissionsdokuments (EU Growth Issuance Document) (siehe nachfolgend unter b)) möchte die Kommission den sog. vereinfachten Prospekt für Sekundäremissionen bzw. den EU-Wachstumsprospekt ersetzen.

a) EU-Folgeprospekt (EU Follow-On Prospectus)

  • Adressaten: Der neue EU-Folgeprospekt richtet sich an Emittenten und Anbieter, deren Wertpapiere ununterbrochen seit mindestens 18 Monaten zum Handel am regulierten Markt zugelassen oder in den Handel an einem KMU-Wachstumsmarkt einbezogen sind.

  • Anwendungsbereich: Der EU-Folgeprospekt kann für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren und/oder zur Zulassung von Wertpapieren zum Handel am regulierten Markt genutzt werden. Der EU-Folgeprospekt kann somit für alle Sekundäremissionen von Aktien genutzt werden, die keiner Prospektausnahme unterfallen, oder freiwillig erstellt werden. Zudem können Emittenten, deren Aktien lediglich an einem KMU-Wachstumsmarkt notiert sind, den EU-Folgeprospekt für ein Uplisting in den regulierten Markt nutzen.

  • Format und Aufbau: Wie der geplante Standardprospekt soll auch der EU-Folgeprospekt einem standardisierten Format und Aufbau folgen. Der Umfang soll auf maximal 50 DIN-A4 Seiten mit den für den Standardprospekt geltenden Ausnahmen (siehe oben unter ) begrenzt sein. Die ebenfalls standardisierte Zusammenfassung soll maximal 5 DIN-A4 Seiten betragen.

  • Prospektinhalt: Wie für den Standardprospekt, sieht der Kommissionsvorschlag auch für den EU-Folgeprospekt bereits bestimmte Mindestinformationen vor. Bemerkenswert ist hierbei, dass lediglich die historischen Finanzinformationen in den EU-Folgeprospekt aufzunehmen sind, die in den letzten 12 Monaten vor der Prospektbilligung veröffentlicht wurden.

  • Billigungsverfahren: Als Prüfungsfrist für den EU-Folgeprospekt sind lediglich 7 Arbeitstage vorgesehen.


b) EU-Wachstumsemissionsdokument (EU Growth Issuance Document)

  • Adressaten: Das EU-Wachstumsemissionsdokument richtet sich an (i) KMU, (ii) Emittenten, die zwar keine KMUs (mehr) sind, aber deren Aktien in den Handel an einem KMU-Wachstumsmarkt einbezogen sind oder werden sollen, und (iii) Emittenten, bei denen sich der Gesamtgegenwert der öffentlich angebotenen Wertpapiere in der EU über einen Zeitraum von 12 Monaten auf weniger als EUR 50 Millionen beläuft, sofern diese Emittenten keine über ein MTF gehandelten Wertpapiere besitzen und im vorangegangenen Geschäftsjahr durchschnittlich bis zu 499 Mitarbeiter beschäftigt haben. Zudem dürfen diese Emittenten keine Wertpapiere zum Handel am regulierten Markt zugelassen haben.

  • Anwendungsbereich: Das EU-Wachstumsemissionsdokument kann für öffentliche Angebote von Wertpapieren genutzt werden. Sofern die vorstehenden Emittenten allerdings auch in den Anwendungsbereich des EU-Folgeprospekts fallen, kann auch diese Prospektform genutzt werden.

  • Format und Aufbau: Wie der geplante Standardprospekt und der EU-Folgeprospekt soll auch das EU-Wachstumsemissionsdokument einem standardisierten Format und Aufbau folgen. Der Umfang soll auf maximal 75 DIN-A4 Seiten mit den für den Standardprospekt geltenden Ausnahmen (siehe oben unter 2.) begrenzt sein. Die ebenfalls standardisierte Zusammenfassung des EU-Wachstumsemissionsdokuments soll maximal 5 DIN-A4 Seiten betragen.

  • Inhalte: Wie für den Standardprospekt und den EU-Folgeprospekt, sieht der Kommissionsvorschlag auch für das EU-Wachstumsemissionsdokument bereits bestimmte Mindestinformationen vor. Entsprechend zum EU-Folgeprospekt reicht auch hier die Aufnahme der historischen Finanzinformationen aus den letzten 12 Monaten vor Billigung aus. Anders als der derzeit geltende EU-Wachstumsprospekt hat das EU-Wachstumsemissionsdokument aber auch Informationen zum zukünftigen Wachstumspotential und den Wachstumserwartungen zu enthalten.

  • Billigungsverfahren und Haftung: Obwohl das EU-Wachstumsemissionsdokument dem Namen nach kein Prospekt sein soll, ist laut den vorgeschlagenen Mindestinhalten eine Prüfung und Billigung des Dokuments durch die zuständige Aufsichtsbehörde erforderlich. Inwiefern auf dieses Dokument prospektrechtliche Haftungsgrundsätze Anwendung finden können bzw. finden werden, bedarf jedoch noch einer Klarstellung durch den Gesetzgeber.

II. Einführung von Mehrstimmrechtsaktien bei Börsengang im KMU-Wachstumsmarkt

Nach Ansicht der Kommission wirkt die Angst, durch einen Börsengang die Kontrolle über ihr Unternehmen zu verlieren, auf viele Gründer abschreckend. Um insbesondere KMU einen Anreiz zu geben, bereits frühzeitig den Weg an die Börse zu beschreiten, soll kontrollierenden Aktionäre die Möglichkeit eingeräumt werden, ihren maßgeblichen Einfluss auch nach dem Börsengang behalten können. Für Unternehmen, die einen Börsengang an einem KMU-Wachstumsmarkt anstreben, sind dazu einheitliche Regeln für Mehrstimmrechtsaktien vorgesehen.

Die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien wäre für das deutsche Aktienrecht ein Paradigmenwechsel. Denn dieses folgt bisher dem Grundsatz „One share, one vote“, wonach jede Aktie das gleiche Stimmrecht gewährt. Mehrstimmrechte sind seit der Aktienrechtsreform im Jahr 1998 durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) generell unzulässig. Dies steht jedoch im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen in Europa, wie beispielsweise Luxemburg und die Niederlande, welche diese Flexibilität schon länger kennen.

Es bleibt zudem abzuwarten, ob sich die deutsche Umsetzung lediglich auf Unternehmen beschränkt, die einen Börsengang an einem KMU-Wachstumsmarkt anstreben, oder ob Mehrstimmrechtsaktien generell als aktienrechtliches Instrument wiederbelebt werden sollen. Die diesbezügliche Diskussion ist alles andere als abgeschlossen.

III. Fazit

  • Der Kommissionsentwurf beinhaltet eine Reihe sinnvoller Ansätze, um die bestehende Rechtslage zu vereinfachen. Insbesondere für KMU eröffnen sich damit Chancen, eine deutlich bessere und frühzeitigere Finanzierung über den Kapitalmarkt zu erzielen. Auch wenn die Umsetzung und der Erfolg der Regelungen noch nicht absehbar ist, sind die Bemühungen der Kommission zur besseren Ausbalancierung des Rechtsrahmens zu begrüßen.

  • Ob die identifizierten Kostenersparnisse und Erleichterungen allerdings ausreichen, um die europäischen Kapitalmärkte nachhaltig zu beleben, bleibt fraglich: Zum einen machten die Kosten für die Prospekterstellung und Billigung schon bisher bei weitem nicht den maßgeblichen Teil der Transaktionskosten aus. Zum anderen werden die zentralen Probleme der europäischen Kapitalmärkte, insbesondere ihre bestehende Zersplitterung, die fehlende Dynamik der europäischen Volkswirtschaften und die fehlende Binnennachfrage nach Kapitalmarktprodukten, nicht gelöst. Dennoch ist zu begrüßen, dass versucht wird, insbesondere das Prospektbilligungsverfahren zu straffen und zeitlich überschaubarer zu gestalten.

  • Der Wunsch, KMUs schon frühzeitig den Zugang zum Kapitalmarkt zu eröffnen, könnte ein wichtiger Impuls sein, um deutlich mehr Wagniskapital für europäische Wachstumsunternehmen bereitzustellen und das Umfeld für Gründer attraktiver zu machen. Andererseits ist absehbar, dass frühzeitige Investitionen in KMUs auch mit einer deutlich höheren Realisierung von Risiken einhergehen könnten, als es bisher bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften der Fall war. Enttäuschungen werden hier sicherlich nicht ausbleiben.