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Working Paper der Generaldirektion Wettbewerb zum Handelsvertreter mit Doppelprägung

10.03.2021

Am 31. Mai 2022 endet nach über zehnjähriger Laufzeit die Geltungsdauer der Vertikal GVO (Verordnung (EU) Nr. 330/2010).

Im Rahmen der Evaluierung sowie der öffentlichen Konsultation für eine etwaige Nachfolgeregelung ist unter anderem die kartellrechtliche Behandlung des „Handelsvertreters mit Doppelprägung“, also eines Handelsvertreters, der für den Unternehmer zugleich auch als Händler tätig ist, Gegenstand. Die derzeit bestehenden Unklarheiten bei der kartellrechtlichen Einordnung eines solchen Handelsvertreters hat nun die Generaldirektion Wettbewerb in einem Diskussionspapier aufgegriffen und eine erste Einschätzung abgegeben (Working Paper vom 5.2.2021).

Das Working Paper beschäftigt sich dabei vorrangig mit den umstrittenen Konstellationen, in denen die vom Handelsvertreter in seiner Doppelrolle vertriebenen Produkte zu demselben sachlich relevanten Markt gehören. Den Bereich Online-Plattformen klammert die Generaldirektion in ihrem Working Paper aus.

Der Handelsvertreter mit Doppelprägung

Klar ist, dass das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1. AEUV Anwendung findet, wenn der Händler parallel als Handelsvertreter des Prinzipals für dasselbe Produkt tätig ist. Dann ist er – rein kartellrechtlich betrachtet – kein (echter) Handelsvertreter (vgl. dazu nur EuGH, Urt. v. 16.12.1975, 40/73, Suiker Unie, Rz. 544/547). In diesen Fällen besteht das Risiko, dass der Prinzipal die Preis- und Konditionengestaltung des Vertriebspartners als Händler beim Verkauf des gleichen Produkts beeinflusst sowie nicht alle relevanten finanziellen und kommerziellen Risiken in Bezug auf das Handelsvertreterverhältnis trägt, mithin, dass der Prinzipal das Handelsvertreterverhältnis missbraucht, um die Anwendbarkeit des Kartellverbots zu umgehen. Ist Art. 101 Abs. 1 AEUV anwendbar, führt dies nämlich dazu, dass das sog. Handelsvertreterprivileg nicht gilt und beispielsweise Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen einer Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bedürfen. Darüber hinaus kann die Abgrenzung „echter“ und „unechter“ Handelsvertreter – je nach Standpunkt – auch für die umstrittene Frage der Zulässigkeit eines Provisionsweitergabeverbots von Bedeutung sein.

Demgegenüber ist auch klar, dass kein Anwendungsfall des Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegt, wenn sich die Tätigkeit als Handelsvertreter einerseits und die als Händler andererseits auf unterschiedlichen sachlich relevanten Märkten abspielt. In dieser Konstellation ist es wenig wahrscheinlich, dass die Tätigkeit des Händlers etwa im Hinblick auf seine Preispolitik durch das parallel bestehende Handelsvertreterverhältnis beeinflusst wird. Zudem lassen sich in diesem Fall die relevanten Risiken und Investitionen, die der Vertriebspartner einerseits als Handelsvertreter und andererseits als Händler trägt, klar abgrenzen. Dies wiederum ist essentiell, da die Kommission als notwendige Voraussetzung für das Vorliegen eines („echten“) Handelsvertreterverhältnisses ansieht, dass der Prinzipal alle von der Kommission als relevant erachteten Kosten und Risiken im Zusammenhang mit dem Agenturvertrag trägt (siehe dazu im Detail, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, Rn. 14 ff).

Unklar ist allerdings bislang, wie die Konstellationen kartellrechtlich zu bewerten sind, in denen das Produkt, das der Händler auf eigenes Risiko vertreibt, zu demselben sachlich relevanten Markt gehört wie das andere Produkt, das er als Handelsvertreter für den Prinzipal vertreibt. Nach den Leitlinien für vertikale Beschränkungen der Kommission darf der („echte“) Handelsvertreter „keine andere Tätigkeiten auf Verlangen des Auftraggebers auf demselben sachlich relevanten Markt wahrnehmen“.

Der EuGH spricht in seiner im Zusammenhang mit dem Handelsvertreter mit Doppelprägung häufig zitierten Entscheidung jedoch nicht von demselben sachlich relevanten Markt, sondern viel enger von „ein und dieselbe Ware“ (EuGH, Urt. v. 16.12.1975, 40/73, Suiker Unie, Rz. 544/547). In einer späteren Entscheidung des EuG, in der ausdrücklich auf Suiker Unie verwiesen wird, legt das EuG zwar offensichtlich das in Suiker Unie angesprochene Merkmal „ein und dieselbe Ware“, im Sinne von „relevanter Produkt- oder Dienstleistungsmarkt“ aus, allerdings erfolgt hier keine eingehendere Befassung oder Begründung (EuG, Urt. v. 11.12.2003, T-66/99, Minoan Lines, Rz. 128).

In der Literatur wird diese Konstellation daher uneinheitlich bewertet. Teilweise wird pauschal darauf abgestellt, dass keine Tätigkeit auf demselben Produktmarkt stattfinden darf (Langen/Bunte, Kartellrecht Kommentar, Europäisches Kartellrecht, 13. Auflage 2018, Art. 101 AEUV, Rn. 697), soll der Handelsvertreter im Hinblick auf seine Tätigkeit auf dem Produktmarkt aus dem Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen. Teilweise wird differenzierter ausgeführt, dass nur der Vertrieb ein und desselben Produktes im Hinblick darauf problematisch ist und die Leitlinien für vertikale Beschränkungen eine Tätigkeit auf demselben Produktmarkt nur dann ausschließen, wenn sie „auf Verlangen“ des Prinzipals stattfindet (Stauber, NZKart 2015, 423).

Was ist neu?

Das Working Paper zeigt nun, dass es die Generaldirektion Wettbewerb auch in dieser letztgenannten Konstellation für möglich ansieht, dass der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht eröffnet ist und mithin ein „echtes“ Handelsvertreterverhältnis vorliegt. Die Generaldirektion Wettbewerb knüpft hieran aber folgende Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen:

  1. Bei den Produkten, die über den Vertriebspartner einerseits als Handelsvertreter und andererseits als Händler vertrieben werden, muss es sich um „klar unterscheidbare“ Produkte handeln. Je weniger austauschbar die Produkte seien, desto geringer sei die Gefahr, dass der Prinzipal mit seiner Preispolitik den Händler beeinflussen kann. Darüber hinaus seien in diesen Konstellationen auch die Risiken und Investitionen klar abgrenzbar (siehe Working Paper, Rn. 7 und 9).

  2. Die Tätigkeit des Handelsvertreters darf nicht mit seiner Tätigkeit als Händler verknüpft sein. Der Prinzipal darf also beispielsweise nicht den Bestand des Händlervertrags von dem Abschluss eines Handelsvertretervertrags de jure oder de facto abhängig machen (oder andersherum).

  3. Zudem muss der Prinzipal alle relevanten Risiken im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Handelsvertreter tragen.

Was den zuletzt genannten Punkt anbelangt bringt die GD Wettbewerb in diesem Zusammenhang den folgenden (neuen) Gedanken ins Spiel: Wird ein Vertriebspartner, der bisher als Händler auf eigenes Risiko für den Prinzipal tätig war, später auf demselben Produktmarkt, aber für ein anderes Produkt auch als Handelsvertreter für den Prinzipal tätig, soll der Prinzipal dem Vertriebspartner anteilig die marktspezifischen Investitionen ersetzen, die der Vertriebspartner bereits vormals als Händler erbracht hat und die nun auch für seine Tätigkeit als Handelsvertreter von Relevanz sind. Der Vertriebspartner sei so zu stellen, als wäre er bislang überhaupt nicht für den Prinzipal tätig gewesen (Working Paper, Rn. 20 ff).

Es fragt sich indes, ob dieser Ansatz tatsächlich von großer praktischer Relevanz ist. Bei marktspezifischen Investitionen handelt es sich nämlich um Investitionen „die für die Art der vom Vertreter auszuführenden Tätigkeit erforderlich sind und die dieser benötigt, um die betreffenden Verträge schließen und/oder aushandeln zu können. Solche Investitionen stellen normalerweise versunkene Kosten dar, weil sie nach Aufgabe des betreffenden Geschäftsfelds nicht für andere Geschäfte genutzt oder mit erheblichem Verlust veräußert werden können.“ Dementsprechend sind diese Investitionen regelmäßig exakt auf das betreffende Produkt bzw. die betreffende Marke zugeschnitten (etwa produktspezifische Schulungen, markenspezifische Einrichtung des Verkaufsraums, etc.). Ergo werden diese Investitionen in vielen Fällen keine Relevanz für die Tätigkeit des Vertriebspartners als Handelsvertreter für das andere Produkt haben.

Welche Auswirkungen hat das Working Paper?

Bei dem Working Paper handelt es sich ausdrücklich nur um eine vorläufige Auffassung der Generaldirektion Wettbewerb, die nach Angaben der Generaldirektion Wettbewerb auf informellen Gesprächen mit Interessenvertretern basiert.

Das Working Paper ist naturgemäß nicht verbindlich und soll auch ganz ausdrücklich nicht die Überprüfung bzw. die Ergebnisse im Hinblick auf einer Novellierung der Vertikal GVO vorwegnehmen (siehe dazu auch Review of the Vertical Block Exemption Regulation), sondern wohl eher als Grundlage für weitere Diskussionen zu diesem Thema im Zusammenhang mit der Novellierung der Vertikal-GVO dienen.

Inwieweit die Ansicht der Generaldirektion dann Einzug in die Vertikal-GVO und/oder in neue Leitlinien für vertikale Beschränkungen finden wird, bleibt abzuwarten.

 

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