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Ausländische Rechtshilfeersuchen um Beweismittel: Hat Deutschland eine bessere Lösung gefunden oder die Büchse der Pandora geöffnet?

02.05.2023

Die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) hat das Ausführungsgesetz zum Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen geändert. Die Änderung ist am 1. Juli 2022 in Kraft getreten und erlaubt nun die Rechtshilfe für ausländische Parteien, die eine vorprozessuale Offenlegung von Dokumenten anstreben. Dieser Schritt stellt eine völlige Abkehr von der bisherigen Haltung dar, keine Rechtshilfe zu gewähren, und hat Auswirkungen auf grenzüberschreitende Fragen der Offenlegung von Beweisen zwischen Deutschland, Großbritannien und den USA.

Die Situation vor der Gesetzesänderung

Bislang stellte es für Parteien außerhalb der Europäischen Union (EU) eine große Herausforderung dar, deutsche Gerichte um Unterstützung bei der Beschaffung von in Deutschland befindlichen Beweismitteln zu ersuchen. Solche Ersuchen werden durch das Haager Übereinkommen vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (Haager Beweisübereinkommen, HBÜ) geregelt, das 64 Länder unterzeichnet haben. Dazu gehören auch Deutschland, das Vereinigte Königreich und die USA. Ziel des Übereinkommens ist es, die gegenseitige justizielle Zusammenarbeit, insbesondere zwischen Civil Law- und Common Law-Staaten, zu verbessern und die Übermittlung und Vollstreckung von Rechtshilfeersuchen zu erleichtern.

Nach Artikel 23 des Haager Beweisübereinkommens „können die Vertragsstaaten erklären, dass sie keine Rechtshilfeersuchen zum Zwecke der vorprozessualen Offenlegung von Schriftstücken, wie sie in Common-Law-Ländern üblich ist, ausführen werden“. Die vorprozessuale Offenlegung von Dokumenten ermöglicht es den Anwälten der Parteien in Common-Law-Ländern, Beweismittel in Form von E-Mails, Briefen, Rechnungen, Sitzungsprotokollen etc.von den gegnerischen Parteien eines Rechtsstreits anzufordern und zu erhalten. Die Befürchtung vieler Civil Law-Ländern ist, dass diese Art der Offenlegung schnell erdrückend werden könnte und als illegale Ausforschung („fishing expedition“) genutzt wird oder die andere Seite mit so vielen Beweisen überschwemmt, dass sie weder das Personal noch die Zeit hat, sie alle zu überprüfen.

Während viele andere Länder Grundregeln dafür aufgestellt haben, wie und welche Beweismittel beantragt werden können, nutzte Deutschland Artikel 23, um einen allgemeinen Vorbehalt mit Ausnahmen für Anträge zu erklären, die nicht mit „grundlegenden Prinzipien des deutschen Verfahrensrechts“ oder „schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen“ kollidieren. Das Ergebnis war im Wesentlichen eine pauschale Ablehnung aller Ersuchen ausländischer Parteien um vorprozessuale Offenlegung. Dies führte häufig dazu, dass ausländische Gerichte extraterritorial vorgingen und ihre eigenen zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften für den Erlass von Offenlegungsanordnungen nutzten.

Die Gesetzesänderung

Der geänderte § 14 des Durchführungsgesetzes gestattet nun Rechtshilfeersuchen für die vorgerichtliche Offenlegung von Dokumenten, sofern:

  1. in dem Ersuchen die vorzulegenden Dokumente detailliert aufgeführt werden (dadurch werden vage Ersuchen vermieden, die zu aufwändig und teuer sein können)
  2. die Dokumente einen eindeutigen Bezug zum Verfahren haben und für dieses wichtig sind,
  3. die Unterlagen sich im Besitz eines Verfahrensbeteiligten befinden,
  4. der Antrag auf Herausgabe von Unterlagen nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt und
  5. soweit es um personenbezogene Daten geht, gilt die DSGVO.

Die Max-Planck-Institute in Luxemburg und Hamburg haben vorgeschlagen, die Einschränkung des geänderten § 14 in Bezug auf Dokumente zu streichen, die sich ausschließlich im Besitz von Verfahrensbeteiligten befinden, da kein anderer Staat einen vergleichbaren Vorbehalt erklärt habe und dies dem Ziel des Gesetzentwurfs widerspreche. Die Institute wiesen darauf hin, dass die deutsche Zivilprozessordnung (ZPO) in § 142 Abs. 1 die Vorlage von Schriftstücken durch Dritte unter Bedingungen anerkennt, die dem Schutz des Dritten dienen. Darüber hinaus wiesen die Institute darauf hin, dass eine Ausnahme für Ersuchen aus Gründen der öffentlichen Ordnung (ordre public) zum Schutz der Privatsphäre nicht erforderlich ist und auch für die Ziele des Haager Beweisübereinkommens kontraproduktiv wäre.

Die Zukunft ausländischer Ersuchen um vorprozessuale Offenlegung

Wie in der endgültigen Fassung der Gesetzesänderung zu erkennen ist, blieben die Einschränkungen in Bezug auf Dritte und die öffentliche Ordnung bestehen. Unabhängig davon bietet die Änderung deutschen Parteien mehr Orientierungshilfe, wenn ein Gericht des Common Law sie anweist, bestimmten Offenlegungsaufforderungen nachzukommen. Zuvor riskierten deutsche Parteien harte Sanktionen von ausländischen Gerichten bei Nichteinhaltung und gleichzeitig kostspielige Strafen in Deutschland bei Einhaltung der Vorschriften (z.B. bei Verstößen gegen Datenschutzbestimmungen). Es könnte auch Common-Law-Länder dazu ermutigen, das Haager Beweisübereinkommen anzuwenden, anstatt zu versuchen, ihre eigenen Zivilprozessgesetze durchzusetzen, wodurch langwierige und kostspielige Streitigkeiten vermieden werden. Schließlich sind die Common-Law-Länder für ihre umfangreichen und weitreichenden Offenlegungsanforderungen bekannt. Die Zusammenarbeit im Rahmen des Haager Beweisübereinkommens könnte dies durch die deutschen Beschränkungen in Bezug auf vage Anträge und Relevanz eindämmen.