News

Whistleblower-Richtline: „Konzernprivileg“ – Zentrale Hinweisgeber-Systeme im Lichte der WB-RL

03.12.2021
Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren trotz fehlender gesetzlicher Verpflichtung ihre interne Meldestruktur für Hinweisgeber verbessert. Dies gilt vor allem für große, grenzüberschreitend tätige Konzernunternehmen, deren Mitarbeiter in aller Regel Meldungen an zentrale Hinweisgeber-Systeme bei der Muttergesellschaft vornehmen können.

Durch die Umsetzung der WB-RL in deutsches Recht müssen zukünftig die meisten deutschen Unternehmen eigene interne Hinweisgeber-Systeme installieren (vgl. hierzu eingehend Teil 2 dieser Beitragsreihe). Der Rückgriff auf das zentrale Hinweisgeber-System einer etwaigen Muttergesellschaft scheidet aus. Die WB-RL enthält hierzu neben verfahrensrechtlichen Vorgaben auch Vorschriften zur organisatorisch-strukturellen Integration der Meldekanäle im Unternehmen. Diese sollen zum einen mittelständischen Unternehmen die Etablierung der Hinweisgeber-Systeme erleichtern und zum anderen (auch weiterhin) die Einbindung (unabhängiger) externer Dritter in interne Meldestrukturen ermöglichen. Art. 8 Abs. 5 und 6 WB-RL regeln hierzu Folgendes:

„(5) Meldekanäle können intern von einer hierfür benannten Person oder Abteilung betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden. Die in Artikel 9 Absatz 1 genannten Garantien und Anforderungen gelten auch für Dritte, die damit beauftragt sind, den Meldekanal für eine juristische Person des privaten Sektors zu betreiben.

(6) Juristische Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Arbeitnehmern können für die Entgegennahme von Meldungen und für möglicherweise durchzuführende Untersuchungen Ressourcen teilen. Dies gilt unbeschadet der diesen juristischen Personen durch diese Richtlinie auferlegten Verpflichtung, Vertraulichkeit zu wahren, Rückmeldung zu geben und gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen.[Hervorhebung durch Verf.]

A. Stellungnahmen der Europäischen Kommission (Juni/Juli 2021)

Viele Konzernunternehmen stehen angesichts dieser Vorgaben der WB-RL vor der praktischen Herausforderung, ob ihre gegenwärtig konzernweit implementierten Hinweisgeber-Systeme diesen Vorgaben entsprechen. Die Europäische Kommission (nachfolgend: „Kommission“) hat sich im Juni und Juli 2021 zu dieser Frage gleich mehrfach geäußert und ihre Sicht der Auslegung dieser Richtlinienvorgaben erörtert (vgl. hierzu die Stellungnahmen der Kommission v. 02.06., 29.06. und 16.07.2021).

Im Ergebnis ergibt sich aus den Stellungnahmen der Kommission Folgendes:

  1. Unternehmen können die Entgegennahme von Meldungen auf externe Dritte auslagern; die Konzernmutter oder eine andere Konzerngesellschaft sind jedoch keine „Dritte“.
  2. Unternehmen mit max. 249 Arbeitnehmer (sog. „medium-sized“-Unternehmen) dürften sich Ressourcen zur Erfüllung der Einrichtungspflicht teilen; für Unternehmen mit 250 oder mehr Arbeitnehmern gilt dies nicht.
  3. Ein konzernweites zentrales Hinweisgeber-System bei der Muttergesellschaft stellt keine Ressourcenteilung im Sinne der WB-RL dar, so dass „medium-sized“-Unternehmen trotzdem noch ein eigenes („zusätzliches“) Hinweisgeber-System vorhalten müssen.
  4. Konzernweite Hinweisgeber-Systeme bei der Muttergesellschaft können grundsätzlich als Ergänzung zu den dezentralen Hinweisgeber-Systemen auf Ebene der Tochtergesellschaften geführt werden, d. h. die WB-RL steht einer zweigliedrigen Meldestruktur nicht entgegen. Die freie Wahl des Hinweisgebers zwischen der Meldung an ein zentrales oder dezentrales Hinweisgeber-System darf hierdurch jedoch nicht beeinträchtigt werden.

Die Kommission hat in ihren Stellungnahmen klargestellt, dass jedes Unternehmen mit mehr als 49 Arbeitnehmern unabhängig vom Bestehen konzernweiter Meldekanäle grundsätzlich zur Einrichtung eines Hinweisgeber-Systems verpflichtet ist. Art. 8 Abs. 5 und 6 WB-RL sehen insoweit lediglich gewisse Erleichterungen/Flexibilisierungen vor:

1. Auslagerung auf „Dritte“ (Art. 8 Abs. 5 WB-RL)

Eine Beauftragung externer Dritter zur Erfüllung der Einrichtungspflicht ist laut Kommission zwar unabhängig von der Arbeitnehmeranzahl (das heißt auch für Unternehmen mit mehr als 249 Arbeitnehmern) möglich. Die Pflichten aus der WB-RL können allerdings nur im Hinblick auf die vertrauliche Entgegennahme von Meldungen sowie die Eingangsbestätigung (Art. 9 Abs. 1 lit. a) und b) WB-RL) auf Dritte ausgelagert werden. Notwendige Folgemaßnahmen (z. B. interne Untersuchungen) sowie die weitere Kommunikation mit dem Hinweisgeber (etwa die Rückmeldung über ergriffene Folgemaßnahmen gem. Art. 9 Abs. 1 lit. f) WB-RL) obliegen demnach weiterhin dem Unternehmen selbst. Letztlich ermöglicht Art. 8 Abs. 5 WB-RL damit keine vollständige Auslagerung interner Meldestrukturen auf externe Personen/Stellen, sondern allein eine Aufgabenteilung zwischen dem Unternehmen und Dritten.

Praxishinweis:

Die Muttergesellschaft sowie andere Konzerngesellschaften sind laut Kommission keine externen „Dritten“. Letztere müssten vielmehr außerhalb des Konzerns stehen, wie etwa kommerzielle Anbieter von Hinweisgeber-Systemen, Ombudsmänner oder Gewerkschaftsvertreter.

2. Ressourcenteilung (Art. 8 Abs. 6 WB-RL)

Nach Auffassung der Kommission können nur Unternehmen mit weniger als 250 Arbeitnehmern zur Erfüllung der Pflichten aus der WB-RL ihre Ressourcen für die Entgegennahme von Meldungen sowie ihrer anschließenden Untersuchungen teilen. Dies gilt unabhängig von einer etwaigen Konzernzugehörigkeit der Unternehmen. Mittelgroße Unternehmen können ihre Einrichtungspflicht damit etwa durch die Etablierung eines unternehmensübergreifenden gemeinsamen Hinweisgeber-Systems erfüllen.

Im Hinblick auf zentrale Hinweisgeber-Systeme bei der Muttergesellschaft führt die Kommission aus, dass konzernangehörige Unternehmen zur Untersuchung interner Missstände unter den folgenden Voraussetzungen hiervon profitieren können:

  1. Tochtergesellschaft hat max. 249 Arbeitnehmer;
  2. auf Ebene der Tochtergesellschaft stehen weiterhin Meldekanäle zur Verfügung;
  3. Hinweisgeber erhalten klare Informationen über den Zugriff auf die Meldung durch bestimmte Personen/Abteilungen der Muttergesellschaft (für notwendige Untersuchungen) und können dies ablehnen und eine Untersuchung bei der Tochtergesellschaft verlangen;
  4. sonstige Folgemaßnahmen sowie die Rückmeldung an Hinweisgeber erfolgen auf Ebene der Tochtergesellschaft.

Unabhängig davon können konzernweite Hinweisgeber-Systeme aber stets als (zusätzliche) Alternative bestehen, für deren Nutzung sich der Hinweisgeber freiwillig entscheiden kann.

B. Folgen für die Praxis

Diese enge Auslegung der Richtlinienvorgaben durch die Kommission hinsichtlich konzernweiter Hinweisgeber-Systeme steht im evidenten Widerspruch zur gängigen Praxis vieler Unternehmen/Konzerne. Sie führt im Ergebnis zu keiner tatsächlichen „Erleichterung“ für „medium-sized“-Unternehmen. Diese müssen vielmehr unabhängig vom Bestehen zentraler Hinweisgeber-Systeme bei der Muttergesellschaft stets ein eigenes Meldesystem vorhalten. Die WB-RL enthält demnach kein „Konzernprivileg“.

Zwar ist die enge Auslegung der Kommission nicht rechtsverbindlich, ihr kommt aber rein rechtspraktisch ein hoher Stellenwert zu. Die Kommission zeichnet sich als gesetzgeberisches Initiativ- und Koordinierungsorgan durch eine besondere fachliche Kompetenz aus. Die Mitgliedstaaten berücksichtigen ihre Rechtsauffassung daher regelmäßig bei der Anwendung unionsrechtlicher Vorgaben, wodurch ihr eine erhebliche Steuerungsfunktion bei der Auslegung von Richtlinienvorgaben zukommt.

Es ist deshalb damit zu rechnen, dass sich auch der deutsche Gesetzgeber an der Auslegung der Kommission orientieren bzw. dieser zumindest nicht entgegentreten wird. Solange der Europäische Gerichtshof sich nicht abschließend zur Frage eines „Konzernprivilegs“ durch die WB-RL geäußert hat, sollten sich Unternehmen daher vorsorglich darauf einstellen, dass ein zentrales Hinweisgeber-System bei der Muttergesellschaft zur Erfüllung der Richtlinienvorgaben unabhängig von der Mitarbeiteranzahl nicht ausreichen wird.

Arbeitsrecht

Share