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Arbeitsrechtliche Aspekte eines Neustarts nach dem Lockdown - Teil 1

04.05.2020

Seit der letzten Woche läuft das öffentliche Leben in Deutschland langsam wieder an. Vor allem viele Geschäfte dürfen wieder öffnen. Eine Rückkehr zum „business as usual“ kommt aber zunächst nicht in Betracht. Unternehmen müssen beim „Hochfahren“ ihrer Betriebe unterschiedliche Aspekte und komplexe Vorgaben aus unterschiedlichen Richtungen und mit differierender Zwecksetzung im Blick behalten. Das sind natürlich zunächst Arbeitsschutzvorgaben. Hier greift der einheitliche Arbeitsschutzstand Covid-19 ein, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 16.04.2020 vorgestellt hat. Er erübrigt nicht die notwendige Gefährdungsbeurteilung nach dem ArbSchG, zeigt aber Schutzmaßnahmen auf, die in jedem Fall geprüft werden sollten. Länderspezifische Infektionsschutzvorschriften, Beschäftigungsverbote und Quarantänevorschriften müssen ebenfalls beachtet werden. Ziel ist - wie in Teil 2 dieses Beitrags gezeigt wird - auch eine Vermeidung der Haftung für Ansteckungen im Betrieb. Darüber hinaus muss vor allem die Gestaltung von Arbeitszeit- und Vergütungsregeln geprüft und ggf. angepasst werden. Erhaltene und weiterhin benötigte staatliche Förderungen dürfen dabei nicht gefährdet werden.

Einheitlicher Arbeitsschutzstand Covid-19 - die wichtigsten Eckpunkte

Die Verantwortung für die Umsetzung notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen im Betrieb trägt der Arbeitgeber. Ausgangspunkt ist das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Notwendig bleibt ein hoher Arbeitsschutzstandard, der dynamisch an den Pandemieverlauf angepasst wird. Betriebliche Regelungen zum Gesundheitsschutz und zur Arbeitsorganisation müssen für entsprechende Flexibilität vorsorglich Regeln vorsehen. Bestehende Regelungen müssen im Rahmen einer vorausschauenden Gesundheitsvorsorge dahingehend angepasst werden. Sie müssen vor allem folgenden Punkten Rechnung tragen:

  • Sicherheitsabstand und Reduktion der im Betrieb anwesenden Arbeitnehmer

    Unter arbeitsschutzrechtlichen Gesichtspunkten ist zunächst weiterhin Ziel eine Reduktion der im Betrieb befindlichen Personen - unter Aufrechterhaltung der Betriebstätigkeit. Der wichtige Sicherheitsabstand von 1,5 m kann in vielen Betrieben aber nur bei einer entsprechenden Reduktion der gleichzeitig Anwesenden eingehalten werden.

    Konsequenz daraus ist zunächst einmal, dass Tätigkeiten, die im Home Office erledigt werden können, auch bis auf weiteres dort erledigt werden sollten. Dies gilt unabhängig von den Plänen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), ein gesetzliches Recht auf einen Home Office Arbeitsplatz zu schaffen. Denkbar ist bei dem Hochfahren der Betriebe, nach Personengruppen zu differenzieren: Längerfristig könnte eine Home Office-Tätigkeit für die durch das Robert Koch-Institut als besonders gefährdeten Personengruppe eingestuften Arbeitnehmer oder solche, die mit einer entsprechend eingestuften Person in einem Haushalt leben, vorgesehen werden. Darüber hinaus kann dies einen Beitrag leisten, Beschäftigten zu ermöglichen, ihren Betreuungspflichten (z.B. Kinder oder pflegebedürftige Angehörige) nachzukommen.

    Ist eine Home Office-Tätigkeit nicht möglich, sind laut dem einheitlichen Arbeitsschutzstandard für Büroarbeitsplätze die freien Raumkapazitäten so zu nutzen und die Arbeit so zu organisieren, dass Mehrfachbelegungen von Räumen vermieden werden können bzw. ausreichende Schutzabstände gegeben sind.

    Gleiches gilt für Betriebe, in denen eine Home Office-Tätigkeit oder die Vermeidung von Mehrfachbelegungen arbeitsorganisatorisch nicht möglich ist, z.B. für Produktionsbetriebe. Dort müssen dementsprechend andere Maßnahmen eingeführt werden.

    Beim Aufeinandertreffen von Arbeitnehmern in Sozialräumen, wie Kantinen und Pausenräumen ist darauf zu achten, dass ausreichender Sicherheitsabstand gewährleistet und das Entstehen einer Warteschlange vermieden wird. Es wird in diesen Bereichen empfohlen, Tische und Stühle nicht zu nah beieinander stehen zu lassen und bspw. die Zeiten der Essensausgabe ausgeweitet werden. Entstandene Warteschlangen können durch Markierungen am Boden entzerrt und so der Sicherheitsabstand gewährleistet werden. Das Entstehen von Warteschlangen ist auch im Bereich von Stempeluhren zu vermeiden.
  • Schutzausrüstung und Hygienestandards

    Insbesondere dann, wenn Mehrfachbelegungen oder Kontakte nicht vermeidbar sind, muss geprüft werden, welche Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt und wie hohe Hygienestandards sichergestellt werden können.

    Empfohlen werden Maßnahmen, wie sie im Lebensmitteleinzelhandel bereits nahezu flächendeckend umgesetzt wurden: „Transparente Abtrennungen sind bei Publikumsverkehr und möglichst auch zur Abtrennung der Arbeitsplätze mit ansonsten nicht gegebenem Schutzabstand zu installieren.“

    In all diesen Fällen sollten im Zweifel zusätzlich Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden. Im Einzelhandel, ÖPNV usw. ist dies - mit geringen Abweichungen im Detail - ohnehin schon nahezu flächendeckend verpflichtend. Dass sich Personen mit Atemwegssymptomen oder Fieber generell nicht auf dem Betriebsgelände befinden sollten, ist eine Selbstverständlichkeit. Wichtig ist aber, soweit noch nicht geschehen, ein Verfahren zur Abklärung von Verdachtsfällen festzulegen. Beachtet werden müssen dabei Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.

    Neben der Einführung von Schutzausrüstung ist auch ihre sorgfältige Aufbewahrung und Reinigung sicherzustellen. Die bereitgestellte Schutzausrüstung und sonstige Arbeitskleidung sollte - soweit möglich - ausschließlich personenbezogen genutzt und aufbewahrt werden. Gleiches gilt nach Möglichkeit auch für die Nutzung von Werkzeugen und Arbeitsmitteln.

    Dort, wo eine Personalisierung von Arbeitsmitteln und Werkzeugen aus Praktikabilitäts- bzw. Kostengründen nicht möglich ist, sind andere Schutzmaßnahmen einzuführen. Soweit der Arbeitsschutz dem nicht seinerseits im Wege steht, können Schutzhandschuhe ein probates Mittel sein, um die Infektionsgefahr am Arbeitsplatz einzudämmen. Sollte auch das Tragen von Handschuhen bei der Verrichtung der Tätigkeit aus Sicherheitsgründen nicht zulässig sein (bspw. bei rotierenden Teilen oder Sägen), können die Reinigungsintervalle der Arbeitsmittel und Werkzeuge erhöht und ausreichend Desinfektionsmittel am Arbeitsplatz bereitgestellt werden. 

    In geschlossenen Räumen können regelmäßige Lüftungsintervalle für eine bessere Luftqualität sorgen. Durch den regelmäßigen Luftaustausch wird die Anzahl der in der Luft vorhandenen infektiösen Tröpfchen reduziert. 

    Auch die im Unternehmen vorgesehenen Reinigungsintervalle sollten in stark frequentierten Bereichen erhöht werden. Dies gilt insbesondere für Gegenstände, die im Alltag häufiger genutzt werden, wie z.B. Türklinken und Sanitäreinrichtungen. 

  • Arbeitsorganisation

    Soweit möglich, sollte die Arbeit so organisiert werden, dass Kontakte vermieden und unvermeidbare Kontakte mit einer geringen Ansteckungsgefahr verbunden sind.

    Besprechungen und Dienstreisen sollten dementsprechend grundsätzlich verschoben oder alternativ im Wege von Telefon- bzw. Videokonferenzen veranstaltet werden. Nach dem neuen § 129 BetrVG ist letzteres zurzeit unstreitig auch in der Betriebsratsarbeit möglich. In Bereichen, in denen ein physisches Aufeinandertreffen mit Arbeitskollegen oder betriebsfremden Personen, wie z.B. Kunden und Lieferanten, nicht zu vermeiden ist, bedarf es zusätzlicher Maßnahmen.

    Bei unvermeidbaren Kontakten zwischen Arbeitnehmern wird zur Reduzierung der Anzahl wechselnder Begegnungen empfohlen, feste kleinere Arbeitsgruppen zu bilden. Ein Kontakt zwischen Kollegen außerhalb der Arbeitsgruppen sollte vermieden werden. Auch die gebildeten Arbeitsgruppen haben die zuvor genannten Maßnahmen zur Erreichung eines einheitlichen Arbeitsschutzstandards einzuhalten. Nach Möglichkeit sind die Arbeitsgruppen zeitlich so lange aufrecht zu erhalten, bis das Virus durch Impfstoffe oder Medikamente wirksam bekämpft werden kann. Darüber hinaus sind sie durch Unterweisung zur Einhaltung penibler Hygieneregeln zu sensibilisieren. In Arbeitsplatznähe sollte - soweit möglich und zumutbar - stets eine ausreichende Menge an Hygieneartikeln, wie Desinfektionsmittel und Papierhandtücher, vorgehalten werden.

    Soweit es zu unvermeidbaren Kontakten mit betriebsfremden Personen kommt, sollten solche Kontakte grundsätzlich dokumentiert werden. Als Inhaber des Hausrechts können Betriebsinhaber Verhaltensregeln, wie das Tragen von Schutzmasken etc., auch Betriebsfremden auferlegen.

    Das Einhalten von Verhaltensregeln ist durch Unterweisung der Mitarbeiter sicherzustellen. Um einen einheitlichen Arbeitsschutzstandard im Unternehmen zu schaffen, wird die einheitliche Unterweisung durch den Vorgesetzten oder speziell ernannter Ansprechpartner empfohlen. Auch betriebsfremde Personen sind über die geltenden Schutzmaßnahmen zu informieren.

    Im Zusammenhang mit verbindlichen Verhaltensregeln sind mögliche Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu wahren.

Länderspezifische Infektionsschutzvorschriften

Losgelöst von den mit der notwendigen Gefährdungsbeurteilung verbundenen Vorgaben müssen die länderspezifischen Infektionsschutzvorschriften gewahrt werden, die den Betrieb für bestimmte Gewerbezweige gestatten oder verbieten bzw. dessen konkrete Anforderungen festlegen. Betroffen sind hiervon insbesondere der Handel, Gesundheits-, Pflege- und Betreuungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Hotels, Restaurants und Gaststätten. Häufig vorgesehen sind dabei folgende Maßnahmen:

  • Mund-Nasen-Bedeckung für Mitarbeiter und Publikum
  • Reinigungs- und Hygienemaßnahmen
  • Abstände
  • Obergrenzen für die Besucher- bzw. Kundenzahlen
  • Zugangssteuerung von Publikumsverkehr zur Vermeidung von Warteschlangen

Über länderspezifische Vorgaben hinaus, sind zusätzliche lokale Vorschriften in Städten und Gemeinden einzuhalten. Der Betrieb unterliegt dementsprechend einem ggf. komplexen Regelungsgeflecht.

Beschäftigungsverbote und Quarantänevorschriften
 

Bereits bei der Arbeitsplanung sind darüber hinaus Vorgaben zu beachten, die den Arbeitseinsatz selbst regeln. Dies gilt nicht nur für Infizierte, Erkrankte und deren Kontaktpersonen, sondern z.B. auch für Reiserückkehrer aus dem Ausland. Reiserückkehrer sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direkten Weg nach Hause oder in einer an andere geeignete Unterkunft zu begeben und dürfen ihren Aufenthaltsort für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise nicht verlassen. Sie dürfen daher auch nicht im Betrieb arbeiten. Sonderbestimmungen gelten für Pendler sowie Geschäftsreisende und Servicetechniker, die für wenige Tage beruflich aus dem Ausland ein- oder in das Ausland ausreisen müssen, Personen im Personen- und Güterverkehr sowie Saisonarbeitskräfte.

Fazit

Das Hochfahren der Betriebe ohne Beendigung der Pandemie bringt für Unternehmen und Belegschaft komplexe Herausforderungen mit sich. Neben wichtigen arbeitsschutzrechtlichen Maßnahmen in Übereinstimmung mit dem einheitlichen Arbeitsschutzstand Covid-19 müssen nach Branche differierende Infektionsschutzvorgaben der Länder, Städte und Gemeinden sowie Quarantäneregelungen und Reisevorgaben mit unternehmerischen Bedürfnissen in Einklang gebracht werden. Hinzukommen weitere Aspekte, die in Teil 2 dieses Beitrags beleuchtet werden. Wichtig ist deshalb beim Hochfahren des Betriebs ein strukturiertes Maßnahmenpaket zu entwickeln, das genügend flexible Bausteine enthält, um auf neue Entwicklungen kurzfristig reagieren zu können.

Arbeitsrecht
Corona Task Force

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