Noerr Competition Day – Wettbewerb und Marktmacht im digitalen Zeitalter

28.03.2017

Sollte das Kartellrecht digitale Märkte stärker regulieren? Kartellrechtsexperten warnen davor:  „Dynamische und innovationsgetriebene Märkte könnten dann an Schwung verlieren, der oft gewünschte digitale Wandel ins Stocken geraten“, sagte Dr. Alexander Birnstiel, Leiter der Praxisgruppe Antitrust & Competition der Wirtschaftskanzlei Noerr. Ob das Kartellrecht auf die Herausforderungen digitaler Märkte vorbereitet ist und wie sich Marktmacht im digitalen Zeitalter bestimmen lässt, diskutierten Kartellrechtsexperten auf dem  „Noerr Competition Day 2017“.

„Die Digitalisierung verändert die Märkte in vielen Bereichen der Wirtschaft fundamental, bringt neue Geschäftsmodelle hervor und stellt alte in Frage“, sagte Alexander Birnstiel. Die Herausforderungen sind eng verknüpft mit den genannten Netzwerkeffekten im Bereich von Internetplattformen: Je mehr Nutzer, desto attraktiver ist eine Plattform. „Diese Sogwirkung der großen Plattformen führt zwangsläufig zu Marktmacht“, betonte Birnstiel. „Von großer kartellrechtlicher Bedeutung ist zudem Big Data“, ergänzte Helge Heinrich, Kartellrechtspartner am Noerr-Standort in Brüssel. „Denn im Internet wird zunehmend mit Daten und nicht mit Geld bezahlt.“

Der Gesetzgeber hat in der 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) mit einem Digitalupdate auf diese neuen Herausforderungen reagiert. So soll auch dann ein kartellrechtlich relevanter Markt vorliegen, wenn zwischen den unmittelbaren Beteiligten kein Geld, sondern Daten fließen. Außerdem sollen Übernahmen von Digitalunternehmen ab einer Schwelle von 400 Millionen Euro vorab geprüft werden, wenn das zu erwerbende Unternehmen kaum oder nur geringe Umsätze erzielt.

„Die Überprüfung von geplanten Übernahmen in einem Fusionskontrollverfahren ist ein pragmatischer Ansatz“, ordnete Helge Heinrich die geplante Rechtsänderung ein. „Nachträgliche Marktmissbrauchsverfahren sind überaus komplex und werden zudem wegen der langen Verfahrensdauern den Besonderheiten sich rasch wandelnder digitaler Märkte und Geschäftsmodell oft nicht gerecht.“

Gleichzeitig warnten die Kartellrechtsexperten vor zu starken regulatorischen Eingriffen, da Märkte dann schnell an Dynamik verlieren würden. Auch sei die Konzentration in Plattformmärkten aus ökonomischer Sicht nicht in jedem Fall schädlich. Alexander Birnstiel: „So wirken etwa für Nutzer niedrige Transaktionskosten wettbewerbs- und wohlstandsfördernd – wichtig ist lediglich, dass die Märkte offengehalten werden und die Nutzer zwischen verschiedenen Plattformen wechseln können.“ Eingriffe des Gesetzgebers sollten sich darauf beschränken, diese Bedingungen zu gewährleisten.

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Kartellrecht hat Noerr in einem Rechtsgutachten ausführlich untersucht. Die Kanzlei hat das rechtsbereichsübergreifende Gutachten „Industrie 4.0 – Rechtliche Herausforderungen der Digitalisierung“ im vergangenen Jahr für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erstellt.

Auf dem diesjährigen Noerr Competition Day diskutierten mehr als 100 Experten über aktuelle Entwicklungen im Kartellrecht und über die Herausforderungen der Digitalisierung. An der Veranstaltung nahmen namhafte Behörden- und Unternehmensvertreter teil, darunter Fabian Kaiser (EU-Kommission), Sandro Gleave (Bundeskartellamt), Jörn Eickhoff (Siemens AG), Dr. Jörg Rheinländer (HUK-COBURG), Henning Lutz (E.ON SE) und Dr. Achim Gronemeyer (Schaeffler AG).