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General­anwalt zu im­plantier­baren Medizin­produkten: Produkt­fehler wegen erhöhtem Ausfall­risiko!

22.10.2014

 

Am 21. Oktober hat der französische Gene­ral­an­walt beim Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) Yves Bot zur Frage der Fehlerhaftigkeit implantierbarer Medizinprodukte aufgrund einer erhöhten Ausfallwahrscheinlichkeit Stellung genommen – und diese bejaht (Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C-513/13 und C-504/13).

 

Ausgangslage

Die Rechtssachen betreffen Streitigkeiten zwischen deutschen Krankenkassen und der deutschen Vertriebsgesellschaft eines US-amerikanischen Herstellers von Herzschrittmachern und Defibrillatoren. Das Verfahren vor dem EuGH geht dabei auf Vorabentscheidungsersuchen des BGH zurück. Auslöser der Verfahren waren Sicherheitshinweise des US-Unternehmens nach Durchführung interner Qualitätskontrollen, dass bestimmte defekte Bauteile in Herzschrittmachern und Defibrillatoren möglicherweise zum Ausfall der Geräte führen können. Die Ausfallwahrscheinlichkeit bei den Herzschrittmachern soll dabei 17 bis 20 Mal höher liegen, als normal der Fall, mit Blick auf die Defibrillatoren wurden bei einer beträchtlichen Anzahl Bauelementefehler festgestellt. Mehrere Implantate wurden daher ausgetauscht, woraufhin die Krankenkassen die Kosten der Revisionsoperation ersetzt verlangten.

 

Rechtlicher Hintergrund und Vorlagefragen des BGH

Rechtlicher Aufhänger der Verfahren ist die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG und die nationale Umsetzung im deutschen Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG).

Bezogen auf Art. 6 der Richtlinie bzw. § 1 ProdHaftG hat der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein Produkt bereits fehlerhaft im Sinne dieser Vorschriften ist, wenn Herzschrittmacher derselben Produktgruppe ein nennenswert höheres Ausfallrisiko haben oder bei einer signifikanten Anzahl von Defibrillatoren derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten ist (ein Fehler des im konkreten Fall implantierten Geräts aber nicht festgestellt wurde).

Weiterhin ersucht der BGH um Vorabentscheidung der Frage, ob es sich bei den Kosten der Explantation und Implantation anderer Geräte um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne von Art. 9 der Richtlinie bzw. § 8 ProdHaftG handelt.

 

Schlussanträge des Generalanwalts

Zunächst bejaht der Generalanwalt die erste Vorlagefrage: Ausschlaggebend sei, dass die Produkthaftung nach der Richtlinie nicht erst im Falle konkreter Mängel greift, sondern die Fehlerhaftigkeit bereits zu bejahen ist, wenn ein Produkt nicht die Sicherheit bietet, die seitens der Patienten berechtigterweise erwartet werden kann. Auch aus Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes sei nach Ansicht des Generalanwalts diese Auslegung geboten – es müsse gerade nicht abgewartet werden, ob sich das erhöhte Ausfallrisiko tatsächlich realisiert. Weiterhin sei hier die Art des Produkts entscheidend, da es sich um ein in den menschlichen Körper implantiertes und lebensnotwendiges Produkt handelt, für das ein erhöhtes Ausfallrisiko nicht hingenommen werden kann. Dieses spezifische Sicherheitsrisiko schaffe eine unverhältnismäßige Gefahr für die Patienten und ist bei der Beurteilung der Fehlerhaftigkeit entsprechend zu berücksichtigen.

Auch die zweite Vorlagefrage wird letztlich bejaht: Auszugehen sei von einer weiten Auslegung des Begriffs der „Körperverletzung“ sowie davon, dass sich der Hersteller angesichts des fehlerhaften Produkts einer Haftung nicht mit dem pauschalen Hinweis entziehen könne, der Austausch sei letztlich auf Initiative des Patienten vorgenommen worden. Einschränkend soll jedoch gelten, dass stets ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem sich aus dem Ausfallrisiko ergebenden Fehler einerseits und dem Schaden andererseits bestehen müsse, der sich aus dem präventiven chirurgischen Eingriff zum Austausch der Geräte ergibt. Hier könnten im Einzelfall Alternativen gegeben sein, die bei gleicher Sicherheit einen geringeren Schaden hervorrufen und die Kausalität unterbrechen könnten. Dies zu prüfen soll nach Ansicht des Generalanwalts allerdings den nationalen Gerichten überlassen sein.

 

Ausblick

Insbesondere die Ausführungen des Generalanwalts zur ersten Vorlagefrage bergen weiter verschärfte Haftungsrisiken für Implantatehersteller. Denn bezogen auf das mit einem Ausfall verbundene Sicherheitsrisiko implantierbarer Medizinprodukte setzt der Generalanwalt im Vergleich zu anderen Produkten einen deutlich strengeren Haftungsmaßstab an. Inwieweit der EuGH den insoweit bemerkenswerten Ausführungen des Generalanwalts folgt, bleibt abzuwarten. Allerdings sind die Schlussanträge oftmals richtungsweisend – die Entscheidung des EuGH ist gegen Ende des Jahres zu erwarten.

Bei aller fundierten Kritik an der Fehlerverdachtsrechtsprechung der Instanzgerichte, welche den Vorabentscheidungsersuchen des BGH zugrunde liegt, wird sich die Medizinprodukteindustrie gegebenenfalls auf ein strengeres, europarechtlich begründetes Haftungsumfeld nach Produktsicherheitsaktionen einzustellen haben.

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