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Plattformarbeit: Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen heute verabschiedet

24.04.2024

Mit heutigem Datum wurde die „Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“ vom europäischen Parlament verabschiedet (Parliament adopts Platform Work Directive | News | European Parliament (europa.eu)). Der vereinbarte Text muss noch vom Rat formell angenommen und im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden – das ist indes nur eine Formsache. Die Richtlinie soll den Schutz der sog. Plattformbeschäftigten durch eine Erweiterung ihrer Rechte und eine intensivere Einbeziehung in die Sozialversicherungssysteme stärken. Darüber hinaus enthält sie weitere spannende Sonderregelungen, insbesondere zu datenschutzrechtlichen Aspekten.

Bedingt durch die weitreichenden Auswirkungen, die eine Verabschiedung des ursprünglichen Entwurfes für diese vitale Branche gehabt hätte, kann der heute offiziell verabschiedeten Fassung der Richtlinie ein turbulentes Rechtssetzungsverfahren bescheinigt werden, in welchem es zwischenzeitlich so aussah, als würde es nicht zu einer europäischen Regelung der Thematik kommen. Wir hatten in Vergangenheit bereits mehrfach hierüber berichtet.

Inhalt der Richtlinie

Dass man sich auf eine finale Fassung einigen konnte, ist dem Umstand geschuldet, dass der zentrale Bestandteil des ursprünglichen Vorschlages, die tätigen Personen entgegen der derzeit weitverbreiteten Praxis per Gesetz als Arbeitnehmer zu qualifizieren, wenn eine Mindestanzahl an gesetzlich bestimmten Kriterien erfüllt sind, nunmehr zugunsten einer Regelung ohne festen Kriterienkatalog fallen gelassen wurde.

Ursprünglicher Kernpunkt der Richtlinie

Der ursprüngliche Vorschlag sah die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses bei Erfüllung von zwei der folgenden Kriterien vor:

  1. Festlegung der Höhe der Vergütung bzw. von Obergrenzen der Vergütung;
  2. Überwachung der Ausführung der Arbeit auf elektronischem Wege;
  3. Einschränkung der Möglichkeiten, Arbeits- oder Abwesenheitszeiten frei zu wählen, Aufgaben anzunehmen oder abzulehnen oder Unterauftragnehmer oder Ersatzkräfte in Anspruch zu nehmen;
  4. Festlegung bestimmter verbindlicher Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber dem Empfänger der Dienstleistung bzw. in Bezug auf die Arbeitsleistung;
  5. Einschränkung der Möglichkeit, einen Kundenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen.

Dies hätte in der Praxis in vielen Fällen zu einer Qualifikation der Plattformarbeiter als Arbeitnehmer der Plattform geführt und so nicht weniger als eine grundlege Neuordnung des Geschäftsmodells der Branche bedeutet. Diese Konsequenzen scheuten einige Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland –, weshalb nicht nur um die Formulierung der einzelnen in der Richtlinie festzulegenden Kriterien, sondern auch um deren Anzahl insgesamt sowie die zum Eingreifen der Fiktion erforderliche Mindestanzahl an Kriterien so intensiv gerungen wurde, dass eine Einigung zwischenzeitlich in weite Ferne rückte.

Finale Fiktionsregelung der Richtlinie

Die finale Fassung der Richtlinie Plattformarbeit verzichtet auf diesen enumerativen Kriterienkatalog. Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Plattform und der Person, die Plattformarbeit über diese Plattform leistet, greift nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 dann, wenn „Tatsachen, die auf die Kontrolle und Steuerung [des Plattformarbeiters durch die Plattform] hindeuten, festgestellt werden.“. Entscheidend sind mithin durch Tatsachen belegbare Anhaltspunkte für eine Kontrolle und Steuerung der eingesetzten Person durch die Plattform.

Der Entfall des festen Kriterienkataloges dürfte zu weniger drastischen Auswirkungen für die Praxis führen, als dies bei Verabschiedung des ursprünglichen Vorschlages der Fall gewesen wäre. Dies liegt zum einen daran, dass das Operieren mit unbestimmten Rechtsbegriffen („Kontrolle und Steuerung“) Auslegungs- und Argumentationsspielräume eröffnet. Abzuwarten bleibt, ob und inwieweit sich des abgelehnten Kriterienkataloges letztlich zur Auslegung bedient werden wird. Zum anderen liegt eine Beurteilung anhand einer „Kontrolle und Steuerung“ sehr nah an den bereits jetzt im deutschen Recht im Rahmen der maßgeblichen Abgrenzung für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung herangezogenen Kriterien (Eingliederung, Weisungsgebundenheit und unternehmerisches Risiko).

Was damit als maßgebliche Neuerung im Zusammenhang mit der Statusqualifikation bleibt, ist die Fiktion. Greift sie, wird – wie im ursprünglichen Entwurf auch – ein vollwertiges Arbeitsverhältnis zwischen der Plattform und dem Plattformarbeiter begründet. Die schon seinerzeit den Plattformbetreibern eingeräumte Möglichkeit zur Widerlegung dieser Vermutung wird wohl wenig Linderung verschaffen, denn die Darlegungs- und Beweislast sowie der maßgebliche Aufwand eines solchen Verfahrens mit ungewissem Ausgang ist von den Plattformbetreibern zu tragen. Gleichwohl dürften die Plattformbetreiber aufgrund der geänderten Tatbestandsvoraussetzungen für das Eingreifen der Fiktion im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf in einer signifikant geringeren Anzahl von Fällen zum Betreiben eines solchen Verfahrens gezwungen sein. Dies ist zu begrüßen.

Aus praktischer Sicht nicht zu begrüßen ist die nunmehr gewählte Reichweite der Fiktion. Sie gilt in allen einschlägigen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, jedoch nicht in steuerrechtlicher Hinsicht. Die Erstreckung auf das Steuerrecht war im ursprünglichen Entwurf noch inkludiert und wäre sehr zu begrüßen gewesen, um einer in sozial- sowie steuerrechtlicher Hinsicht divergierenden Qualifikation eines einheitlichen Sachverhaltes entgegenzuwirken.

Darüber hinaus enthält die Richtlinie weitere Regelungen zur Stärkung der Rechte der Plattformbeschäftigten, hierzu zählen u.a.:

  • Einschränkungen der Verarbeitung personenbezogener Daten mittels automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme (Art. 7);
  • Informations- und Aufsichtspflichten bzgl. der Nutzung automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme (Art. 9 und 10);
  • Pflicht zur Erklärung und ggfs. Begründung einer durch ein automatisches Entscheidungssystem getroffenen oder unterstützen Entscheidung (Art. 11).

Weiterer Ausblick

Auch wenn die Richtlinie durch die Streichung des ursprünglichen Kriterienkataloges nicht zu außerordentlichen Neuerungen bei der Qualifizierung von Beschäftigungsverhältnissen führen wird, bleibt es dennoch spannend, abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die europäischen Vorgaben konkret umsetzen wird. Der Umsetzungsbedarf besteht, denn die von der Richtlinie geforderte Fiktion findet keine Entsprechung im derzeitigen deutschen Recht. Die Frist zur Transformation der Vorgaben in deutsches Recht beträgt 2 Jahre (Art. 29).

Die Thematik ist nicht nur von „bekannten“ Plattformbetreibern streng im Blick zu behalten. Denn aufgrund der Definition des Begriffes „digitale Arbeitsplattform“ in Art 2 sind ggfs. auch moderne Vertriebsstrukturen, die von keinem der Beteiligten als digitale Arbeitsplattform wahrgenommen werden, vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst.

Darüber hinaus bleibt neben der Frage nach den Konturen der neu zu schaffenden Fiktion auch die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber in der Umsetzung über die Vorgaben der Richtlinie hinaus auch andere Leistungsbeziehungen in ihren Anwendungsbereich einbeziehen wird. Da es sich bei den insoweit maßgeblichen Kriterien „Kontrolle und Steuerung“ nicht um Eigenheiten der Plattformarbeit handelt, wäre dies ohne große Schwierigkeiten möglich und im Sinne der Einheitlichkeit der Bewertung und Handhabung dieser Einordnung und einer Verringerung des Aufwandes in der Praxis wünschenswert.

Wie bereits zuvor, hier unser Versprechen, die Entwicklung genau zu beobachten und Sie über alle Neuerungen an dieser Stelle zu informieren.

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