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Ihre Business-Internetseite (oder App) könnte Sie dem Risiko eines U.S.-Rechtsstreits aussetzen

23.06.2021

Unternehmen mit einer Internetseite oder Online-Präsenz über eine App in den USA sehen sich zunehmend Rechtsstreitigkeiten, einschließlich Sammelklagen (class actions), ausgesetzt, die auf ein Gesetz aus der Zeit vor dem Internet gestützt werden, dem Americans with Disabilities Act (ADA). Die Problematik ergibt sich, wenn eine Internetseite für seh- und hörgeschädigte Personen nicht zugänglich ist. Die meisten ADA-Klagen, die Internetseiten betreffen, werden relativ schnell im Vergleichsweg beigelegt. Dennoch ist es stets im Interesse eines Unternehmens, Rechtsstreitigkeiten soweit wie möglich zu vermeiden. Durch Umsetzung bestimmter Maßnahmen kann ein Unternehmen einen solchen Rechtsstreit im Vorfeld abwenden und sicherstellen, dass seine Internetseite für jeden zugänglich ist.

Was ist der Americans with Disabilities Act?

Der ADA ist ein im Jahr 1990 verabschiedetes U.S.-Bundesgesetz, das Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung in der Öffentlichkeit zugänglichen Stätten, am Arbeitsplatz und in den Bereichen öffentliche Dienstleistungen, Transport und Telekommunikation verbietet. Konkret sieht Titel III des ADA (42 U.S.C. § 12182 (a)) vor, dass eine Person nicht aufgrund einer Behinderung diskriminiert werden darf, soweit es um die unbeschränkte und gleichberechtigte Inanspruchnahme von Gütern, Dienstleistungen, Einrichtungen, Privilegien, Vorteilen oder Unterbringungen in einer der Öffentlichkeit zugänglichen Stätte durch eine Person geht, die Eigentümerin einer solchen Stätte ist, eine solche angemietet hat oder betreibt. Titel III verlangt darüber hinaus, dass die betroffenen Unternehmen Hilfsmittel und Dienstleistungen bereitstellen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht vom Zugang zu den Dienstleistungen einer der Öffentlichkeit zugänglichen Stätte ausgeschlossen werden.

Während die Gerichte in ständiger Rechtsprechung entschieden haben, dass Titel III auf Business-Internetseiten und Apps anwendbar ist, sind sie derzeit geteilter Meinung darüber, was eine „der Öffentlichkeit zugängliche Stätte“ im Sinne des Titels III in der Cyberwelt genau ausmacht. Einige Circuits wenden Title III nur auf Internetseiten mit einer Verbindung zu einem physischen Ort an, z. B. wenn die Internetseite die Bestellung in einem physischen Restaurant oder Geschäft ermöglicht, während andere ihn auf jede Internetseite anwenden, die unabhängig von einer Verbindung zu einem physischen Ort Dienstleistungen im weiteren Sinn anbietet. Anlass für eine Klage ist typischerweise, dass ein Kläger nicht auf eine Internetseite oder App zugreifen kann und daher ein Unternehmen nach Titel III verklagt, um eine Verfügung zu erwirken, die das Unternehmen anweist, seine Internetseite zugänglich zu machen. Zusätzlich zu der Verfügung stehen den Klägern nach dem ADA Gerichtskosten und Anwaltsgebühren, jedoch kein persönlicher Schadenersatz zu. Daher klagen viele Kläger auch aus verschiedenen bundesstaatlichen Gesetzen, wie dem kalifornischen Unruh Act, der einen gesetzlichen Schadensersatzanspruch von 4.000 U.S.-Dollar pro Verstoß und bis zum Dreifachen des tatsächlich entstandenen Schadens vorsieht.

Die Zunahme der Klageverfahren bezüglich Internetseiten unter dem ADA

Mehrere Ereignisse haben zu einem drastischen Anstieg der ADA-Klageverfahren im Zusammenhang mit Internetseiten beigetragen. Im Jahr 2010 kündigte das U.S.-Justizministerium (DOJ) als Reaktion auf wachsende Bedenken von Unternehmen hin an, Leitlinien für die Anforderungen an die Zugänglichkeit von Internetseiten bereitzustellen. Diese Ankündigung wurde jedoch unter Verweis auf Budgetkürzungen nicht umgesetzt. Im Oktober letzten Jahres lehnte der U.S. Supreme Court die Zulassung der Revision im Fall Robles v. Domino's Pizza, LLC ab. In der Rechtssache Robles hatte der 9th Circuit Court of Appeals die Entscheidung des District Court bestätigt, dass die Internetseite und die Telefon-App von Domino's Pizza für blinde oder sehgeschädigte Personen vollständig zugänglich und eigenständig nutzbar sein müsse, da die Internetseite und die App die Verbindung zwischen den Kunden und den in den Restaurants von Domino's angebotenen Waren und Dienstleistungen herstellen. Des Weiteren stellte der Circuit Court fest, dass die Haftung nach dem ADA nicht das Recht von Domino's auf ein ordnungsgemäßes Verfahren nach dem Vierten Verfassungszusatz verletze und dass das Fehlen spezifischer regulatorischer Leitlinien der gesetzlichen Pflicht von Domino's nicht entgegenstehe. Die Weigerung des Supreme Courts, die Revision zuzulassen, und das Fehlen von Leitlinien bestärkte die Auffassung der Kläger in solchen ADA-Klagen.   

WCAG als Leitlinie

Wie der Fall Robles zeigt, kann es für Unternehmen schwierig sein, sicherzustellen, dass ihre Internetseiten ADA-konform sind, da hinsichtlich der bestehenden gesetzlichen Verpflichtung keine verbindlichen Leitlinien existieren. Die meisten Gerichte haben entschieden, dass die Beklagten den Nachweis, ADA-konform zu sein, führen können, indem sie die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0 befolgen. Bei diesen handelt es sich um Leitlinien, die eine Gruppe von interessierten Parteien über die Web Accessibility Initiative (WAI) erstellt hat. Die WAI stellt hier eine Kurzanleitung zur Verfügung. Die Leitlinien werden angewendet, um Webinhalte für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen, indem z. B. Text-Pop-Ups eingefügt werden, wenn ein Benutzer über Bilder mit Ton fährt, oder eine Option zum Anzeigen einer Website ohne blinkendes oder helles Licht für Menschen mit Epilepsie usw. bereitgestellt wird.

Die WCAG-Leitlinien enthalten mehrere Stufen der Barrierefreiheit (A, AA, AAA). Gerichte haben bei der Bestimmung, welche Stufe eine vollständige Gesetzeskonformität darstellt, einen Ermessensspielraum. Bisher scheint Einigkeit insofern zu bestehen, dass mindestens die Stufe AA erreicht werden sollte (wobei AAA die höchste Stufe ist). Unternehmen können ihre internen IT-Abteilungen und Online-Tests nutzen, um herauszufinden, wo ihre Internetseiten Defizite aufweisen, und die entsprechenden Anpassungen vornehmen. Es existieren aber auch Dienstleister, die kostenpflichtige Bewertungen und vollumfängliche Korrekturen vornehmen. Unternehmen sollten sich jedoch bewusst sein, dass es keine anerkannte Zertifizierung gibt, die vor Gericht als Beweismittel verwendet werden kann.

Was als Nächstes zu erwarten ist und wie Sie das Risiko mindern können

Interessanterweise hat der United States Court of Appeals for the Eleventh Circuit in der Rechtssache Juan Carlos Gil v. Winn-Dixie Stores, Inc. am 7. April 2021 eine lang erwartete Entscheidung getroffen, in welcher der Circuit Court die Feststellung des erstinstanzlichen Gerichts aufhob, dass Winn Dixie gegen den ADA verstoße, weil seine Internetseite nicht über eine von sehgeschädigten Personen genutzte Bildschirmlesesoftware zugänglich sei. Das erstinstanzliche Gericht hatte die Ansicht vertreten, dass die Internetseite stark mit den physischen Geschäften von Winn Dixie verbunden sei und daher eine öffentlich zugängliche Stätte darstelle. Das Berufungsgericht hob mit der Entscheidung vom 7. April dieses Urteil auf und stellte fest, dass die Internetseite weder eine öffentlich zugängliche Stätte sei, noch eine immaterielle Barriere für den Zugang zu den Waren, Dienstleistungen oder Privilegien der physischen Geschäfte darstelle, da die Waren und Dienstleistungen nicht auf der Internetseite gekauft werden könnten und alles, was auf der Internetseite angeboten werde, auch in den Geschäften vor Ort erhältlich sei. Der Court of Appeals for the 11th Circuit lehnte es ausdrücklich ab, der Robles-Entscheidung des Court of Appeals for the 9th Circuit zu folgen. Die damit vertiefte Spaltung zwischen den Gerichtsbezirken erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der U.S. Supreme Court die Revision zulassen wird, falls und wenn ihm ein solcher Fall erneut vorgelegt wird.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es keine Anzeichen gibt, dass die Anzahl der ADA-Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Internetseiten abnehmen wird. Mit der jüngsten Entscheidung des Eleventh Circuit bleibt die derzeitige Rechtslage bestenfalls vage. Das bedeutet, dass die beste Verteidigung für Unternehmen darin besteht, entweder selbst oder durch einen Dienstleister die Einhaltung der WCAG-Richtlinien zu testen, etwaige Defizite zu beheben, die Barrierefreiheit durch regelmäßige Schulungen der für die Internetseiten-Inhalte Verantwortlichen aufrechtzuerhalten und regelmäßig zu überprüfen. Dies reduziert nicht nur das Risiko kostspieliger rechtlicher Auseinandersetzungen, sondern stellt auch sicher, dass Unternehmen keine potenziellen Kunden verlieren, nur weil diese keinen Zugang zu den Waren oder Dienstleistungen haben. 

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