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Zusammen stark: Sammel­klagen im Vereinigten Königreich

23.02.2016

Der Consumer Rights Act 2015 brachte am 01. Oktober 2015 erhebliche Neuerungen bei wettbewerbs- bzw. kartellrechtlichen Klagen in England und Wales. Das neue Gesetz ändert den Competition Act 1998 und ermöglicht nunmehr Gruppen- bzw. Sammelklagen im Wettbewerbs- bzw. Kartellrecht.

Potentielle Kläger, denen möglicherweise durch einen Wettbewerbsverstoß in den vergangenen sechs Jahren ein Schaden entstanden ist, können durch die neuen Regelungen unter Umständen Ersatz für diesen Schaden zu erlangen. Der Hauptvorteil der Neuregelung liegt für diese Gruppe in der Absenkung der Anforderungen an den Nachweis des Schadens und der Kausalität.

Daher sollte jedes Unternehmen im Geltungsbereich der europäischen Wettbewerbsbestimmungen prüfen, ob ein Risiko von Sammel- oder Gruppenklagen in England oder Wales besteht. Unternehmen, die in den vergangenen sechs Jahren Adressat einer Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde im Vereinigten Königreich oder in der EU oder einer Sektor-Regulierungsbehörde im Vereinigten Königreich wegen eines Wettbewerbsverstoßes waren, sollten in Hinblick auf mögliche Schadensersatzklagen infolge dieser Entscheidungen („follow-on-Klagen“) die Entwicklung einer Verteidigungsstrategie in Betracht ziehen. Kommt es zu einer Sammel- oder Gruppenklage, müssen die Beklagten unter anderem prüfen, ob sie die Zulassung (Certification) der Kläger als Gruppe angreifen oder wesentliche Argumente gegen einen Schaden der Kläger vorbringen können.

Verfahrenseinleitung

Vor der Gesetzesänderung konnten Kläger oftmals wählen, ob sie gegen Unternehmen, die ihnen durch Wettbewerbsverstöße einen Schaden verursacht hatten, Einzelklagen oder, soweit bestimmte Wettbewerbsbehörden im Vereinigten Königreich oder in der EU einen Verstoß bereits festgestellt hatten, „follow-on-Klagen“ anstrengen wollten. Gelegenheiten für Sammelklagen waren jedoch selten, besonders wenn Unternehmen (und keine Verbraucher) klagten.

Die Prozessführung in England und Wales war für potentielle Kläger daher in der Praxis oft mühsam, insbesondere für ausländische Unternehmen aus den Rechtsordnungen des civil law. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Klage spielte insbesondere das Kostenrisiko eine tragende Rolle. Die „follow-on-Klagen“ sollten das Verfahren zwar vereinfachen. Denn der Kläger musste nicht mehr den Verstoß nachweisen, sondern lediglich, dass der Verstoß einen bestimmten Schaden verursacht hatte. Fortan richtete sich der Fokus aber darauf, mit großem Aufwand sowohl die Höhe des Schadens als auch der Kausalität des Verstoßes für diesen Schaden nachzuweisen.

Nach dem neuen Regelwerk ist es nunmehr möglich, wettbewerbsbezogene Klagen (sowohl Einzel- als auch „follow-on-Klagen“) als Sammelklagen vor das Wettbewerbsgericht, das Competition Appeal Tribunal („CAT“), zu bringen. Dies setzt aber eine Verbindung zum Vereinigten Königreich voraus.
Dieses Verfahren wird sowohl Unternehmen als auch einzelnen Verbrauchern offenstehen. Ob ein Anspruch als Sammelklage geltend gemacht werden kann, hängt von der Einschätzung des CAT ab, ob die Ansprüche gleiche, ähnliche oder zusammenhängende Sach- oder Rechtsfragen aufwerfen und zur Geltendmachung im Rahmen von Sammelverfahren geeignet sind.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass nun auch Einzelklagen wegen Wettbewerbsverstößen vor dem CAT erhoben werden können (zuvor war dies nur vor dem High Court möglich) und die Klagefrist für Klagen vor dem CAT nun von zwei auf sechs Jahre verlängert wurde.

Wenn Sammelverfahren eingeleitet werden, ernennt das CAT einen Vertreter (einen der Kläger oder einen Dritten), um den Prozess im Namen einer bestimmten Klägergruppe zu führen, deren einzelne Mitglieder am Rechtsstreit selbst kaum oder gar nicht beteiligt sind. Das CAT wird auch genau festlegen, wer in diese Gruppe passt und für wen somit seine Entscheidung letztendlich bindend sein wird.

Opt-out-Klagen nur für Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich – für ausländische Unternehmen nur Opt-in möglich

Die neue Gesetzgebung sieht zwei Arten von Gruppenklagen vor: Opt-out-Klagen und Opt-in-Klagen. Das CAT ordnet das jeweilige Verfahren einer Klageart zu. Opt-out bedeutet, dass Kläger automatisch von der Klage erfasst sind, sofern sie sich nicht in einer vom CAT im Einzelfall festgelegten Weise dagegen entscheiden. Dem Gesetz selbst zufolge soll es die Opt-out-Sammelklage Verbrauchern und Unternehmen ermöglichen, für die ihnen aufgrund von Wettbewerbsverstößen entstandenen Verluste auf einfache Art und Weise Entschädigung zu erlangen. Opt-out-Klagen stehen nur im Vereinigten Königreich ansässigen Klägern offen. Dies bedeutet, dass die CAT-Entscheidung für diese Gruppenmitglieder bindend ist, sofern nicht innerhalb der vom CAT vorgeschriebenen Frist Schritte für einen aktiven Opt-Out ergriffen werden. Eine erfolgreiche Opt-out-Klage führt wahrscheinlich zur Zuerkennung eines Gesamt-Schadensersatzes, der sodann unter den Mitgliedern der Gruppe aufgeteilt wird. Nach den neuen Bestimmungen steht es ausdrücklich im Ermessen des CAT, Schadensersatz zuzuerkennen, ohne zu prüfen, in welcher Höhe jedem einzelnen in der Klage vertretenen Unternehmen Schadensersatz zusteht. Im Ausland ansässige Unternehmen sind von einer Opt-Out-Klage nicht automatisch erfasst, können sich jedoch für eine Teilnahme entscheiden und werden dann in der gleichen Weise behandelt wie die übrigen Mitglieder der Klägergruppe.

Opt-in-Klagen stehen sowohl im Vereinigten Königreich ansässigen, als auch ausländischen Unternehmen zur Verfügung. Der Ausgang einer Opt-in-Klage ist nur für diejenigen Mitglieder der Gruppe bindend, die sich innerhalb der vom CAT festgesetzten Frist aktiv zur Teilnahme am Verfahren entscheiden. In Opt-in-Klagen ist es wahrscheinlicher, dass der individuell entstandene Schaden durch das CAT berücksichtigt wird (zwingend ist dies jedoch nicht) und dass aufgrund dieser Berücksichtigung der zuerkannte Schadensersatz höher ist als bei Opt-out-Klagen.  

Unterschiede zu amerikanischen class actions

Im Unterschied zu amerikanischen class actions kann das CAT weder Schadensersatz in dreifacher Höhe (treble damages) noch Strafschadensersatz (punitive damages) zuerkennen. Während Vergütungsvereinbarungen auf Schadensbasis nach der neuen Gesetzgebung ausdrücklich verboten sind, sind „Conditional Fee Arrangements“, bei denen bei Obsiegen eine Prämie gezahlt wird, zulässig. Anders als in den USA haben obsiegende Kläger gute Chancen auf eine Erstattung eines Großteils ihrer Anwaltskosten durch den Beklagten.

Auswirkungen für potentielle Kläger

England und Wales werden durch den Consumer Rights Act 2015 als Gerichtsstand für Kläger, die aufgrund von Wettbewerbsverstößen Schadensersatz begehren, erheblich attraktiver. Die Durchsetzung von Ansprüchen vor Gericht kann dadurch kostengünstiger werden. Mittlerweile zeigen auch Prozessfinanzierer ein Interesse an dieser Art von Klagen. Durch die Möglichkeit der Sammelklage verringern sich der Arbeitsaufwand und die interne Belastung für Gruppenmitglieder, die nicht Vertreter der Gruppe sind. Der größte Vorteil besteht vielleicht für die Kläger, die anderenfalls Schwierigkeiten hätten, entweder die Höhe des ihnen entstandenen Schadens oder die Kausalität des Verstoßes für diesen nachzuweisen. Das CAT kann nach eigenem Ermessen bei der Zuerkennung von Schadensersatz auf das Erfordernis des Nachweises der jeweiligen Höhe des den einzelnen Gruppenmitgliedern entstandenen Schadens verzichten – es genügt der einfache Nachweis, dass ein Schaden entstanden ist.

Auswirkungen für potentielle Beklagte

Beklagte können Sammelverfahren im sog. Certification-Verfahren widersprechen. Die Beklagten sollten sich darauf konzentrieren, den Ermessenspielraum des CAT zu ihren Gunsten zu nutzen. Das CAT befasst sich ausschließlich mit Klagen wegen Wettbewerbsverstößen und ist daher entsprechend spezialisiert und sachkundig. Das Augenmerk sollte sich darauf richten, die Größe der Gruppe in der Certification-Phase zu verringern. Es sollte ernsthaft versucht werden aufzuzeigen, dass sich Rechts- und Sachfragen nicht hinreichend ähneln. Potentielle Beklagte sollten auch frühzeitig an eine PR-Strategie denken.

Haben eine relevante Wettbewerbsbehörde im Vereinigten Königreich oder die Europäische Kommission einen Verstoß festgestellt, erhöht sich voraussichtlich das Risiko von „follow-on-Klagen“. Dies deshalb, weil eine rechtskräftige Entscheidung die Antwort auf die Frage nach dem Verstoß zugunsten der potentiellen Kläger vorwegnimmt.

Jedes Unternehmen, dessen Geschäftstätigkeit eine Verbindung zum Vereinigten Königreich aufweist, sollte prüfen, ob ein Risiko besteht, dass gegen das Unternehmen Sammelverfahren in England oder Wales eingeleitet werden. Dies gilt insbesondere für die Unternehmen, die in den vergangenen sechs Jahren Adressaten einer Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde im Vereinigten Königreich oder in der EU betreffend einen Wettbewerbsverstoßes waren. Diese sollten die Einführung einer Verteidigungsstrategie in Hinblick auf mögliche „follow-on-Klagen“ in Erwägung ziehen. Bei Unternehmen, gegen die derzeit wegen möglicher Wettbewerbsverstöße ermittelt wird, ist während der Ermittlungen darauf zu achten, dass keine Schritte unternommen werden, die das Risiko künftiger Sammelklagen erhöhen könnten.

Wenn Sie weitere Informationen über das Risiko von Sammelklagen im Vereinigten Königreich wünschen, kontaktieren Sie bitte Sebastian Janka.

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