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Zum Umfang des Akteneinsichtsrechts nach § 47 Abs. 3 EnWG

23.08.2021

Das OLG Frankfurt a.M. hat in seiner Entscheidung vom 12.08.2021 den Umfang des Akteneinsichtsrechts nach §  47 Abs. 3 EnWG erweitert. Danach umfasst der Akteneinsichtsanspruch sowohl das Angebot des obsiegenden Bewerbers als auch die Angebote der übrigen Bieter.

1. Hintergrund des Urteils des OLG Frankfurt a.M.

In dem vom OLG Frankfurt a.M. entschiedenen Fall ging es um zahlreiche im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens vor dem LG Wiesbaden geltend gemachte Rechtsverletzungen der von Noerr vertretenen Bewerberin gegen die von der beklagten Gemeinde beschlossenen Auswahlkriterien in einem Stromkonzessionsverfahren nach § 46 EnWG. Gerügt hatte die Klägerin insbesondere die Intransparenz der Auswahlkriterien vor dem Hintergrund der von der Gemeinde gewählten absoluten Bewertungsmethode. Die Klägerin war der Meinung, dass die absolute Bewertungsmethode einen Konzeptwettbewerb ausschließe. Jedenfalls aber seien an die Konkretisierung der Auswahlkriterien und deren Erläuterungen erhöhte Anforderungen zu stellen.

Überdies wandte sich die Klägerin gegen die bereits im Verfahrensbrief vorgenommenen Beschränkungen der Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 EnWG, die unter Verweis auf die anzuwendende absolute Bewertungsmethode nur eine Einsicht in das eigene Angebot zuließen, nicht aber in das Angebot des obsiegenden Bewerbers.

Schließlich rügte die Klägerin verschiedene Auswahlkriterien als diskriminierend. So sei es u. a. nicht zulässig, die Zahlung von Konzessionsabgaben nach Vertragsablauf über den in § 48 Abs. 4 EnWG genannten Umfang auszuweiten.

Das LG Wiesbaden gab mit Urteil vom 09.12.2020 dem Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nur wegen der letztgenannten Rüge statt und untersagte der Gemeinde, das Konzessionsverfahren fortzusetzen, bevor sie nicht dieser Rüge hinsichtlich des Kriteriums B.4.1 „Zahlung von Konzessionsabgabe bis zur Netzübernahme“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des LG Wiesbaden abgeholfen hat. Im Übrigen wies es den Antrag zurück.

Die Klägerin legte gegen die Entscheidung des LG Wiesbaden wegen eines Großteils der bereits in der I. Instanz geltend gemachten Rechtsverletzungen Berufung vor dem OLG Frankfurt a.M. ein.

2. Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M.

Auf die Berufung der Klägerin änderte das OLG Frankfurt a.M. das am 09.12.2020 verkündete Urteil des LG Wiesbaden (12 O 2003/20) teilweise ab und gab dem Unterlassungsanspruch wegen zahlreicher weiterer von der Klägerin geltend gemachten Rechtsverstöße statt.

a) Anforderungen an die Transparenz bei nichtrelativer Bewertungsmethode


Das Gericht führt zunächst bestimmte Grundsätze aus, die unabhängig davon gelten, ob der Bewertung eine relative oder eine nichtrelative Bewertungsmethode zugrunde liege:

    • Entsprechend der auch vorliegend anwendbaren vergaberechtlichen Rechtsprechung des EuGH und des BGH bedürfe es für ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren zwar der Mitteilung der für die Bewertung maßgeblichen Kriterien. Allerdings müsse bei einer – zulässigen – Bewertung der Erfüllung der einzelnen Kriterien anhand eines Punkte- oder Notensystems in den Vergabeunterlagen nicht angegeben werden, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängen soll. Es müsse mithin nicht das Bewertungssystem innerhalb der Notenstufen im Vorhinein mitgeteilt werden.

    • Das Vergabeverfahren dürfe ganz oder teilweise i.S. eines Wettbewerbs oder einer funktionalen Leistungsbeschreibung so erfolgen, dass es Sache der Bewerber sei, aus eigener Kraft darzustellen, mit welchen Einzelmaßnahmen sie die Kriterien möglichst gut ausfüllen können. Die Noten bzw. Punkte müssten in den Vergabeunterlagen nicht grundsätzlich mit konkretisierenden Informationen darüber verknüpft werden, welche Erwartungen die Vergabestelle hinsichtlich der Erfüllungsqualität hege oder gar welcher Leistungsstand welche Teilnote/Punktzahl rechtfertige.

Bezogen auf die absolute Bewertungsmethode führt das OLG Frankfurt a.M. sodann aus:

    • Mangels gesetzlicher Vorgaben könne ein nichtrelativer Maßstab bei funktionaler Ausschreibung bzw. einem Konzeptwettbewerb nicht vornherein als ungeeignet angesehen werden. Auch bei solchen Ausschreibungen könne eine Bewertung anhand unabhängig von den konkreten Angeboten festgelegter Kriterien erfolgen. Ob der letztendlich gewählte Maßstab und seine Anwendung rechtlich zu beanstanden seien, könne erst im Zuge einer Überprüfung der Vergabeentscheidung und der dann erforderlichen Offenlegung des Bewertungsmaßstabs geprüft werden.

Unter Hinweis auf den Beschluss „Postdienstleistungen“ des BGH vom 04.04.2017 (X ZB 3/17, juris Rn. 44) weist das OLG Frankfurt a.M. sodann auf Folgendes hin:

    • Obwohl die Gemeinden den genauen Bewertungsmaßstab bei der nichtrelativen Bewertungsmethode nicht offenlegen müsse, seien sie auch hier aufgrund des Transparenzgebots verpflichtet, die Bewertungskriterien „soweit zu konkretisieren, dass sich die Bewerber ein Bild davon machen können, wofür ihr Konzept eine taugliche Lösung anbieten muss.“ Hierauf seien die Einzelkriterien im Rahmen des Verfahrens nach § 47 Abs. 5 EnWG – soweit gerügt – zu überprüfen.

b) Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen Begrenzung des Akteneinsichtsrechts nach § 47 Abs. 3 EnWG im Verfahrensbrief


Das OLG Frankfurt a.M. erachtet die von der Gemeinde im Verfahrensbrief vorgesehene Beschränkung des Akteneinsichtsrechts nach § 47 Abs. 3 EnWG auf das eigene Angebot und die Auswertungsmatrix in Bezug auf das eigene Angebot als gegen das Diskriminierungsverbot verstoßend:

    • Die Bewerber können eine im Verfahrensbrief vorgenommene Begrenzung des Akteneinsichtsrechts bereits im Rahmen der Rüge gegen Auswahlkriterien geltend machen. Das Rüge- und das Akteneinsichtsrecht stünden im Grundsatz jedem beteiligten Unternehmen, nicht nur unterlegenen Bewerbern zu. Die Klägerin könne das Einsichtsrecht daher als eigenes Recht geltend machen, sodass die Prozessführungsbefugnis zu bejahen sei.

    • Es bestehe auf Seiten der Klägerin auch bereits ein Rechtsschutzinteresse. Dies folge, nachdem die beklagte Gemeinde die entsprechenden Regelungen in die Vergabeunterlagen aufgenommen habe, aus der Gefahr einer Präklusion der Einwendung nach § 47 Abs. 1 EnWG.

    • Das Akteneinsichtsrecht beziehe sich nach § 47 Abs. 3 EnWG grundsätzlich auf alle Akten des Vergabeverfahrens. Eine Einsicht in die Angebote der Mitbewerber sei gerade nicht entbehrlich, daher bestehe diesbezüglich ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in alle Angebote. Ein unterlegener Bieter müsse sowohl die Bewertung des siegreichen sowie durch Einsicht in alle Angebote und ihre Bewertung die diskriminierungsfreie – einheitliche – tatsächliche Anwendung des nach der Auswahlentscheidung vollständig offenzulegenden Bewertungsmaßstabs auf alle Angebote prüfen können. So könnte eine Diskriminierung auch darin liegen, dass ein Umstand bzgl. eines unterlegenen Angebots vertretbar negativ bewertet und damit die Punktzahl des obsiegenden Angebots unterschritten wurde, der bei anderen, ebenfalls unterlegenen Angeboten nicht negativ berücksichtigt worden sei.

3. Fazit

Auch wenn die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. hinsichtlich der Transparenzanforderungen bei einer nichtrelativen Bewertungsmethode vor der Auswahlentscheidung Fragen aufwirft, ist sie insgesamt zu begrüßen. Es hilft der Gemeinde letztlich nicht, ihren Bewertungsmaßstab vor der Auswahlentscheidung nicht offenzulegen. Denn spätestens im Zuge einer Überprüfung der Vergabeentscheidung muss er vollständig offengelegt werden.

Mit einer überzeugenden Begründung hat das OLG Frankfurt a.M. überdies deutlich gemacht, dass das Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 EnWG sowohl das Angebot des obsiegenden Bewerbers als auch aller anderen Bewerber umfasst.

Gerne senden wir Ihnen das Urteil auf Anfrage zu. Senden Sie hierzu einfach eine kurze E-Mail an Dr. Cornelia Kermel oder Dr. Martin Geipel.

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