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BGH: Zeitliche Grenzen für Aktionärs­klagen gegen rechtswidriges Verwaltungs­handeln

17.10.2019

Der BGH hat mit zwei richtungsweisenden Urteilen vom 10. Juli 2018 (II ZR 120/16) und vom 7. Mai 2019 (II ZR 278/16) zum Rechtsschutz der Aktionäre gegen rechtswidriges Verwaltungshandeln Stellung genommen. Aktionärsklagen gegen Eingriffe in das Mitgliedschaftsrecht durch pflichtwidriges Verhalten der Gesellschaftsorgane sind danach grundsätzlich nicht an die für Anfechtungsklagen geltende Monatsfrist analog § 246 Abs. 1 AktG gebunden, sondern „ohne unangemessene Verzögerung“ zu erheben.

Wesentlicher Sachverhalt

Gegenstand der BGH-Entscheidung vom 10. Juli 2018 war ein Vorstandsbeschluss, mit dem das Grundkapital der AG aus genehmigtem Kapital unter vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zugunsten eines bestimmten Altaktionärs erhöht wurde. Der Kläger machte ca. zwei Monate nach der Eintragung der Kapitalerhöhung im Wege der Feststellungsklage als „übergangener“ Altaktionär geltend, dass der Bezugsrechtsausschluss sein Mitgliedschaftsrecht verletzt habe.

In dem der BGH-Entscheidung vom 7. Mai 2019 zugrunde liegenden Fall wandte sich der Kläger gegen die Ausgabe neuer Aktien zur Bedienung von Wandlungsrechten, da die Anleihebedingungen zur Reduzierung des Wandlungspreises der zugrunde liegenden Ermächtigung der Hauptversammlung widersprachen. Die Klageerhebung erfolgte über ein Jahr, nachdem die AG die betreffende Reduzierung des Wandlungspreises durch eine Ad-hoc-Mitteilung bekannt gemacht hatte.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Ein Aktionär kann die Verletzung seines Mitgliedschaftsrechts – je nach Rechtsschutzinteresse – mit der Unterlassungs- oder der Feststellungsklage geltend machen. Nach Abschluss des Verwaltungshandelns verfügt der Aktionär jedenfalls mit Blick auf mögliche Sekundäransprüche (v.a. Schadensersatz) noch über das erforderliche Feststellungsinteresse. Sowohl die Unterlassungs- als auch die Feststellungsklage können jedoch nicht zeitlich unbegrenzt erhoben werden. Zu den zeitlichen Grenzen des Klagerechts führte der BGH aus:

  • Die Aktionärsklage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vorstandsbeschlusses unterliege nicht der Klagefrist analog § 246 Abs. 1 AktG. Anders als der gegen einen Beschluss der Hauptversammlung klagende Aktionär verfüge der Aktionär, der Rechtsschutz gegen Verwaltungshandeln suche, über ungleich schlechtere Informationsmöglichkeiten. Ob § 246 Abs. 1 AktG auch dann unanwendbar ist, wenn die Klage erst im Anschluss an die Nachberichterstattung des Vorstands über die Ausübung der Ermächtigung aus genehmigten Kapital auf der nächsten Hauptversammlung erhoben wird, ließ der BGH mangels Entscheidungserheblichkeit bewusst offen.
  • Der Aktionär müsse die Klage in jedem Fall ohne unangemessene Verzögerung erheben. Der für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit zu berücksichtigende Zeitraum beginne, wenn der Aktionär den Verwaltungsbeschluss sowie Umstände, die aus seiner Sicht dessen Nichtigkeit nahelegen, kennt oder kennen muss. Im Anschluss müsse dem Aktionär hinreichend Zeit gegeben werden, schwierige tatsächliche oder rechtliche Fragen, die für die Erfolgsaussichten der Klage entscheidend sind, zu klären. Im Ergebnis sei anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu bemessen, ob die Klage noch rechtzeitig erhoben worden ist.
  • Diese zeitliche Grenze der Klageerhebung gelte sowohl für die Feststellungsklage als auch für die Unterlassungsklage.
  • Das für den Beginn des zu berücksichtigenden Zeitraums maßgebende Kennenmüssen des Aktionärs könne im Einzelfall etwa durch eine Ad-hoc-Mitteilung oder eine Veröffentlichung auf der Internetseite der AG ausgelöst werden.

Bewertung und Ausblick

Auch wenn der BGH es nicht ausdrücklich als solches bezeichnet, misst der Senat das Klagerecht der Aktionäre am Einwand der Verwirkung. Das Klagerecht ist erst dann verwirkt, wenn der Aktionär über einen längeren Zeitraum untätig bleibt (sog. Zeitmoment) und er zurechenbar das Vertrauen der AG in die eigene Untätigkeit geweckt hat, weshalb die verspätete Geltendmachung für die AG eine unzumutbare Härte bedeuten würde (sog. Umstandsmoment).

Zudem vermag nicht jede Ad-hoc-Mitteilung das erforderliche Kennenmüssen von sämtlichen zur schlüssigen Klage erforderlichen Umständen beim Aktionär zu begründen. Vielmehr sind – wie der BGH auch zutreffend ausführt – stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Wegen der Unschärfe, die mit der Begrenzung des Klagerechts durch den Einwand der Verwirkung einhergeht, sind Aktionäre jedenfalls gehalten, stets frühzeitig zu prüfen, ob und in welcher Form sie ihre Rechte, z.B. zur Verhinderung der Verwaltungsmaßnahme oder zur Vorbereitung eines späteren Schadensersatzersatzprozesses, klageweise geltend machen müssen.

Beide BGH-Entscheidungen sind jedenfalls ein weiterer Beleg dafür, dass nur ein gesetzliches Beschlussmängelrecht für Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat im Interesse der betroffenen Unternehmen und ihrer Organmitglieder für noch mehr Rechtssicherheit in der Praxis sorgen kann.

 

Zu weiteren Einzelheiten der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Verwaltungshandeln, insbesondere bei Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital vgl. auch: Schilha/Guntermann, AG 2018, 883-887.

Kapitalmarktrecht

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